So wird es nicht gehen
Lübeck will das im Krieg zerstörte Gründungsviertel auf den alten Parzellen wieder erstehen lassen. Das Ergebnis des zugehörigen Fassaden-Wettbewerbs wirkt wie ein Kostümfest
Text: Finke, Manfred, Lübeck
So wird es nicht gehen
Lübeck will das im Krieg zerstörte Gründungsviertel auf den alten Parzellen wieder erstehen lassen. Das Ergebnis des zugehörigen Fassaden-Wettbewerbs wirkt wie ein Kostümfest
Text: Finke, Manfred, Lübeck
Lübeck will einen Teil des kriegszerstörten „Gründungsviertels“ neu bebauen. In diesem Quartier der Altstadt begann im späten 12. Jahrhundert Lübecks Aufstieg zum Vorort der Hanse. Bis zum Brandbomben-Angriff 1942 standen hier bedeutende Giebelhäuser, aus der späten Romanik bis zum Klassizismus. Vielen Stadtgründungen im Ostseeraum diente ihre Anlage als Vorbild. Die Nachkriegsbebauung erfolgte in völliger Abkehr von der früheren Dichte. Zwischen 1954 und 1957 enstanden hier zwei Berufsschulen in aufgelockert-vorstädtischer Bauweise.
Ein Schulentwicklungsplan stufte vor rund 15 Jahren beide Schulbauten als „nicht modernisierungsfähig“ ein. Und die Denkmalpflege wagte es nicht, zumindest den architektonisch besseren Bau des Göttinger Architekten Dietz Brandi unter Schutz zu stellen. Hinzu kam, dass das 2008 vom Bund aufgelegte „Förderprogramm Welterbestätten“ den Lübecker Archäologen 10 Millionen Euro bescherte. Ein weiterer Grund, die beiden Berufsschulen abzureißen, denn unter ihnen waren viele mittelalterliche Mauerbefunde erhalten geblieben. Von 2010 bis 2014 fraß sich die größte „Stadtkern-Grabung aller Zeiten“ durch das beräumte Gelände. Danach waren fast alle Mauerbefunde verschwunden.
Die Bauverwaltung hatte unterdessen ein „Experten-Gremium“ berufen, das die Zukunft des Gründungsviertels erörtern soll. Der ca. 20-köpfige Arbeitskreis aus Vertretern der Bürgerschaft, der Bauverwaltung und der Wirtschaft, sowie Architekten und Mitgliedern der „Bürgerinitiative Rettet Lübeck“ plädierte für einen Wiederaufbau des alten Gründungsviertels in geschlossener Bebauung und in den originalen Hausbreiten. Die Idee fand in der Öffentlichkeit breiten Widerhall. Bauverwaltung, Gestaltungsbeirat und Politik schwenkten langsam auf diese Linie ein.
Seit 2014 stehen die Regeln fest: Im neuen Quartier soll vorwiegend gewohnt werden. Im Erdgeschoss ist Gewerbe vorgesehen. Es sollen giebelständige Einzelhäuser mit steilen Satteldächern an den alten Fluchtlinien auf den historischen Parzellen gebaut werden. Unter den Prämissen der Gestaltungssatzung - Massivbau
mit Lochfassade in traditionellen Materialien, keine Stockwerk-übergreifenden Öffnungen, ein Mindestmaß an Plastizität, eine latente Symmetrie – soll eine dennoch „zeitgemäße moderne“ Architektur entstehen. An den Rückseiten der Häuser, die viel weniger Tiefe haben als die ursprünglichen, sind je nach Breite der Häuser auch Flügel-Anbauten und Querhäuser erlaubt. Erwünscht sind private Bauherrn oder Baugemeinschaften. Die Parzellen werden nur einzeln verkauft, es dürfen nicht zwei oder mehr Parzellen nebeneinander in „einer Hand“ sein. Die Vermarktung übernimmt die städtische Grundstücksgesellschaft TRAVE voraussichtlich ab Juni 2015.
mit Lochfassade in traditionellen Materialien, keine Stockwerk-übergreifenden Öffnungen, ein Mindestmaß an Plastizität, eine latente Symmetrie – soll eine dennoch „zeitgemäße moderne“ Architektur entstehen. An den Rückseiten der Häuser, die viel weniger Tiefe haben als die ursprünglichen, sind je nach Breite der Häuser auch Flügel-Anbauten und Querhäuser erlaubt. Erwünscht sind private Bauherrn oder Baugemeinschaften. Die Parzellen werden nur einzeln verkauft, es dürfen nicht zwei oder mehr Parzellen nebeneinander in „einer Hand“ sein. Die Vermarktung übernimmt die städtische Grundstücksgesellschaft TRAVE voraussichtlich ab Juni 2015.
Ideen für die Straßenfassaden sollte ein europaweiter Architektenwettbewerb liefern. Die Auslobung forderte unabhängig von einer bestimmten Adresse einen „Dreier-Entwurf“, also je eine Fassade für eine breite, eine weniger breite und eine schmale Straßenfront. Aus den prämierten Typen-Entwürfen können sich die Grundstückskäufer bedienen. Sie dürfen aber auch einen eigenen Entwurf beauftragen, der dann vom Gestaltungsbeirat zu prüfen ist. Auch die Rekonstruktion einer bis 1942 bestehenden Fassade ist möglich.
133 Büros aus ganz Europa nahmen am Wettbewerb teil. Anfang Februar prämierte die Jury acht Preisträger und sechs „lobende Anerkennungen“. Da wimmelt es von Renaissance-Treppengiebeln mit stichbogigen Luken, man sieht „gotische“ Hochblenden, barocke, konkav-konvexe Giebelkonturen und klassizistische Horizontalität. Kim Nalleweg Architekten zum Beispiel bieten einen neobarocken Schweifgiebel über geschosshohen Riesenfenstern, daneben eine Art Speicherfront mit rundbogigen Luken. Christoph Mäckler Architekten machen die Rück- oder Hof-Fassade des historischen Lübecker Dielenhauses zur Straßenfront, erkennbar an einer hohen (Hof-)Fensterwand und dem als Blende rechts aufgesetzten Flügel-Ansatz. Berkhoff/Löser Lott Architekten schicken 17 rundbogige Riesenfens-ter in vier Etagen ins Rennen, die Schweden Hermansson Hiller Lundberg fröhliche Giebel-Umrisse in konvex-konkav und Anne Hangebruch Treppengiebel in 20er Jahre Klinkerästhetik. Manche Wahl erscheint fragwürdig. Dass viele der Vorschläge, die Geschichte vorgeben, erst nach dem zweiten Durchgang rausfielen, spricht für eine starke Tendenz zum Historisieren in der Jury.
In der Wettbewerbsausstellung waren die prämierten Ansichten zu einer Straßen-Abwicklung zusammengesteckt. Da fuhr so manchem der Schreck in die Glieder. Eine derartige Muster-Schau der Neo-Stile kann niemand gewollt haben.Bleibt zu hoffen, dass hier noch Klärung erfolgt.
Wünschenswert ist mehr Ruhe, mehr Unangestrengtheit. Feine Ideen dazu findet man unter den Beiträgen, die ausgesiebt wurden: Da ist zum Beispiel der Entwurf von Motta-Stapenhorst, der ohne Historismus-Anleihen auskommt. Oder der Vorschlag von Dejozé & Dr. Ammann, der wohl wegen der alternierenden Wand- und Glasflächen und der unmotivierten oberen Abschlüsse ausschied. Dennoch: Mehr selbstverständliche Entwürfe wie den der Lübecker Architekten Konermann + Siegmund zu prämieren, wäre schon ein Zeichen gewesen. Das „Selbstverständliche“ indes ist kein Wert an sich: Nur in einer ruhigen Abwicklung wäre die von vielen gewünschte „archäologisch getreue“ Rekonstruktion der einen oder anderen 1942 zerstörten Fassade glaubhaft. Die im Wettbewerb gewählte Neo-Stil-Parade scheint indes entschieden. Man muss sich angesichts der Sieger-Fassaden die Frage stellen, ob man sie auch in zehn Jahren noch ertragen kann.
Offener einstufiger Ideenwettbewerb
Preise (je 4250 Euro)
Preise (je 4250 Euro)
Thomas Fischnaller, Berlin
Konermann + Siegmund Architekten, Hamburg/Lübeck
Haberland Architekten, Berlin
Berkhoff/Löser Lott Architekten, Berlin
Christoph Mäckler Architekten, Frankfurt a.M.
Anne Hangebruch, Berlin
Helge Tischler, Hamburg
Max Nalleweg Architekten mit Kyung-Ae Kim-Nalleweg,
Berlin
Anerkennungen (je 2000 Euro)
Althen Architekten, Hamburg
ARGE Meramer und Ekinci, Zürich
Henrik Weber, Hamburg
Stricker Architekten, Hannover
Hermansson Hiller Lundberg, Stockholm
TPMT Architekten, Berlin
Konermann + Siegmund Architekten, Hamburg/Lübeck
Haberland Architekten, Berlin
Berkhoff/Löser Lott Architekten, Berlin
Christoph Mäckler Architekten, Frankfurt a.M.
Anne Hangebruch, Berlin
Helge Tischler, Hamburg
Max Nalleweg Architekten mit Kyung-Ae Kim-Nalleweg,
Berlin
Anerkennungen (je 2000 Euro)
Althen Architekten, Hamburg
ARGE Meramer und Ekinci, Zürich
Henrik Weber, Hamburg
Stricker Architekten, Hannover
Hermansson Hiller Lundberg, Stockholm
TPMT Architekten, Berlin
Fachpreisrichter
Jörg Springer (Vorsitz), Berlin; Thomas Will, Dresden;
Helmut Riemann, Lübeck; Jórunn Ragnarsdóttir,
Stuttgart; Nicola Petereit, Lübeck; Reiner Nagel, Potsdam; Franz-Peter Boden, Bausenator Lübeck
Jörg Springer (Vorsitz), Berlin; Thomas Will, Dresden;
Helmut Riemann, Lübeck; Jórunn Ragnarsdóttir,
Stuttgart; Nicola Petereit, Lübeck; Reiner Nagel, Potsdam; Franz-Peter Boden, Bausenator Lübeck
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