Las Vegas im Rückspiegel
Die Stadt in Theorie, Fotografie und Film
Text: Hoff, Claudia Simone, Berlin
Las Vegas im Rückspiegel
Die Stadt in Theorie, Fotografie und Film
Text: Hoff, Claudia Simone, Berlin
Unbestritten ist die 1972 erstmals erschienene Studie „Learning from Las Vegas“ von Denise Scott Brown, Robert Venturi und Steven Izenour ein architekturtheoretischer Schlüsseltext des 20. Jahrhunderts. Die Studie steht nun im Mittelpunkt der Dissertation von Martino Stierli, die soeben als erster Band der Publikationsreihe „Architektonisches Wissen“ im gta Verlag veröffentlicht wurde.
Die Autoren untersuchten Las Vegas als Prototyp der kommerziell ausgerichteten amerikanischen Stadt(planung) mit der grell-bunten Kulissenarchitektur rund um den Vergnügungsboulevard Strip. Sie begriffen die Wüstenstadt in Nevada als Produkt einer authentischen amerikanischen Populärkultur. Scott Brown, Venturi und Izenour bereicherten mit ihrer Programmschrift den Architekturdiskurs nicht nur um ein Moment des Banalen, Alltäglichen oder gar Hässlichen, sondern auch um soziale Fragestellungen und hinterleuchteten die Stellung des Architekten in diesem System. „Learning from Las Vegas“ war zu seiner Entstehungszeit sowohl Provokation des architektonischen Establishments als auch Bestandsaufnahme des urbanen Status quo.
Die Studie steht nun im Mittelpunkt der Dissertation von Martino Stierli, die soeben als erster Band der Publikationsreihe „Architektonisches Wissen“ im gta Verlag veröffentlicht wurde. Erklärtes Ziel dieser Reihe ist es, herausragenden Forschungsergebnissen junger Wissenschaftler des Departements Architektur der ETH Zürich eine geeignete Publikationsplattform zu bieten. Die preisgekrönte Forschungsarbeit des Schweizer Kunsthistorikers – erschienen unter dem Titel „Las Vegas im Rückspiegel. Die Stadt in Theorie, Fotografie und Film“ – ordnet die Studie von Scott Brown, Venturi und Izenour auf knapp 350 Seiten ein in den Kontext des amerikanischen Architektur- und Städtebaudiskurses der 60er Jahre „unter besonderer Berücksichtigung der Frage des Stadtbilds“, wie der Verfasser in der Einleitung schreibt. „Learning from Las Vegas“ wird also einerseits im zeitgenössischen Diskurs um Form und Ästhetik der Stadt – die in den 60er Jahren einem rasanten Wandel aufgrund von Automobilisierung, Dezentralisierung und Roadtown unterworfen war – verortet, andererseits beschäftigt Stierli die Frage, welche Rolle das Medium Bild und insbesondere die Verwendung von Fotografie und Film in der Argumentation der Autoren einnimmt. Denn die Erstausgabe von „Learning from Las Vegas“ fällt auch durch das außergewöhnliche Format und extravagante Layout auf – beides zusammen sollte den Inhalt der Studie versinnbildlichen, wie Stierli mit kunsthistorischer Akribie aufzeigt. Und so geht es im ersten Kapitel seiner Arbeit um „Korrespondenzen zwischen Form und Inhalt“, „Typografie in historischer Dimension“ und die „Ebene der Sprache“ – kurz: um die Gestaltung des Buchs. Flüssig geschrieben, wenn auch in ihrer Eigenschaft als wissenschaftliche Abhandlung nur bedingt als Bettlektüre zu empfehlen, wartet Stierlis Studie mit einer Unmenge von Informationen, Querverweisen und Rückschlüssen auf, die für den mit der Materie Vertrauten oftmals nur schwer nachzuvollziehen sind. Allein die anschließende Bibliografie liest sich wie ein Who’s who der Architekturgeschichte und -theorie. Wer nicht so tief in den architekturtheoretischen Diskurs einsteigen möchte, sich nicht so sehr für die „Sequentialität der Stadtwahrnehmung“ (Kapitel 4) oder die „Rhetorik des Bildvergleichs“ (Kapitel 5) interessiert, der blättere einfach vor und zurück bis zur „kleinen (architektonischen) Stadtgeschichte“ (Kapitel 2) oder zur „Stadt als Zeichensystem“ (Kapitel 7) und wird viel lernen von Las Vegas – und diesem Buch.
0 Kommentare