Bauwelt

Straßburg am Rhein?

Eine neue Stadtplanung soll Straßburg am alten Hafen auf einer Fläche von 280 Hektar bis an den Rhein heranschieben. Schon spricht man von einer „Rhein-Metropole“, doch das bebaubare Uferstück ist viel zu kurz

Text: Kabisch, Wolfgang, Paris

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Südöstlich von Straßburg entwickelt sich ein aus­gedehntes Neubaugebiet bis zum Rhein. Eine neue Straßenbahnlinie wird in Kehl enden.
Abb.: Agence TER/51N4E

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Südöstlich von Straßburg entwickelt sich ein aus­gedehntes Neubaugebiet bis zum Rhein. Eine neue Straßenbahnlinie wird in Kehl enden.

Abb.: Agence TER/51N4E


Straßburg am Rhein?

Eine neue Stadtplanung soll Straßburg am alten Hafen auf einer Fläche von 280 Hektar bis an den Rhein heranschieben. Schon spricht man von einer „Rhein-Metropole“, doch das bebaubare Uferstück ist viel zu kurz

Text: Kabisch, Wolfgang, Paris

Kurz bevor man von Deutschland aus nach Straßburg kommt, überquert man den Rhein. Die Stadt selbst liegt jedoch an der Ill. Dieser Fluss hat so viele Arme und Seitenkanäle, dass er omnipräsent ist und viel zum Charme der elsässischen Großstadt beiträgt. Wirtschaftlich sieht das völlig anders aus. Der Rheinhafen – zwischen den beiden Flüssen gelegen – ist der zweitgrößte Binnenhafen Frankreichs und bietet heute immer noch gut 10.000 Arbeitplätze. Allein wegen des Steueraufkommens ist die Verbindung zum Rhein für die Stadt wesentlich. Kein Wunder, dass jede Veränderung der Hafenstruktur auf die Planungen von Straßburg durchschlägt.
Der zweite entscheidende Einflussfaktor für die gesamte Region ergibt sich aus der Grenzlage. Die Entfernung zwischen den Zentren von Kehl auf der deutschen Seite und Straßburg beträgt nicht einmal zehn Kilometer. Historisch gesehen gab es gute, schlechte und sehr schlechte Zeiten. Doch während das gegenseitige Verhältnis immer eher kompliziert war und selbst das wichtige Schengener Abkommen nur langsam atmosphärische Verbesserungen bewirkte, entdeckt man zunehmend Gemeinsamkeiten. Wirtschaftliche wie verkehrstechnische Interessen erweisen sich als ähnlich, seitdem die europäische West-Ost-Achse an Bedeutung gewonnen hat. Der französische Hochgeschwindigkeitszug TGV verbindet seit kurzem Paris mit dem Elsass in kaum mehr als zwei Stunden. Bis Frankfurt, Stuttgart oder München ist es nicht mehr weit. Kurz: Straßburg, Kehl und die Region Ortenau könnten sich kurzfristig zu einem bedeutenden Knotenpunkt entwickeln.
Das hat man im Straßburger Rathaus frühzeitig erkannt. Nach einer ersten Phase der Stadterweiterung entlang des Ill-Rheinhafen-Kanals mit den Magneten Kinocenter, Mediathek, Einkaufszentrum sowie einem Tanz- und Musikzentrum und mit Wohnungsbau, bieten jetzt zusätzlich frei werden­-de Industrieflächen im Hafen die Chance, das größte Stadtplanungsprojekt Frankreichs außerhalb von Paris Realität werden zu lassen. Vor zwei Jahren gründete man die Entwicklungsgesellschaft „SPL – Deux Rives (Zwei Ufer)“, die die Grenzstädte mit einer Art Korridor zwischen den noch aktiven Hafenbetrieben im Norden und Süden planerisch verbinden soll. Konkret geht es auf französischer Seite kurzfristig um die Bebauung bzw. Umwandlung von 250 Hektar Fläche. 9000 neue Wohnungen sind vorgesehen und 8500 neue Arbeitsplätze. Beeindruckende Zahlen!
Vier Stadtviertel sind in Planung: Citadelle, Starlette, Coop, Port & Rives du Rhin (Rheinhafen). Dabei hat sich Straßburg entschlossen, die Zahl der staatlich garantierten 1700 neuen Wohneinheiten pro Jahr nahezu zu verdoppeln. Architektonisch und bautechnisch findet man hier alles, was zurzeit in der Diskussion steht: Kostengünstiges und energiesparendes Bauen, Holzkonstruktionen, partizipative Wohnprojekte, Grün am Bau, Verkehrsberuhigung. Daneben werden Freizeit- und Erholungseinrichtungen ausgebaut. Begriffe wie Innovation und Ecocité werden gerne und sicherlich viel zu viel bei den Projekten eingesetzt. Interessanterweise sind kaum Stararchitekten am „neuen Straßburg“ beteiligt. Gebäude mit formaler Sig­nalwirkung fehlen nahezu vollständig. Das Herzstück der Stadtplanung bildet das Areal „Coop“. Exakt in der Mitte zwischen den beiden Stadtzen­tren gelegen gehört das ehemalige Lager- und Auslieferungszentrum der 1912 hier gegründeten Handelskooperative heute der Entwicklungsgesellschaft der Stadt. Ein Teil wird als Kulturzentrum mit Ateliers, Veranstaltungssälen, Restaurant und Büros genutzt, ein anderer als Lager der städtischen Museen – das bekannte Umnutzungsprogramm für Industrie­bra­chen. 20 Millionen Euro investiert die Stadt, 160 Millionen der Gesamtkos­ten werden durch Verkäufe an Investoren erwirtschaftet. Wenn der Plan aufgeht!
Entscheidendes Verbindungsglied und Beschleuniger des Aufbruchs bis zum Ufer des Rheins soll eine Straßenbahnlinie sein, die bereits ab dem nächsten Frühjahr die vier neuen Stadtviertel bedienen wird und auf einer eigenen Brücke den Rhein überquert. Mit ihrer Endhaltestelle verbindet sie Frankreich und Deutschland. Allein dieses konkrete Projekt verdeutlicht die Ernsthaftigkeit, mit der die immensen Aufgaben angegangen werden, aber auch die großen Schwierigkeiten einer binational abzustimmenden Realisierung. Trassierungsvorgaben, Brückenbau, Sicherheits- und Signaltechnik, Stromstärken: Nahezu jedes Detail unterliegt in den beiden europäischen Ländern unterschiedlichen Normen. Zur Vereinfachung hat man sich entschlossen, die gesamte Strecke unter französischer Federführung bauen zu lassen. Ist aber die Fahrstromlieferung über ein grenzüberschreitendes Oberleitungskabel legal? Und mit welchem Mehrwertsteuersatz versieht man Rechnungen für die aus Frankreich zugelieferte Energie im Kehler Haushalt? Berührt man in Gesprächen nur einige der unzähligen Schwierigkeiten des Großprojekts, erfolgt oft der Hinweis, dass Straßburg ja auch als erste Stadt Frankreichs nach dem Krieg eine neue Straßenbahn geplant habe. Damals geschah dies gegen großen Widerstand – heute wird es weltweit nachgeahmt. Bei so viel Euphorie verzeiht man den kleinen Etikettenschwindel „Strasbourg, de la ville rhé­nane à la métropole sur le Rhin“ schnell. Von einer Rhein-Metropole ist die Stadt noch weit entfernt und das heute zur Verfügung stehende Uferstück ist für eine markante Skyline viel zu kurz.
Fakten
Architekten Agence TER/51N4E
aus Bauwelt 32.2016
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