Mehr als Luftküsse, Klappsofas und Beistelltische
Neues von der Kölner Möbelmesse
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Mehr als Luftküsse, Klappsofas und Beistelltische
Neues von der Kölner Möbelmesse
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Die imm cologne, so ätzte ein ehemaliger Kommilitone, locke wegen der rheinischen Feierfreude alljährlich nach Köln – die Möbel seien doch nur Vorwand. Auf solch hohem Ross könnte sich dieser Architekt kaum halten, wenn er sich den Prozess von Form über Material und Herstellung bis zur Markteinführung vergegenwärtigen würde. Dass Designer und Hersteller über „Eintagsobjekte“ hinausdenken, zeigten sie Mitte Januar anhand von Neuentwicklungen und Wiederentdeckungen.
Die Aussteller auf der Kölner Möbelmesse wissen, dass sie auf sich gestellt sind. Anders als in Mailand existiert dort weder ein charismatischer Herstellerverband noch ein unmittelbarer Bezug zum Standort Köln. Die hiesige Messegesellschaft hält angesichts der guten Konjunktur bloßen Service für ausreichend, anstatt der sich ändernden Marktsituation – Stichwort Onlinehandel – offensiv zu begegnen. Nicht zu verstehen war etwa die mit „Pure Architects“ betitelte Halle, in der man Teppiche, Armaturen, Tapeten und ähnliches ohne übergreifendes Konzept präsentierte. Wurde da ein ansonsten leer stehender Raum kaschiert?
Aus solchen trüben Gedanken reißt die farbintensive Schrankkollektion Kiri, zu der Stefan Diez während eines Japanaufenthalts durch „Paulownia“, hierzulande Kiribaum genannt, inspiriert wurde. Kiribaum-Holz hat drei erstaunliche Eigenschaften: Es ist gegenüber Fichte um ein Drittel leichter, wächst sehr schnell – im Vergleich zur Pappel 30 Prozent mehr Zuwachs –, und sein Flammpunkt liegt mit 420 Grad deutlich über dem von üblichen Bauhölzern. Der Münchner Designer war fasziniert, dass das Holz nach dem Trocknen formstabil bleibt und fast keine Feuchtigkeit aufnimmt. Aufgrund seiner Atmungsaktivität wird Paulownia in Japan traditionell für Kimono-Schränke verwendet.
Die von der japanischen Firma Meetee angebotenen Schrankkästchen werden mit einer Art Jalousie aus zwei Brettern verschlossen, die mit einem groben Stoff als Scharnier verbunden sind. Dank der Reibung des Holzes und seiner Leichtigkeit bleiben die Bretter in jeder Position stehen. Die Schränke sind mit ein oder zwei Öffnungen, freistehend oder als Wandkabinette erhältlich. Die farbigen Beizen (Grün, Braun oder Rot) geben der Maserung mit den weiten Jahresringen eine ganz eigene Prägnanz.
Der bei Tecta neu vorgestellte Klappstuhl D7K ist das erste Möbel der Firma, das nicht in der firmeneigenen Werkstatt, sondern im österreichischen Lingenau montiert wird. Der klappbare Stuhl begeisterte Juniorchef Christian Drescher als kinetisches und raumsparendes Objekt, ganz im Sinn der klassischen Moderne. So blieb man bei der Tischlerwerkstatt, bei der Klemens Grund seinen Entwurf bislang auf Bestellung fertigen ließ. Grund ist Tischlermeister und Designer und entwickelte den Stuhl während seiner dreijährigen Tätigkeit im Atelier von Peter Zumthor, seit 2013 führt er in Köln ein eigenes Gestaltungsbüro.
Anders als die sonst von Tecta geführten Stahlrohrmöbel huldigt der D7K dem Handwerk und den klassischen Hölzern Eiche, Esche und Nussbaum, in denen er lieferbar ist; auch wird er im aufgeklappten Zustand mittels zweier gefällig wirkender Messingknöpfe an den Hinterbeinen arretiert. Statt plakativer Sachlichkeit entfaltet der Stuhl, freilich gerade eingeklappt, durch die nach unten gewölbte Lehne eine verblüffende Ausdruckskraft, die zum Sitzen wie in einer Schaukel einzuladen scheint.
Eine Ausnahme im dänischen Design bildet Arne Jacobsen, dessen Möbel ihre industrielle Herstellung nicht verhehlen. Mit dem Society Table führt das Unternehmen Carl Hansen, das durch Zukäufe und Re-Editionen ein breites Programm dänischen Möbeldesigns aufgebaut hat, nun auch ein Objekt des wohl berühmtesten Gestalters seines Landes. Die in geringer Stückzahl produzierten Schreibtische waren 1952 als Geschenk für die in New York an der Park Avenue residierende American-Scandinavian Foundation in Auftrag gegeben worden.
An das Bauhaus erinnert der schwebende Schubladenkasten, ansonsten steht der Society Table trotz des Traggestells aus Stahlrohr gestalterisch auf eigenen Füßen. Eigenartig raffiniert wirkt die mit Leder bezogene Tischplatte, die sich gleich einem erstarrten Tuch über die Tragstruktur wölbt und dem Arbeitsbereich eine angenehme Haptik verleiht. Der Aufsatz aus Holz und Glas und die Tütenlampe aus Edelstahl bilden formal eigenständige Accessoires, wohingegen die Füße aus Holz ein Ausdruck von Jacobsens präziser Detaillierung sind.
Einen Hybrid hat Michael Hilgers für Müller Möbelwerkstätten entworfen: Eingeklappt ist Twofold ein Regal, ausgeklappt eine Schreibfläche. Nur die kleinen, halbkreisförmigen Ausbuchtungen an den Seiten weisen auf die doppelte Funktion hin, sehr diskret im Übrigen, denn die beiden Teile überlappen sich und die Drehachse, ein Metallstift, ist nur von innen sichtbar. Wie bei Müller gewohnt, besteht das Möbel aus Birkenschichtholz, das an den Stirnseiten sichtig ist; die Flächen können weiß, anthrazit oder schwarz beschichtet werden.
Anders als Hilgers’ ebenfalls an die Wand angebrachter Minisekretär „Workframe“, der wie ein Laptop aus Sperrholz aussieht (Bauwelt 9.2013), bietet der Hybrid dauerhaft Platz für Bücher und andere Gegenstände. Das Objekt ord-net der Berliner Tischler und Architekt unter seine „Raumsparmöbel“ ein, die er für begrenzte, aber doch umfassend funktionierende Situationen entwickelt hat. Wie Twofold anschaulich zeigt, reizt es Hilgers, bekannte Formen des Alltags mehrdeutig zu interpretieren.
Auf den ersten Blick wirkt der Stuhl namens Laszlo von André Weissert recht verstiegen. Sowohl die getrennte Rohrkonstruktion von Lehne und Sitz, die punktuell miteinander verbunden sind, als auch die abgeknickten Füße lassen die Mahnung des Statikers wach werden, hier „würden Kräfte spazieren geführt.“ Gleichzeitig gibt gerade diese Art des Abhebens den Stuhlbeinen etwas Animalisches und auch Dynamisches, wie etwa die Läufe eines Hundes, der nur mit den Pfoten den Boden berührt.
Das schwarze, pulverbeschichtete Rohr ist typisch für den Hersteller, das Atelier Haußmann, für Sitz und Rücklehne wurde schwarzgebeiztes Formholz aus Esche gewählt. Der in Berlin tätige Zimmerer und Architekt Weissert, dessen Entwürfe undogmatisch die jeweilige Aufgabenstellung reflektieren, ist nicht unbegründet überzeugt von seinem im Übrigen umgedrehten Krag-stuhl, auch wenn man – was er bedauert – auf seinem Laszlo nicht kippeln kann.
Die Behauptung „Man sitze auf einem Spalt“ ist zu platt, um als Werbeslogan durchzugehen, doch im Fall von Constanze ist sie zutreffend. Der Wiener Architekt Johannes Spalt (1920–2010) entwarf den Sessel 1960, als er in der „Arbeitsgruppe 4“ tätig war. Da der Gruppe schon bald nach der Gründung das vierte Mitglied abhandengekommen war, wurde sie wienerisch „die 3/4-ler“ geschmäht. Und so lief Constanze, zu der noch ein Hocker, ein Beistelltisch und eine Bank gehörten, kurzerhand auch als „3/4-Möbel“.
Spalt hatte schon früh die Architekten der Vorkriegszeit wie Josef Hoffmann und Josef Frank wiederentdeckt. Wohl deshalb orientierte er sich an deren hohen Anspruch an Komfort und gelangte zu einem klassisch anmutenden Fauteuil. Im Gegensatz zu dem berühmten Barcelona-Chair von Mies van der Rohe ergänzt Spalt das kreuzförmige, lediglich gesteckte Gestell aus verchromtem Aluminium durch eine gepolsterte Sitzschale aus Holz, die für eine ungleich höhere Sitzqualität sorgt. Die Armlehnen sind wie die übrigen Bezüge ebenfalls aus Leder, die u-förmig über die Seitenleiste gelegt sind.
In der Halle für Innovationen fand sich neben den Möbelproduzenten auch der Stand des Deutschen Tapeteninstituts, das unter dem Titel „Tapeten für Stadtnomaden“ das Augenmerk auf die Vliestapete lenkt. Die besondere Qualität steckt in dem Trägermaterial aus glatten, reißfesten Fasern, wodurch sich die Tapetenbahnen nicht nur ohne das sonst übliche Einweichen direkt an die Wand bringen, sondern von dort auch in einem Stück wieder herunterziehen lassen. Beim Auszug kann die Wandbekleidung somit unaufwendig entfernt und die Wohnung mühelos in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden. Ein weiterer Vorteil ist ihre erhöhte Hitze- und Feuchtebeständigkeit, wodurch die Vliestapete auch für Küchen und Bäder geeignet ist. Gerade die derzeit wieder aktuellen Muster der Op-Art machen Lust, sie anstelle der weißen oder unifarbenen Wände treten zu lassen.
In der Sektion „Pure Talents“ werden die von einer Jury ausgewählten Prototypen junger Designer gezeigt, für die ein Hersteller gesucht wird oder, wie im Fall der Eigenproduzentin Sophia Buhné, die Öffentlichkeit, um Direktkunden zu gewinnen.
Kann man eine Choreographie für eine Leuchte entwickeln? Für den Prototyp 60° haben Svenja-Katharina Jakobs und Jonas Wansing die Varianten, wie ihre Lampe verlängert, auf dem Boden liegen, sich aufrichten oder hängen kann, in einen Ablauf gebracht, der sich als Tanz lesen lässt. Ausgehend von einer Leuchtstoffröhre, die je nach Einsatz in unterschiedliche Positionen gebracht werden kann, haben die beiden Designer aus Münster ein flexibles und erweiterbares Leuchtsystem entwickelt.
An dem namensgebenden 60°-Schnitt an den Endpunkten können die Leuchtstäbe aneinandergesetzt werden, ein Schleifkontakt sorgt dafür, dass sich die Elemente gegenseitig mit Strom versorgen. Durch die versetzte Anordnung erhält die Leuchte, deren Elemente gleichzeitig Lichtquelle und Tragstruktur bilden, eine eigene Stabilität. Dadurch kann 60° konventionell, aber auch skulptural eingesetzt werden.
Der Anstoß für die Honeycomb Carpets war wiederum einem Material geschuldet, in diesem Fall Filzresten aus der Textilproduktion. Um einer sinnvollen Weiterverwertung willen untersuchte Sophia Buhné mehrere Verarbeitungstechniken, die schließlich in von ihr handgewebte Teppiche mündeten. Dabei bringt die Textildesignerin aus Hamburg die Rollenabschnitte als Schussmaterial in die vorgespannten, weißen oder schwarzen Kettfäden ein. In Kombination mit Wollfäden entsteht die für Teppiche ungewohnte Wabenform („Honeycomb“).
Die Filzabschnitte werden gefaltet, gerollt oder lose durch das Gewebe der Kettfäden geschossen. Da die Materialreste vorwiegend in Blau, Schwarz oder Grau anfallen, kann ein Kontrast nur durch farbige Kettfäden oder Wollgarne erreicht werden. Buhné, die ihre Leidenschaft für die Gestaltung von Oberflächen während ihrer Maler- und Lackierausbildung kultivierte, gelang die Transformation von Resten, und gleichzeitig gibt sie der traditionellen Webtechnik einen zukunftsweisenden Impuls.
Mit der Wand- und Pendelleuchte Lumio stellt Max Kimpel den Betrachter zunächst vor ein Rätsel. In der Mitte der kreisrunden Acrylglasscheibe, dort, wo sich üblicherweise die Lichtquelle befindet, ist lediglich ein Loch mit einem gewölbten Spiegel. Durch die Trennung von Lichtquelle und Lichterscheinung macht der an der Burg Giebichenstein ausgebildete Produktdesigner bewusst, dass Licht erst durch seine Reflektion auf einer Oberfläche sichtbar werden kann.
Die verborgene Lichtquelle ist ein LED-Streifen, der um die Scheibe mit einem Durchmesser von 50 Zentimetern gelegt wird. Da das Acrylglas lichtleitfähig ist, kann auf einen klassisch geformten Lampenreflektor verzichtet werden. Während das Licht auf der partiell sandgestrahlten Oberfläche ungerichtet bleibt, bündelt der Spiegel die Strahlen. Mit Lumio nimmt Kimpel die Erscheinung des Objekts zugunsten der reinen Lichtwirkung zurück.
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