Schmitthenner in Hechingen
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
Schmitthenner in Hechingen
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
Die Bürgerschaft der schwäbischen Kleinstadt wird seit 1958 von einem Spätwerk Paul Schmitthenners (1884–1972) repräsentiert. Doch Pläne zur kommerziellen Belebung des Stadtzentrums bedrohen das Rathaus. Das Gebäude soll zum Eingangsbauwerk eines Einkaufszentrums werden. Kann dem Vandalismus noch Einhalt geboten werden?
Hechingen ist eine Stadt von knapp 20.000 Einwohnern unterhalb der Burg Hohenzollern am Abbruch der Schwäbischen Alb. Von den Zollergrafen im Mittelalter gegründet, entwickelt sie sich zur Residenzstadt und zu einem Kunstzentrum der Renaissance. Fürstliche Förderung bringt eine weitere Blüte im Klassizismus und während der einsetzenden Industrialisierung. Ein Städtchen der schwäbischen Landschaft mit Altstadt, Gassen, Plätzen, Kirche und einem Rathaus. Gegenspieler der Stiftskirche, bildet es den Kopf des langen Marktplatzes. Ein imposanter Bau in Weiß und hellem Grau, entschieden in der Haltung, ausgewogen proportioniert mit Giebel, Uhr und Dachreiter. Unverkennbar meldet sich die Bürgerschaft zu Wort – mit einem Bau von Paul Schmitthenner aus dem Jahr 1958.
„Merkwürdig, wie sich das Leben seit dem Bau verändert hat“, bemerkt Lothar Merkelbach, seinerzeit verantwortlicher Architekt bei Schmitthenner: „Wie war der Platz damals lebendig.“ Womit das Problem beginnt: Das Leben scheint gewichen. Zahlreiche Geschäfte sind verschlossen, Mittagspause und Ladenschluss werden peinlich befolgt, außer am Markttag ist der Platz menschenleer. Das kann der Bürgermeisterin Dorothea Bachmann nicht gleichgültig sein. Und so hat sie – begleitet durch das Projekt „Kleinstadtleben“, angesiedelt im Regierungspräsidium Tübingen – Möglichkeiten einer Revitalisierung gesucht; wenn von privat wegen keine Bewegung, dann eben mit öffentlicher Nachhilfe. Ein „Frequenzbringer“ muss her, für Projektentwickler Udo Schäfer kein Problem: Das Erdgeschoss des Rathauses wird Zugang eines Geschäftszentrums, das sich von hier aus, dem abschüssigen Gelände folgend, entwickelt, in neu aufgeteilte Untergeschosse und auf das angrenzende Grundstück. Insgesamt 3000 Quadratmeter Ladenfläche, darüber Ersatz für die ausgegliederten Büroräume des Rathauses. Rasch, so wird versichert, waren drei potente Interessenten gefunden. Dumm nur, dass die Idee sich ausgerechnet durch das schmale Portal ins Erdgeschoss des Rathauses entwickeln muss, nicht nur Haus der Bürgerschaft, sondern unbestrittenes Meisterwerk Paul Schmitthenners, mit seiner Symmetrie und fein ausgewogenen Erscheinung, baumeisterlich beseelt. Das blieb nicht unwidersprochen. Wolfgang Voigt vom Deutschen Architekturmuseum legt der Bürgermeisterin den Wert des Bauwerks ans Herz. Verglichen mit ähnlichen Bauten überzeuge es „durch die unaufgeregte Reife, Virtuosität der Einpassung, Raffinesse der Anlage“. Man denkt an den Platz in Pienza, an das Rathaus in Augsburg. Lothar Merkelbach betont „das räumliche Konzept: die durch drei Geschosse reichende offene Treppenhalle“, die den Besucher mit den Zeilen „Daheim regierten sie sich fröhlich selbst nach altem Brauch und eigenem Gesetz“ des Schwaben Friedrich Schiller empfängt. Inhalt und Form in seltener Einheit – kann da ein Eingriff, noch dazu ein grundlegender, anderes als zerstören? Zahlreiche Fachleute aus nah und fern – darunter Koos Bosma, Adrian von Butlar, Bruno Reichlin, Matthias Schirren, Wolfgang Sonne – legen Einspruch ein. Die örtliche Kammergruppe widerspricht einstimmig. Ausdruck, Sinnhaftigkeit und Würde des Baus sieht Roland Ostertag dem Kommerz geopfert und Hechingen um seine Zukunft gebracht. Dieser Proteststurm hat wohl die Hechinger selbst am meisten überrascht – sie wissen nun, was sie haben. Noch denkt das Denkmalamt. Dem Vernehmen nach wird das Rathaus gemäß §12 des Denkmalschutzgesetzes als herausragendes Kulturdenkmal eingestuft. Lokale Geschäftsleute betonen, dass fremde Investoren nicht über ihre leeren Geschäftsräume verfügen können, die Stadt dagegen doch mit ihrem Gebäude „etwas anfangen“ solle, andernfalls Abwanderung drohe. Kommentatoren üben sich in Sarkasmus und warnen vor Bedenkenträgern und Blockieren, die Hechingen eine Käseglocke, den Mief der fünfziger Jahre und Siechtum des Handels bescherten. Wen diese „Befreiung“ nicht beeindruckt, bekommt – wenn’s auch zur Sache gar nichts tut – vorgehalten: Schmitthenner, der „Nazi-Architekt“. Dass man da nicht gleich drauf gekommen ist! Gestalterische Qualität und politische Verstrickung, das geht ja gar nicht! „Die Leute sollen das ruhig wissen“, trompetet SPD Fraktionsführer Jürgen Fischer. Die neue Koalition: Biedersinn und Krämergeist?
Was also haben die Hechinger? Sie haben einen handfesten Disput. Die Bürgermeisterin sagt: „Wir haben eine Diskussion, wie sie vorher nicht war, jetzt dreht sich der Wind. Anlieger ergreifen die Initiative.“ Man versucht, die Flächen auf anderem Weg zusammenzubringen. Sie weiß: Leicht wird das nicht, aber – „die Leute überlegen jetzt was“. Die Stadt und ihre Geschichte wird Thema, ein Café am Platz, Übernachtungen für Radtouristen – Ideen kommen zusammen. Man meint, Dynamik zu spüren, die unerwartete Resultate zeitigt. „Ich war begeistert von dem Projekt“, räumt die Bürgermeisterin ein, „doch das Ding ist für mich gestorben.“ Selbstmitleid jedoch ist ihre Sache nicht: Animieren, selber aktiv werden, Bürgergeist wecken, das Städtchen aus dem Dornröschenschlaf wecken – das hat sie sich vorgenommen. Hört man das in all den Ämtern und Referaten mit ihren Impulsprogrammen, die Architektenschaft mit all ihren Körperschaften eingeschlossen?
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