Jørn Utzon
Drawings and Buildings
Text: Seelow, Atli Magnus, München
Jørn Utzon
Drawings and Buildings
Text: Seelow, Atli Magnus, München
Als Jørn Utzon (1918–2008) im Jahre 2003, im Alter von 85 Jahren, mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, lebte er seit rund drei Jahrzehnten zurückgezogen auf Mallorca und war in dieser Zeit kaum in Erscheinung getreten.
Viele unkten, der Preis sei eine verspätete Anerkennung für lange zurückliegende Leistungen – noch rechtzeitig verliehen, um einer posthumen Würdigung zuvorzukommen. Dass das Werk des großen dänischen Architekten immer noch relevant ist und darauf wartet, entdeckt zu werden, zeigt das Buch des Architekturhistorikers Michael Asgaard Andersen.
Der Band, der 2011 auf Dänisch veröffentlicht wurde und nun auf Englisch vorliegt, ist allerdings weder eine Biografie noch eine Werkschau. Vielmehr erkundet der Autor Utzons komplexe Gedankenwelt und arbeitet durch eine Gegenüberstellung von Bauten, Entwürfen und Texten die übergeordneten Themen und Motive in dessen Werk heraus. Das Buch ist nach den Themen gegliedert, die Utzons architektonisches Denken bestimmen und nicht nur in seinen Bauten, sondern vor allem auch in seinen nicht realisierten Entwürfen, Studien und Experimenten wiederkehren: Ort, Methodik, Baukultur, Konstruktion, Materialität und Lebensweise.
Bei der Lektüre lernt der Leser Jørn Utzon als einen vielfältig interessierten und weit gereisten Beobachter kennen, dem es wie kaum einem anderen Architekten dieser „Dritten Generation“ von Nachkriegsmodernisten gelingt, in seiner Arbeit ganz unterschiedliche kulturelle Einflüsse miteinander zu verbinden, sie zu transformieren und ihnen einen kraftvollen eigenen Ausdruck zu verleihen. So ist er auf der einen Seite zutiefst in der dänischen Tradition verwurzelt und der skandinavischen Moderne verpflichtet, insbesondere Alvar Aalto, bei dem Jørn Utzon kurzzeitig arbeitet, und Gunnar Asplund, den er immer wieder erwähnt. In dieser Tradition stehend, betrachtet er Bauen nie als Selbstzweck, sondern strebt immer das Ziel einer „abwechslungsreichen und menschlichen Architektur“ an. Utzon ist aber auch an der Architektur außereuropäischer Kulturen interessiert – wie z.B. an traditioneller japanischer und chinesischer Baukunst oder den Bauten mittel- und südamerikanischer Ureinwohner. Zahlreiche Motive in seinem Werk lassen sich auf diese Einflüsse zurückführen, so etwa sein Faible für Plattformen und Plateaus auf seine Begeisterung für die Pyramiden der Maya. In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass ein großer Teil seiner realisierten Bauten außerhalb Europas entsteht, neben dem Opernhaus in Sidney beispielweise das Parlamentsgebäude in Kuwait oder die Melli Bank in Teheran.
Eine weitere wichtige Rolle in der Architektur von Jørn Utzon spielen Konstruktion und Material. Seine bekannteste Konstruktion ist das Dach des Opernhauses in Sidney, die er in Zusammenarbeit mit Ove Arup von einer skizzenhaften Idee – durch geometrische Vereinfachung auf Kugelsegmente – zu einer realisierbaren Lösung entwickelt. Michael Asgaard Andersen zeigt, wie Utzon seine Auffassung von Konstruktion im Lauf seiner Karriere beträchtlich erweitert. Über die expressive Konstruktion hinaus entwickelt er ein immer stärkeres Interesse an der Darstellung des Herstellungsprozesses oder der Erfindung additiver oder modularer Strukturen, wie man beispielsweise am Fertighausbaukasten Espansiva oder Utzons eigenem Proportionssystem, dem Utzolor, ablesen kann.
Ähnlich verhält es sich mit Utzons breit gefächertem Interesse an Materialien, das von Industriematerialien, wie vorgespannten Betonkonstruktionen, zu traditionell handwerklich verarbeiteten Naturmaterialien changiert, wie er sie etwa bei seinen Häusern auf Mallorca, Can Lis und Can Felíz, einsetzt.
Nach der Lektüre des Buches versteht man, dass das Opernhaus in Sidney kein einmaliger Geniestreich Utzons war, sondern eines der nur wenigen sichtbaren Ergebnisse einer reichhaltigen und komplexen Gedankenwelt darstellt. Es ist auf alle Fälle lohnend, sich mit Jørn Utzons Werk zu beschäftigen. Dieses Buch bietet die beste Gelegenheit dazu.
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