Bauwelt

Sichere Elbphilharmonie

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Sichere Elbphilharmonie

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Ein Besuch vor Ort, organisiert von der Berufsgenossenschaft, lässt keine Fragen offen. Die sicherheitstechnische Beherrschung von Hamburgs spektakulärster Baustelle scheint perfekt zu sein. Besondere Beachtung findet die Absturzsicherung. Über eine ganz andere Art von Sicherheitsprävention, die Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe verhindert hätte, hat bei der Hamburger Elbphilharmonie aber niemand nachgedacht.
„Arbeitsschutz bedarf immer überzeugter Menschen, die mit gutem Beispiel vorangehen, die andere mitreißen und überzeugen.“ Wir besichtigen mit Sicherheitsfachleuten der Berufsgenossenschaft für die Bauwirtschaft die Baustelle der Elbphilharmonie. Der Präventionsleiter Bernhard Arenz ist voll des Lobes, denn die von seiner Genossenschaft geprüften Sicherheitsvorkehrungen sind beeindruckend. Man habe beim Arbeitsschutz alles im Griff, und einen wirklich schlimmen Unfall habe es auf der schönsten Baustelle Deutschlands bisher nicht gegeben. Dem zuständigen Hochtief-Bauleiter wurde wegen seiner vorbildlichen Verhütungsmaßnahmen bereits die Medaille „Sicherheit am Bau“ verliehen.
 
Auch im Betongehäuse des zukünftigen, durch komplizierte Federpakete akustisch entkoppelten Konzertsaals ist die Absturzsicherung der Arbeiter gewährleistet. Allerdings zeigen sich bei unserem Besuch im offenen Kessel, wo später einmal 2150 Zuschauer Platz nehmen werden, insgesamt nur fünf Arbeiter. Zwei von ihnen sind an Seilen befestigt und scheinen irgendwie mit einem Klimakanal beschäftigt zu sein, drei andere widmen sich der Anpassung der angeblich günstig in Ungarn zusammengeschweißten Stahlunterkonstruktion der künftigen Ränge.
Die besondere Note
 
Der außen über dem Kai angebrachte Alimak-Bauaufzug rumpelt leise und gleichmäßig weiter die Fassade oberhalb des  alten Kakao- und Tabakspeichers hinauf. Auch hinter dem Gitter der Gondel, wo der Besucher eine Gefahrenquelle vermuten könnte, hat man niemals Zweifel an der Sicherheit. Kein einziger Zahn der Zahnketten hakt. Wir erreichen die Mantelbebauung des Konzertsaals, die spätere Skylobby der Herberge Arabella Sheraton. Die Fassadenelemente aus Glas werden per Kran geliefert und montiert. Die insgesamt 1089 Elemente sind 3,50 x 5,00 Meter groß, manche noch größer. Ihre Scheiben sind in der Mitte klar und drum herum mit Punkten bedruckt, zu den Rändern hin mehr und mehr bis zur kompletten Abdunklung. Man kann vermuten, dass dieser Dekor, der dem Glas eine besondere Note verleiht, aber den Ausblick einschränkt, den künftigen Bewohnern und Nutzern nach einiger Zeit auf die Nerven gehen wird. Die Elemente sind so entworfen, dass immer nur jeweils drei Ecken auf einer Ebene liegen. Die vierte ist vorgewölbt. Dadurch ergeben sich „Wellen“ in der Fassade. In der Rahmenkonstruktion, die diese Wellen ausgleicht, sind kleine ellipsoide Öffnungsklappen eingefügt. Feste Verglasung ist wichtig. Hier oben über der HafenCity pfeift der Wind. Während des Tests mit einem Flugzeugpropeller wurden bis zu 220 Kilometer pro Stunde Windböen nachempfunden. Bei einigen der 45 Luxuswohnungen bleibt ein Fensterelement teilsweise offen – als Loggia. Noch ist das Detail mit Schutzfolie verklebt, aber man kann bereits erahnen, wie die Glashaut in den Wulst einer Brüstung übergeht. Auch hier wird die Sicherheit großgeschrieben, bisher ist nichts geborsten. Die Berufsgenossenschaft erklärt uns die erforderlichen Maßnahmen bis ins Detail. Und so scheint die Elbphilharmonie eigentlich für eine zügige Fertigstellung gerüstet.
Adamanta
 
Das Bild der perfekten Planung wandelt sich schlagartig, wenn man von anderen Sicherheiten spricht: dort, wo es nicht um den Menschen, sondern ums Geld geht. Das Projekt wurde einem Investorenkonsortium, hier der Adamanta Grundstücks-Vermietungsgesellschaft mbH & Co, bestehend aus Hochtief (Bau) und Commerz Real (Finanzierung/Vertrieb des kommerziellen Philharmonie-Mantels), in die Hände gegeben und in Partnerschaft mit der Hamburger Projekt-Realisierungsgesellschaft mbH -– einer „Tochter der Stadt“, die „an der Schnittstelle zwischen Politik und Privatwirtschaft“ alles regelt – umgesetzt. Es steht mit Sicherheit fest, dass das Ziel der Fertigstellung zu einem festgelegten Preis längst aufgegeben wurde. Die Kostenexplosion ist seit 2008 bekannt, und die Schuldigen wurden mal da, mal dort gefunden. Die endgültigen Ausmaße der Explosion sind noch nicht auszumachen.

Dem Besucher, dem hier im Juli 2010 die beeindruckenden Sicherheitsstandards vorgeführt werden, stellt sich natürlich die Frage, warum die penible Genauigkeit bei der Umsetzung der Baustelle nicht auch bei der Kostenaufstellung des Herzog-de Meuron-Entwurfs hatte gelten müssen. Man sollte zumindest erwarten, dass das Projekt von einem solchen Unternehmen zunächst komplett durchgerechnet wird, damit eine tragfähige Konstruktion der Finanzierung möglich ist. Selbst dies wird inzwischen bezweifelt. Und die Verantwortlichkeiten für die zusätzlich von der Stadt zu zahlenden über 300 Millionen werden nun hin und her geschoben.
Fakten
Architekten Herzog & de Meuron, Basel
aus Bauwelt 26-27.2010

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