Bauwelt

Elektropolis Berlin

Die Energie der Großstadt

Text: Gympel, Jan, Berlin

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Elektropolis Berlin

Die Energie der Großstadt

Text: Gympel, Jan, Berlin

Von kaum etwas anderem ist die moderne Gesellschaft des 21. Jahrhunderts dermaßen abhängig wie von Elektrizität.
Wie es dazu kam, zeichnet Thorsten Dame in seiner Dissertation am Beispiel Berlins nach, das in den ersten Jahrzehnten der verbreiteten Nutzung elektrischer Energie nicht nur das Zentrum der deutschen Elektroindustrie war, wo die beiden Branchenführer Siemens und Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft (AEG) ihren Sitz und den größten Teil ihrer Produktionskapazitäten hatten und der Auf­­bau einer flächendeckenden Stromversorgung deshalb in exemplarischer Weise erfolgte. Auf Jahrzehnte hin­­-aus war die Elektroindustrie auch jene Industrie­bran­che, die Berlin am stärksten prägte, und dies nicht zuletzt in architektonischer Hinsicht. Wegweisende Bauten – am berühmtesten natürlich Peter Behrens’ AEG-Turbinenhalle – entstanden hier, und zum größten Teil stehen sie noch heute: An kaum einem anderen Ort sind so viele bedeutende bauliche Zeugnisse der Elektroindustrie so gut erhalten.
Angesichts dessen stellt das ziegelsteinschwere, mit einem fast 200-seitigen Abbildungsteil versehene Buch auch einen wichtigen Beitrag zur Beurteilung der Berliner Denkmallandschaft und zum weiteren Umgang mit ihr dar. Im Mittelpunkt stehen dabei Entwurf, Realisierung, Vermittlung und Rezeption
der Bauten zweier Schlüsselfirmen, der AEG und de­ren anfänglicher Tochter Berliner Elektricitäts-Werke (BEW), von den ersten unternehmerischen Aktivitä­ten des AEG-Gründers Emil Rathenau 1866 über die 1915 erfolgte Übernahme der BEW durch die öffent­liche Hand bis zur Reprivatisierung im Jahre 1931.
Dame betrachtet die Baupolitik dieser Firmen vorrangig aus wirtschaftshistorischer Perspektive, zeigt aber auch, welche politischen und kulturellen Einflüsse auf die Anlagen, ihre Standortwahl und Formgebung wirkten. Architektur erscheint als Produkt eines Geflechts von Interessen und Meinun­-gen, als Ergebnis der Strategien und Ziele der privaten Unternehmen einerseits und der Kommune an­dererseits, wobei auch künstlerische Ansprüche eine Rolle spielten. Nahm doch Baukunst, nicht nur bei der AEG und zu den hier behandelten Zeiten des Wirkens Peter Behrens’ bei diesem Konzern, eine wichtige Position in der Corporate Identity ein, diente Architektur der Selbstdarstellung einer neuen Industrie, die ihren möglichen Kunden zunächst einmal vorzuführen hatte, wozu man elektrischen Strom denn so alles gebrauchen könnte. Anspruchsvolle Bau­gestaltung sollte auch die Moral der Beschäftigten heben, eine günstige Stimmung für neue Projekte schaffen und so dem Unternehmen letztlich auch finanziellen Gewinn bringen – was freilich nur ge­lingen konnte, wenn die Anlagen dem Geschmack maßgeblicher Kreise oder der veröffentlichten Meinung entsprachen.
Neben den verschiedenen Programmen zum Auf- und Ausbau der Berliner Elektrizitätsversorgung, die vor allem Kraftwerke und Verteilungsanlagen hervorbrachten, behandelt Dame auch Verwaltungsgebäude und Vorführräume sowie Privatbauten, etwa der Familie Rathenau. Gekrönt wurde die Inanspruchnahme von Architektur im Berliner Elektrosektor allerdings nicht durch Werke von Behrens, Franz Heinrich Schwechten, Alfred Messel oder Hans (Heinrich) Müller und Felix Thümen, sondern durch das ab 1925 in Windeseile nach Plänen von Werner Issel, Walter und Georg Klingenberg errichtete „Großkraftwerk“ Klingenberg, welches von einer ausgie­bigen Öffentlichkeitsarbeit der zur BEWAG umgewandelten BEW begleitet wurde. Es avancierte sogleich zu einem stolz präsentierten Wahrzeichen der Stadt.
Mit seiner umfassenden wirtschafts-, technik- und architekturgeschichtlichen Fallstudie beleuchtet Dame vor allem die Frage, wer eigentlich bestimmt, was und wie gebaut wird. Und leistet damit Beispielhaftes, weit über den behandelten zeitlichen und räumlichen Bereich hinaus, wird doch das Wunsch- und Trugbild vom autonom schöpfenden Baukünstler allzu gern gepflegt.
Fakten
Autor / Herausgeber Thorsten Dame
Verlag Gebr. Mann Verlag, Berlin 2011
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aus Bauwelt 27-28.2011
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