Weg damit!
Text: Kabisch, Wolfgang, Paris
Weg damit!
Text: Kabisch, Wolfgang, Paris
Was ist los mit den Künstlern und Kuratoren der 55. Kunstbiennale in Venedig? Sie bohren Löcher in die Fußböden der Ausstellungshäuser, vermauern Eingänge, reißen Fassaden heraus, simulieren den Untergang gleich sämtlicher Länderpavillons in den Fluten der Lagune. Ein Versuch, sich dieser kreativen Zerstörungswut zu nähern
Man will ja erst einmal nur hinein in den Deutschen Pavillon. Doch das wird schwierig. Der Haupteingang ist zugemauert. Man muss sich an der langen Besucherschlange orientieren, um einen Hintereingang zu finden. Ist man endlich drinnen, steht man unvermittelt vor dem französischen und nicht vor dem deutschen Biennale-Beitrag. Macht das Sinn? Es soll hier nicht noch einmal um Sinn oder Unsinn des Tauschs ihrer Kunst-Vertretungen zwischen Franzosen und Deutschen in Zeiten der Globalisierung gehen. Es sind die vielen kleinen und großen architektonischen Veränderungen in den Giardini, die bei dieser 55. Kunstschau in Venedig so ins Auge fallen, dass sie eine eigene Betrachtung wert sind.
Israel und Russland bohren große Löcher in ihre Fußböden. Das Prinzip ist nicht neu, und in Verbindung mit den raumgreifenden Installationen von Gilad Ratman bzw. Vadim Zakharov sind das eher kleine Eingriffe. Die Amerikaner entfernen dann schon eine Wand ihrer klassizistischen Behausung vollständig, was die Wahrnehmung von Außen- und Innenraum verwischt. Beides „bespielt“ Sarah Sze mit ihren filigranen Kunstwerken aus Alltagsgegenständen. Das Ganze – die Architektur inklusive – wird zu ihrer Arbeit. Im Nordischen Pavillon ist gleich die komplette Front verschwunden. Es fehlen die charakteristischen großen Glasscheiben. Stattdessen verändern schwarze Plastikbahnen Erscheinungsbild und Raumaufteilung der Architektur von Sverre Fehn in einer Weise, dass man sie kaum wiedererkennt. „Warum denn nicht?“, kann man fragen. Ganz einfach: Weil die Arbeit der Künstlerin Terike Haapoja den Sinn dieser Veränderung nur sehr begrenzt verstehen lässt.
Und dann die Dänen. Weit radikaler noch als seine Künstlerkollegen greift Jesper Just in Form und Erschließung des Pavillons ein. Zunächst muss man an der Schmalseite anstehen, danach sich zwischen vermauerten Säulen und der Rückwand des Gebäudes durchzwängen. Noch eine kleine Gartenpassage. Schließlich kann man durch eine aufgebrochene Wand eintreten. Doch auch hier fühlt man sich wie auf einer Baustelle. Durchbrüche, Schutt und schwarz-weiße Videoprojektionen. Sie zeigen ein menschenleeres Paris. Ab und zu streifen drei Afrikaner durch die sich gleichzeitig im Zustand des Verfalls wie des Aufbaus befindliche Stadt. Plötzlich begreift man: Das ist nicht Paris/Frankreich (auch nicht Paris/Texas); es ist Paris/China. Ein Nachbau, den man in Hangzou finden kann, ein verwirrender Kommentar zu unserer Vorstellung von Ort und ortspezifischer Kultur.
Damit sind wir mittendrin im Thema. Vor beinahe hundert Jahren wurden die ersten Pavillons in den Giardini nicht nur als nationale Vertretungen in einer architektonisch länderspezifischen Form errichtet. Ihre wechselnden Inhalte sollten auch einen Einblick in das jeweils aktuelle Kunstschaffen eines anderen Landes ermöglichen. Das war aufgrund der begrenzten Reichweite der Medien jener Zeit ein nachvollziehbarer Ansatz. Doch nicht nur als Schaufenster waren die 29 Pavillons sinnvoll. Der geniale Einfall, die einzelnen Staaten den Baugrund kaufen und die Pavillons selbst unterhalten zu lassen, sicherte der Biennale das Überleben in ökonomisch schwierigen Zeiten.
Heute müssen sich nicht nur die Biennalebesucher, sondern vor allem die Künstler und Kuratoren unter völlig veränderten kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen mit diesem Erbe herumschlagen. Was das bedeutet, können wir Deutsche gut beurteilen. Der Abbruch unseres Pavillons wird regelmäßig gefordert. Die Nationalsozialisten hatten den einstigen Bayerischen Pavillon in den von „Germania“ umgebaut. Mit seiner Geschichte müssen sich die eingeladenen Künstler in ihren Werken auseinandersetzen. Dabei entstanden glücklicherweise oft künstlerische Höchstleistungen. Hans Haacke etwa, der 1993 den steinernen Boden aufschlug und Germania an die Rückwand schrieb, erhielt für diese Arbeit einen goldenen Löwen.
Sieht man sich die benachbarten englischen und französischen – „nationale Käfige“ genannten – Bauwerke auf dem venezianischen „Feldherrnhügel“ an, entsprechen auch sie kaum mehr dem Bild, das diese Länder von sich vermitteln wollen. Deshalb galt lange Zeit eine strikte Trennung von Innen und Außen als die einfachste Lösung. Benutzte der Künstler die Räume als White Cube, waren sie und die Betrachter vor äußeren Einflüssen und Bezügen „geschützt“. Doch dass diese von der Moderne entwickelte Neutralität nur scheinbar eine solche ist und durch andere Abhängigkeiten erkauft wird, hat Brian O’Doherty in seinen Artforum-Artikeln 1976 nachvollziehbar dargelegt. Kunst darf sich nicht absichtlich vom täglichen Leben isolieren. Damit ist dieser Ausweg den Biennale-Künstlern weitgehend blockiert.
Im chilenischen Ausstellungsraum des Arsenale lässt Alfredo Jaar alle paar Minuten das Model der Giardini im Maßstab 1:60 mit all ihren Nationen-Pavillons in einem Wasserbassin untergehen. Für ihn symbolisiert und reproduziert die künstliche Landschaft der Biennale die Machtverhältnisse einer vergangenen Zeit, die heute die Entwicklung kleinerer Staaten behindere. Also weg damit! So radikal gehen die Künstler, die in diesem Jahr die Architektur der Pavillons aufbrechen und verändern, nicht vor. Sie scheren sich schlicht nicht mehr um die venezianische Variante des Denkmalschutzes und brechen mit einer lang bestehenden Konvention. Das ist doch wohl generell eine Aufgabe der Kunst?
Israel und Russland bohren große Löcher in ihre Fußböden. Das Prinzip ist nicht neu, und in Verbindung mit den raumgreifenden Installationen von Gilad Ratman bzw. Vadim Zakharov sind das eher kleine Eingriffe. Die Amerikaner entfernen dann schon eine Wand ihrer klassizistischen Behausung vollständig, was die Wahrnehmung von Außen- und Innenraum verwischt. Beides „bespielt“ Sarah Sze mit ihren filigranen Kunstwerken aus Alltagsgegenständen. Das Ganze – die Architektur inklusive – wird zu ihrer Arbeit. Im Nordischen Pavillon ist gleich die komplette Front verschwunden. Es fehlen die charakteristischen großen Glasscheiben. Stattdessen verändern schwarze Plastikbahnen Erscheinungsbild und Raumaufteilung der Architektur von Sverre Fehn in einer Weise, dass man sie kaum wiedererkennt. „Warum denn nicht?“, kann man fragen. Ganz einfach: Weil die Arbeit der Künstlerin Terike Haapoja den Sinn dieser Veränderung nur sehr begrenzt verstehen lässt.
Und dann die Dänen. Weit radikaler noch als seine Künstlerkollegen greift Jesper Just in Form und Erschließung des Pavillons ein. Zunächst muss man an der Schmalseite anstehen, danach sich zwischen vermauerten Säulen und der Rückwand des Gebäudes durchzwängen. Noch eine kleine Gartenpassage. Schließlich kann man durch eine aufgebrochene Wand eintreten. Doch auch hier fühlt man sich wie auf einer Baustelle. Durchbrüche, Schutt und schwarz-weiße Videoprojektionen. Sie zeigen ein menschenleeres Paris. Ab und zu streifen drei Afrikaner durch die sich gleichzeitig im Zustand des Verfalls wie des Aufbaus befindliche Stadt. Plötzlich begreift man: Das ist nicht Paris/Frankreich (auch nicht Paris/Texas); es ist Paris/China. Ein Nachbau, den man in Hangzou finden kann, ein verwirrender Kommentar zu unserer Vorstellung von Ort und ortspezifischer Kultur.
Damit sind wir mittendrin im Thema. Vor beinahe hundert Jahren wurden die ersten Pavillons in den Giardini nicht nur als nationale Vertretungen in einer architektonisch länderspezifischen Form errichtet. Ihre wechselnden Inhalte sollten auch einen Einblick in das jeweils aktuelle Kunstschaffen eines anderen Landes ermöglichen. Das war aufgrund der begrenzten Reichweite der Medien jener Zeit ein nachvollziehbarer Ansatz. Doch nicht nur als Schaufenster waren die 29 Pavillons sinnvoll. Der geniale Einfall, die einzelnen Staaten den Baugrund kaufen und die Pavillons selbst unterhalten zu lassen, sicherte der Biennale das Überleben in ökonomisch schwierigen Zeiten.
Heute müssen sich nicht nur die Biennalebesucher, sondern vor allem die Künstler und Kuratoren unter völlig veränderten kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen mit diesem Erbe herumschlagen. Was das bedeutet, können wir Deutsche gut beurteilen. Der Abbruch unseres Pavillons wird regelmäßig gefordert. Die Nationalsozialisten hatten den einstigen Bayerischen Pavillon in den von „Germania“ umgebaut. Mit seiner Geschichte müssen sich die eingeladenen Künstler in ihren Werken auseinandersetzen. Dabei entstanden glücklicherweise oft künstlerische Höchstleistungen. Hans Haacke etwa, der 1993 den steinernen Boden aufschlug und Germania an die Rückwand schrieb, erhielt für diese Arbeit einen goldenen Löwen.
Sieht man sich die benachbarten englischen und französischen – „nationale Käfige“ genannten – Bauwerke auf dem venezianischen „Feldherrnhügel“ an, entsprechen auch sie kaum mehr dem Bild, das diese Länder von sich vermitteln wollen. Deshalb galt lange Zeit eine strikte Trennung von Innen und Außen als die einfachste Lösung. Benutzte der Künstler die Räume als White Cube, waren sie und die Betrachter vor äußeren Einflüssen und Bezügen „geschützt“. Doch dass diese von der Moderne entwickelte Neutralität nur scheinbar eine solche ist und durch andere Abhängigkeiten erkauft wird, hat Brian O’Doherty in seinen Artforum-Artikeln 1976 nachvollziehbar dargelegt. Kunst darf sich nicht absichtlich vom täglichen Leben isolieren. Damit ist dieser Ausweg den Biennale-Künstlern weitgehend blockiert.
Im chilenischen Ausstellungsraum des Arsenale lässt Alfredo Jaar alle paar Minuten das Model der Giardini im Maßstab 1:60 mit all ihren Nationen-Pavillons in einem Wasserbassin untergehen. Für ihn symbolisiert und reproduziert die künstliche Landschaft der Biennale die Machtverhältnisse einer vergangenen Zeit, die heute die Entwicklung kleinerer Staaten behindere. Also weg damit! So radikal gehen die Künstler, die in diesem Jahr die Architektur der Pavillons aufbrechen und verändern, nicht vor. Sie scheren sich schlicht nicht mehr um die venezianische Variante des Denkmalschutzes und brechen mit einer lang bestehenden Konvention. Das ist doch wohl generell eine Aufgabe der Kunst?
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