Platte persönlich
Verspottet, abgerissen und bis zur Unkenntlichkeit saniert: Der DDR-Plattenbau hatte es bisher nicht leicht. Ein Wettbewerbsbeitrag für vier Gebäude im thüringischen Nordhausen will nun mit wenigen Eingriffen viel erreichen.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Platte persönlich
Verspottet, abgerissen und bis zur Unkenntlichkeit saniert: Der DDR-Plattenbau hatte es bisher nicht leicht. Ein Wettbewerbsbeitrag für vier Gebäude im thüringischen Nordhausen will nun mit wenigen Eingriffen viel erreichen.
Text: Crone, Benedikt, Berlin
Die Platte – ein Kultobjekt? Davon spricht zumindest „Die Zeit“, die jüngst eine Trendwende erkennen will: weg von der Missachtung der DDR-Großtafelbauweise, hin zur respektvollen Wertschätzung. Möglich, dass ein Feuilletonist nur etwas konstruiert, weil er in seinem Bekanntenkreis von jemandem hörte, der gerade in eine Plattenbauwohnung in Berlin-Friedrichshain gezogen sei und es ganz progressiv fände, in so einem WBS-QP 71-R. Tatsächlich aber scheint sich die Abrisswelle, die lange durch die ostdeutschen Siedlungen schwappte, endgültig gelegt zu haben. Statt Rückbau machen sich Planer nun ans Anpassen des Bestands, wodurch der Ursprungsbau oft hinter WDVS und dicken Farbschichten verschwindet.
„Wir wollten, dass die Platte auf jeden Fall sichtbar bleibt“, sagt Nanni Grau, Partnerin im Büro Hütten und Paläste. „Dafür sind wir mit den Gebäuden fast denkmalschutzgerecht umgegangen.“ In einem Wettbewerb der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft Nordhausen erhielt das Berliner Büro für diese Zurückhaltung den 1. Preis, zusammen mit ZRS Architekten, herrburg Landschaftsarchitekten und eZeit Ingenieuren. Die Wohngesellschaft hatte 2018 einen nichtoffenen Realisierungswettbewerb ausgelobt, bei dem vier Plattenbauten samt Hof in der thüringischen Stadt Nordhausen für eine Durchmischung der – bisher eher älteren – Bewohnerschaft umgebaut werden sollten. Das gelang dem Team ohne das Budget von 10 Millionen Euro zu überschreiten; andere Teilnehmer hatten damit größere Schwierigkeiten.
Dem Wettbewerb war bereits eine Masterplanung der Büros Teleinternetcafe und HWK Landschaftsarchitektur vorausgegangen. Daher blieb den Teilnehmern vor allem die Detailarbeit an Grundrissen, am Freiraum und an der energetischen Sanierung. Viele griffen zu bekannten Mitteln: dem Anbringen von Laubengängen, dem Zusammenlegen von Wohnungen und dem Nachverdichten im Innenhof.
Das Team um Hütten und Paläste nahm die stärkste Veränderung am östlichen Riegel vor. Das Gebäude des verbreiteten Typs WBS 70 soll zur „flexiblen Mehrwertplatte“ werden; mit Maisonettwohnungen im Erd- und 1. Obergeschoss und einem breiten Laubengang, dessen Fläche sich die Bewohner in den oberen Geschossen aufteilen oder gemeinsam nutzen können.
Bei den zwei nördlichen, aneinander liegenden Gebäuden beließen es die Planer bei kleinen Änderungen wie Öffnungen zum Hof im Erdgeschoss. Auch der westliche Riegel bliebe in seiner Grundstruktur erhalten: Die 1-Zimmer- werden zu 2- bis 3-Zimmerwohnungen zusammengeschaltet und der bereits bestehende Laubengang als Loggia ausgebaut. Für die energetische Sanierung wollen die Planer lediglich den Stromverbrauch und Wärmeverlust des Heizsystems optimieren und Dach, Keller sowie die Wand zur Hofseite dämmen. Den Wänden zur Straße bliebe dadurch ein Zupolstern mit WDVS erspart.
Die richtige Zielgruppe?
Im Hof sehen die Planer zur Freiraumbelebung drei kleine Gebäude vor. Ob diese mit den erwogenen Nutzungen – Gemeinschaftshaus, Gewächshaus, Sauna – tatsächlich realisiert und von den Bewohnern angenommen werden, bleibt abzuwarten. Auch die von vielen Teilnehmern vorgeschlagenen „Gemeinschaftsflächen“, „halböffentlichen Räume“ und „Clusterwohnungen“ wirken eher einem großstädtischen Zeitgeist entsprungen als einer realistischen Bedarfsermittlung für ein Wohnquartier im Norden von Nordhausen. Der 2. Preisträger, das Wiener Büro einszueins, empfiehlt sogar die Gründung einer Genossenschaft, deren Mitglieder über die Zukunft ihrer Platte debattieren und das Anfügen von „Laubengang“- und „Wohnraum-Add-Ons“ entscheiden können.
Trotz manch allzu hoch gesteckter Ziele: Die Ergebnisse liefern dankbare Vorlagen und Anregungen, wie aus einer seriellen Siedlung ein persönlicheres Zuhause werden kann. Es liegt daher nahe, dass es einer Wohnungsbaugesellschaft mit großem Bestand bei dem Verfahren um mehr geht als nur den Umbau von vier Gebäuden. Auch die IBA Thüringen und der EFRE-Fonds der EU unterstützen nicht grundlos das Verfahren: Hält das realisierte Projekt, was die Planungen versprechen, könnte der Gebäudehof bis 2023 zum Modellquartier und Vorzeigestück der Bauausstellung werden.
Nichtoffener Realisierungswettbewerb
1.Preis (32.800 Euro) Hütten und Paläste, Berlin; herrburg, Berlin; eZeit, Berlin; ZRS, Berlin
2.Preis (20.500 Euro) einszueins, Wien; YEWO Landscapes, Wien; E7 Energie Marktanalyse, Wien
3.Preis (12.300 Euro) Buero Kofink Schels, München; Dyvik Kahlen, London; Treibhaus, Hamburg; Bauart, München
Anerkennung (8200 Euro) Atelier Schmezler Weber, Dresden; QuerfeldEins, Dresden; Döking + Purtak, Dresden
Anerkennung (8200 Euro) 03 Architekten, München; ver.de, Freising; Teuber + Viel, München
Juryvorsitz
Ingo Andreas Wolf, Leipzig
Auslober
Städtische Wohnungsbaugesellschaft Nordhausen
Wettbewerbsbetreuung
UmbauStadt
1.Preis (32.800 Euro) Hütten und Paläste, Berlin; herrburg, Berlin; eZeit, Berlin; ZRS, Berlin
2.Preis (20.500 Euro) einszueins, Wien; YEWO Landscapes, Wien; E7 Energie Marktanalyse, Wien
3.Preis (12.300 Euro) Buero Kofink Schels, München; Dyvik Kahlen, London; Treibhaus, Hamburg; Bauart, München
Anerkennung (8200 Euro) Atelier Schmezler Weber, Dresden; QuerfeldEins, Dresden; Döking + Purtak, Dresden
Anerkennung (8200 Euro) 03 Architekten, München; ver.de, Freising; Teuber + Viel, München
Juryvorsitz
Ingo Andreas Wolf, Leipzig
Auslober
Städtische Wohnungsbaugesellschaft Nordhausen
Wettbewerbsbetreuung
UmbauStadt
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