Unreife Früchte
Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig
Text: Külbel, Dorothea, Berlin
Unreife Früchte
Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig
Text: Külbel, Dorothea, Berlin
Am 9. Oktober 2014, dem 25. Jahrestag der großen Montagsdemonstration, soll in Leipzig ein Freiheits- und Einheitsdenkmal eingeweiht werden. Ein Wettbewerb stellt drei Szenarien zur Auswahl. Die Leipziger sind ganz aus dem Häuschen. Zu Recht.
Ein Denkmal, das an die Vereinigung Deutschlands durch die Friedliche Revolution 1989 erinnert, wünscht sich die Bundesrepublik schon seit dem zehnten Jahrestag Ende der Neunziger Jahre. Zwei Wettbewerbsanläufe benötigte die Stadt Berlin, bis entschieden war: Es soll eine goldene Wippe auf den Sockel von Kaiser Wilhelm I. (Bauwelt 39–40.2010). Seitdem ist es still geworden in der Hauptstadt. In Leipzig jedoch, kocht die Diskussion um das Thema gerade wieder hoch.
Was ist geschehen? Am 9. Oktober 1989 forderten auf dem Leipziger Promenadenring 70.000 Demonstranten das Ende des SED-Regimes. Es war der Höhepunkt der Friedlichen Revolution. In Erinnerung an diesen Tag forderte der Bundestag die Bundesregierung Ende 2008 auf, das Engagement der Leipziger mit einem Denkmal gesondert zu würdigen. Fünf Millionen Euro wurden bereitgestellt. Der Freistaat Sachsen gab 1,5 Millionen Euro hinzu. Nach einer mehrmonatigen Debatte legte der Leipziger Stadtrat vor einem Jahr den etwa 20.000 Quadratmeter großen Wilhelm-Leuschner-Platz als Standort fest. Ob sich die Demonstrationszüge hier an besagtem Tag vereinigten oder doch eher auflösten, erzählt jeder anders. Obwohl sich der Leuschnerplatz am Innenstadtring befindet, liegt er seit Jahrzehnten brach und bietet somit Architekten und Künstlern genug Freiraum zum Gestalten. In einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren wurden die 325 Kandidaten auf 39 Teilnehmer reduziert, davon drei Büros aus Leipzig und 15 aus dem Ausland. Dank einer konkreten Auslobung sind die Entwürfe durchdachter und greifbarer, als das im Berliner Wettbewerb mit über 500 Einsendungen der Fall war. Die meisten Teilnehmer setzen auf eine aktive Nutzung durch die Bürger und nicht auf das Für-sich-Sprechen einer Plastik.
Denkmal, um mit Demokratie zu experimentieren
Vor einem Monat wählte die Jury unter Vorsitz des Landschaftsarchitekten Henri Bava drei Preisträger aus. Die Münchner M+M (1. Preis) legen quer über den Platz eine fußballfeldgroße Fläche verschiedenfarbiger Fliesen an, auf der ebenso viele Hocker stehen. Diese können mitgenommen werden und sollen so den Gedanken der Demokratie weitertragen. Der zweite Preis ist weitaus vielschichtiger. realities:united aus Berlin wollen eine Stiftung gründen, deren Aufgabe es ist, Demonstrationen weltweit analog und digital zu dokumentieren. Die Daten sollen als farbige Kreisdiagrammsegmente sichtbar gemacht werden und überlagern sich jedes Jahr neu. Je größer die Demonstration war und je länger sie gedauert hat, desto größer würde auch die Fläche auf dem Platz. Die in Leipzig ansässigen Künstlerinnen Anna Dilengite, Tina Bara und Alba d’Urbano hingegen möchten in einer künstlichen Hügellandschaft eine Apfelplantage anlegen (3. Preis). Die Ernte soll jeden Herbst als Ritual zelebriert werden.
Obwohl oder gerade weil die Leipziger im Vorfeld durch Werkstattgespräche und Bürgerforen auf das Verfahren vorbereitet wurden, löste die Entscheidung heftige Reaktionen aus. Auf der Einwohnerversammlung am 13. Juli mokieren sich um die 50-Jährige an den im Festsaal des Rathauses bereitgestellten Mikrofonen: „Sind wir hier im Kindergarten? Dieses bunte Schachbrett regt mich auf“. „Also wenn ich mich jetzt entscheiden müsste, würde ich den Park nehmen. Da kann man wenigstens spazieren gehen.“ Viele kritisieren, dass die ersten beiden Preise die Realität verniedlichen würden.
Während ich mir das anhöre, habe ich das Gefühl, für Kritik nicht legitimiert zu sein, da ich damals meine ersten Schritte am Dresdner Elbufer ausprobierte. Ich wuchs in einem Umfeld auf, welches mit den Ereignissen gut vertraut ist, trotzdem habe ich nichts bewusst miterlebt. In einer repräsentativen Umfrage, die das Amt für Statistik und Wahlen Anfang 2011 unter 3000 Einwohnern Leipzigs veranstaltete, wird deutlich, dass die Bedeutung der Friedlichen Revolution für die eigene Biografie höher eingeschätzt wird, als die Bedeutung des Denkmals für die Stadt oder für zukünftige Generationen. Doch müssen Zeitzeugen an ihre Erinnerung erinnert werden? Sollten nicht eher nachfolgende Generationen verstehen, dass die Einheit Deutschlands nicht selbstverständlich ist? Kann ein Denkmal, so subtil es ausgebildet sein mag, überhaupt vermitteln, was Demokratie bedeuten kann? Der Sinn eines materiellen Denkmals bleibt mir unklar. Besser gefällt mir da der Wettbewerbsbeitrag von Santiago Sierra aus Madrid. Er erklärt den Leuschnerplatz zum exterritorialen Gebiet, in dem die geltende Rechtsordnung dauerhaft außer Kraft gesetzt wird. Hier könnten sich Experimente im politischen Miteinander abspielen. Doch die Jury hat seinen Vorschlag außer Konkurrenz gestellt.
Bis Herbst 2013 wertet der Stadtrat die Ergebnisse aus dem VOF-Verfahren aus und entscheidet sich dann für einen Entwurf. Inzwischen hat die Stadt Leipzig das Online-Forum freigeschaltet. Über fünfhundert Kommentare gibt es bereits zu den Preisträgern. Noch bleibt Zeit zum Diskutieren.
Was ist geschehen? Am 9. Oktober 1989 forderten auf dem Leipziger Promenadenring 70.000 Demonstranten das Ende des SED-Regimes. Es war der Höhepunkt der Friedlichen Revolution. In Erinnerung an diesen Tag forderte der Bundestag die Bundesregierung Ende 2008 auf, das Engagement der Leipziger mit einem Denkmal gesondert zu würdigen. Fünf Millionen Euro wurden bereitgestellt. Der Freistaat Sachsen gab 1,5 Millionen Euro hinzu. Nach einer mehrmonatigen Debatte legte der Leipziger Stadtrat vor einem Jahr den etwa 20.000 Quadratmeter großen Wilhelm-Leuschner-Platz als Standort fest. Ob sich die Demonstrationszüge hier an besagtem Tag vereinigten oder doch eher auflösten, erzählt jeder anders. Obwohl sich der Leuschnerplatz am Innenstadtring befindet, liegt er seit Jahrzehnten brach und bietet somit Architekten und Künstlern genug Freiraum zum Gestalten. In einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren wurden die 325 Kandidaten auf 39 Teilnehmer reduziert, davon drei Büros aus Leipzig und 15 aus dem Ausland. Dank einer konkreten Auslobung sind die Entwürfe durchdachter und greifbarer, als das im Berliner Wettbewerb mit über 500 Einsendungen der Fall war. Die meisten Teilnehmer setzen auf eine aktive Nutzung durch die Bürger und nicht auf das Für-sich-Sprechen einer Plastik.
Denkmal, um mit Demokratie zu experimentieren
Vor einem Monat wählte die Jury unter Vorsitz des Landschaftsarchitekten Henri Bava drei Preisträger aus. Die Münchner M+M (1. Preis) legen quer über den Platz eine fußballfeldgroße Fläche verschiedenfarbiger Fliesen an, auf der ebenso viele Hocker stehen. Diese können mitgenommen werden und sollen so den Gedanken der Demokratie weitertragen. Der zweite Preis ist weitaus vielschichtiger. realities:united aus Berlin wollen eine Stiftung gründen, deren Aufgabe es ist, Demonstrationen weltweit analog und digital zu dokumentieren. Die Daten sollen als farbige Kreisdiagrammsegmente sichtbar gemacht werden und überlagern sich jedes Jahr neu. Je größer die Demonstration war und je länger sie gedauert hat, desto größer würde auch die Fläche auf dem Platz. Die in Leipzig ansässigen Künstlerinnen Anna Dilengite, Tina Bara und Alba d’Urbano hingegen möchten in einer künstlichen Hügellandschaft eine Apfelplantage anlegen (3. Preis). Die Ernte soll jeden Herbst als Ritual zelebriert werden.
Obwohl oder gerade weil die Leipziger im Vorfeld durch Werkstattgespräche und Bürgerforen auf das Verfahren vorbereitet wurden, löste die Entscheidung heftige Reaktionen aus. Auf der Einwohnerversammlung am 13. Juli mokieren sich um die 50-Jährige an den im Festsaal des Rathauses bereitgestellten Mikrofonen: „Sind wir hier im Kindergarten? Dieses bunte Schachbrett regt mich auf“. „Also wenn ich mich jetzt entscheiden müsste, würde ich den Park nehmen. Da kann man wenigstens spazieren gehen.“ Viele kritisieren, dass die ersten beiden Preise die Realität verniedlichen würden.
Während ich mir das anhöre, habe ich das Gefühl, für Kritik nicht legitimiert zu sein, da ich damals meine ersten Schritte am Dresdner Elbufer ausprobierte. Ich wuchs in einem Umfeld auf, welches mit den Ereignissen gut vertraut ist, trotzdem habe ich nichts bewusst miterlebt. In einer repräsentativen Umfrage, die das Amt für Statistik und Wahlen Anfang 2011 unter 3000 Einwohnern Leipzigs veranstaltete, wird deutlich, dass die Bedeutung der Friedlichen Revolution für die eigene Biografie höher eingeschätzt wird, als die Bedeutung des Denkmals für die Stadt oder für zukünftige Generationen. Doch müssen Zeitzeugen an ihre Erinnerung erinnert werden? Sollten nicht eher nachfolgende Generationen verstehen, dass die Einheit Deutschlands nicht selbstverständlich ist? Kann ein Denkmal, so subtil es ausgebildet sein mag, überhaupt vermitteln, was Demokratie bedeuten kann? Der Sinn eines materiellen Denkmals bleibt mir unklar. Besser gefällt mir da der Wettbewerbsbeitrag von Santiago Sierra aus Madrid. Er erklärt den Leuschnerplatz zum exterritorialen Gebiet, in dem die geltende Rechtsordnung dauerhaft außer Kraft gesetzt wird. Hier könnten sich Experimente im politischen Miteinander abspielen. Doch die Jury hat seinen Vorschlag außer Konkurrenz gestellt.
Bis Herbst 2013 wertet der Stadtrat die Ergebnisse aus dem VOF-Verfahren aus und entscheidet sich dann für einen Entwurf. Inzwischen hat die Stadt Leipzig das Online-Forum freigeschaltet. Über fünfhundert Kommentare gibt es bereits zu den Preisträgern. Noch bleibt Zeit zum Diskutieren.
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