Bauwelt

Moscheen in Deutschland

Text: Winterhager, Uta, Bonn

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Moscheen in Deutschland

Text: Winterhager, Uta, Bonn

Als der Politikwissenschaftler und Direktor des Essener Kulturinstitutes Claus Leggewie und die Publi­zistin Ursula Baus im Frühjahr 2008 die Tagung „Sakralbauten und Moscheekonflikte“ organisierten, baten sie den Fotografen und Architekturkritiker Wilfried Dechau, das Thema mit einer Fotodokumentation zu illustrieren.
Die in acht Wochen entstandene Reportage „Moscheen in Deutschland“ wurde bereits in mehreren Ausstellungen in Deutschland gezeigt und ist nun als Bildband erschienen.
Dechau, der in seinem Erfahrungsbericht bekennt, dass auch ihm die Moscheen in Deutschland zunächst fremd und unzugänglich erschienen, stellt die Vermutung an, dass selbst von den interessierten Tagungsteilnehmern die Mehrzahl zwar in Istanbul in der Blauen Moschee gewesen sein, aber noch nie eine deutsche Moschee von innen gesehen habe. Um dieses Informationsdefizit zu decken, besuchte er acht der rund 2600 Moscheen in Deutschland. Die zahlreichen Konflikte um den Bau oder die Existenz von Moscheen, die dazu geführt haben, eine Tagung zu diesem Thema zu veranstalten, sieht man Dechaus Bildern nicht an. Er zeigt sie rein dokumentarisch, ohne sie zu ästhetisieren, schließt das bauliche Umfeld nicht aus, und zeigt auch die Gläubigen im Porträt oder scheinbar unbeobachtet im Gebet.
Den Bildern vorangestellt sind neben Dechaus Erfahrungsbericht noch vier weitere Texte, darunter  „Integration durch Konflikt“ von Claus Leggewie, ein Text, der hilft, die Details Und feinen Unterschie­de der dokumentierten Moscheen zu erkennen. Leggewie berichtete über ein Jahrzehnt sich verschärfender Moscheenkonflikte in Deutschland, zunehmender öffentlicher Proteste und wachsender Angst vor Überfremdung und vor Terror. Die Präsenz der Moscheeneubauten, die nicht mehr verschämt in Hinterhof­ba­racken oder im Industriegebiet an der Autobahn unter­gebracht sind, sondern an repräsentativer Stelle in deutschen Großstädten gebaut werden, führe – gepaart mit der medial geschürten Angst – dazu, dass „der Islam einer der größten Aufreger überhaupt“ werde.
Interessant wird das Buch, wenn man Leggewies Thesen und Dechaus Bilder im Zusammenhang betrachtet. Die Moschee müsse ins Bild passen, auch wenn sie dem Recht des Einzelnen auf freie Religionsausübung eine konkrete bauliche Form gebe, fordert Leggewie. Wie dieses Bild in der Praxis aussieht, lässt sich auf Dechaus Fotos gut vergleichen. Die Aachener Bilal-Moschee,  ein trutziger Betonbau aus den 60er Jahren, steht direkt am Bahndamm, in Hamburg findet man die ebenfalls aus den 60er Jahren stammende, durch ihre Farbigkeit auffallende Imam-Ali-Moschee prominent am schicken Ufer der Außenalster, in Stuttgart dagegen baut die Islamische Union ein Fabrikgebäude in Industriegebiet zur Moschee um – die Bilder könnten unterschiedlicher kaum sein. Warum konnte grade die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Mannheim 1995 ohne Konflikte eröffnet werden? Modern, aber deutlich orientalisch mit Minarett und Kuppel, schließt sie die Ecke eines innerstädtischen Blockes. Innen finden sich ornamentale Wand- und Deckenmalereien, üppige Kristall­lüster und pinke-farbener Teppich. Anscheinend eine ganz normale Moschee, aber auch ein Vorzeigemodell geglückter Integration: „Jeder friedlich ausgetragene und glücklich ausgestandene Konflikt bringt die Gesellschaft weiter“, schreibt Leggewie, darin bestehe der „geheime Sinn“ von Moscheekonflikten. Dechaus sachliche und unkommentierte Fotos fordern die Betrachter geradezu heraus, nach eben diesem geheimen Sinn zu suchen.
Fakten
Autor / Herausgeber Wilfried Dechau
Verlag Wasmuth Verlag, Tübingen 2009
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aus Bauwelt 38.2010
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