Bauwelt

Altstadtbebauung

Lassen Sie bitte die Altstadt in Ruhe!

Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Kleilein, Doris, Berlin

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Luftbild: Stadtvermessungsamt Frankfurt am Main

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Altstadtbebauung

Lassen Sie bitte die Altstadt in Ruhe!

Text: Ballhausen, Nils, Berlin; Kleilein, Doris, Berlin

Die nächste Runde in der Debatte um einen Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt ist eingeläutet: Mit dem Wettbewerb für ein „Stadthaus am Markt“ deutet sich vage das erste Bauvorhaben an. Neue Akteure sind auf den Plan getreten und auch einige alte. Architekten versuchen, zwischen Populismus und Fanatismus nicht die Haltung zu verlieren.
Die erste Etappe auf dem Weg nach Alt-Frankfurt begann 1944 mit der Zerstörung der Frankfurter Altstadt. Vielleicht aber auch schon 1922, als das dicht bebaute Areal, das substantiell wie ideell für morsch erklärt worden war, eine erste konservatorische Hilfestellung durch den „Bund tätiger Altstadtfreunde“ erfuhr. Dieser hatte damals, im Gegensatz zu heutigen Vereinen wie „Altstadt Forum Frankfurt“ oder „Pro Altstadt“ noch ein konkretes Arbeitsgebiet. Nach Krieg und Trümmerbeseitigung reiften in der Stadt große Ideen für diesen Bereich: der Wiederaufbauplan 1951, der Wettbewerb für ein Verwaltungs- und Kulturzentrum 1963, der Wettbewerb für die Kunsthalle mit Römerberg-Ostzeile 1980. Jeder neue Vorstoß hat markante, zeittypische Bauten hinterlassen, keine Planung wurde je vollendet, immer blieb etwas offen für nachfolgende Generationen. Doch wenigstens lief chronologisch alles korrekt: Zuerst wurde geplant, dann realisiert – oder verworfen. Diese Logik gilt für die jüngste Etappe nicht mehr. Sie verläuft in verwirrenden Zeitschleifen, schreitet mal vor, mal zurück, mal setzt die Debatte bei vergangenen, mal bei zukünftigen Ereignissen an. Die Gegenwart zählt wenig. Außenstehende Beobachter haben es hier nicht leicht.
Das Revival begann 2005, als ein städtebaulicher Ideenwettbewerb den Umgang mit einer Brachfläche regeln sollte, die allerdings erst einmal gewonnen werden muss – durch den Abriss des Technischen Rathauses. Das 1973 bezogene Gebäude gilt in Frankfurt als Bausünde und ist, was die Sache erschwert, mit unterirdischen Verkehrsbauten wie dem U-Bahnhof Dom/Römer und einer raumgreifenden zweigeschossigen Tiefgarage verknüpft. Der siegreiche Entwurf von KSP Engel Zimmermann hatte die Fläche in pragmatische Baublöcke aufgeteilt, die jedoch in einem zwei Jahre andauernden, hitzig diskutierten Verfahren zu dreißig irrational verzogenen Giebelhäuschen zerrieben wurden; sie sind am Vorkriegsgrundriss orientiert. Der 2007 beschlossene Rahmenplan sieht vor, sieben als besonders wichtig erachtete Häuser möglichst ori­ginal­getreu zu rekonstruieren, alle weiteren neu zu bauen.
Niveau-Absenkung und elf Eingänge
Nach einer Phase allgemeiner Ermattung ist jetzt neuer Schwung in die Debatte gekommen. Am 10. Juli beschloss die Stadtverordnetenversammlung die Gründung der städtischen Tochtergesellschaft Dom-Römer-GmbH. Ihr Geschäftsführer, der Projektentwickler Werner Pfaff, hat angekündigt, das Altstadtprojekt binnen vier Jahren zu stemmen und dabei schwarze Zahlen zu schreiben. Die komplizierte Operation könnte im Frühjahr 2010 mit dem Abriss des Technischen Rathauses beginnen, sofern bis dahin die Verwaltung in ihr neues Quartier am Börneplatz – das 1990 errichtete Stadtwerke-Gebäude von Ernst Gisel – umgezogen ist. Einige Vorarbeiten hat das Hochbauamt noch vor seinem Umzug geleistet. So liegt inzwischen ein Gutachten vor, das elf Varianten für die Verlegung des östlichen U-Bahn-Eingangs erörtert, der mit der Neubebauung kollidiert. Der Magistrat möchte drei Varianten näher untersuchen lassen: Entweder wird die Rolltreppe im Erdgeschoss des zu rekonstruierenden Altstadthauses „Goldene Waage“ ans Tageslicht kommen (geschätzte Kosten: 0,2 Mio. Euro) oder unter dem „Schirn-Tisch“ (3 Mio. Euro) oder am künftigen Hühnermarkt (2,3 Mio. Euro).
Weit komplizierter wird sich der Bauablauf insgesamt gestalten: Zunächst können nur die drei Türme des Techni­schen Rathauses abgerissen werden, weil das Restgewicht be­nö­tigt wird, um Grundwasserauftrieb zu vermeiden; dann kann der Archäologische Garten überbaut werden. Erst wenn das geschehen ist, wird der Stumpf des Rathauses bis auf die zweite Untergeschossebene abgetragen und darüber eine Lastenverteilungsplatte betoniert, oberhalb derer die neu parzellierte Struktur ansetzt. Weil auch der geplante Straßenzug „Markt“ auf das „historische“ Niveau abgesenkt werden soll, stünde die Kunsthalle Schirn, unter der die Tiefgarage erhalten bleibt, fast drei Meter über Straßenniveau. Dieses Plateau müsste mit einer neuen Treppenanlage erschlossen werden. Vor zwei Jahren wurden die Kosten für die Baureifmachung der mit 8000 Quadratmetern relativ kleinen Fläche auf 30 Mio. Euro, die Gesamtbelastung für die Stadt auf 106 Mio. Euro geschätzt. Allen Beteiligten muss inzwischen klar sein, dass es dabei nicht bleibt.
Doch weder die Kosten noch die Unzulänglichkeiten des vormodernen Städtebaus haben die Planung bremsen können. Immer detailliertere Regelungen wurden verfasst, um die Konflikte zwischen der Bauordnung, der Bauphysik und dem Bild von einer Altstadt in den Griff zu bekommen. Die Dom-Römer-GmbH wird nicht nur den gesamten Bauprozess steuern, sondern auch die parzellierten Einheiten vermarkten. Sie soll sich außerdem darum kümmern, dass die anvisierte Mischung von Gewerbe (6000 m2), Wohnen (12.000 m2) und Kultur (3000 m2) eingehalten wird, sie soll Wiederholungen im Warenangebot der winzigen Gewerbeflächen verhindern und die je nach Lage unterschiedlich hohen Erträge derselben – in quasi staatssozialistischer Manier – bündeln und an alle Inhaber gerecht umverteilen. Der Markt des 21. Jahrhunderts?
Der neue Wettbewerb
Unter dem Allerweltstitel „Stadthaus am Markt“ hat die Stadt Anfang dieses Monats zu einem weiteren Wettbewerb aufgerufen, dessen Teilnehmer bis September ausgewählt werden. Ein Wettbewerb, der in den Kern der Operation Altstadt vordringt, wo vor allem Leere herrscht: Weder existiert bislang der „Markt“ (so der Straßenname des „Krönungswegs“ zwischen Römer und Dom) noch eine konkrete Vorstellung da­von, was in dem Stadthaus stattfinden soll. „Es ist beabsichtigt, die Altstadt Frankfurt in ihrem Wesen wieder zu gründen“, steht im Auslobungstext, und diese Aufgabe wird geradewegs an die Architekten weitergereicht: Das Grabungsfeld des Archäologischen Gartens soll wieder überbaut werden, und zwar mit einem repräsentativen öffentlichen Gebäude für die „Begegnung mit Besuchern und Gästen der Stadt“. Der Wettbewerb dient also zur Ideenfindung für das Raumprogramm und zugleich zur Erarbeitung eines realisierbaren Entwurfs. Es ist, als bitte man den Arzt um ein Medikament, ohne das Leiden zu benennen.
 Die Architektenschaft ist aufgefordert, der von den Altstadtfreunden gehetzten Stadtverwaltung die wichtigste Definitionsaufgabe abzunehmen: Wie stellt sich das Frankfurter Gemeinwesen an seiner Keimzelle dar, über den Resten des karolingischen Thronsaals? Viele Frankfurter Architekten sind es leid, Buhmann und Ideenlieferant in einem zu sein: Hier zetern die Altstadtfreunde, sobald zeitgenössische Architektur erkennbar wird, dort stellt der schwarz-grüne Magistrat unklare und widersprüchliche Forderungen. Die wichtigste Frage bleibt sowieso unbeantwortet: Für wen will die Stadt das Zentrum bauen? Für die Touristen oder für die Bewohner Frankfurts, für den Stadtteil oder für den Großraum Rhein-Main? Nach dem Willen der Auslober geht es bei der Einfügung des maximal 4000 Quadratmeter BGF umfassenden Stadthauses nicht um Grundsätzliches, sondern um Millimeterarbeit, da zugleich die Häuserzeile südlich des Markts wieder aufgebaut werden soll, damit dieser überhaupt sichtbar wird. Allerdings ragt diese Zeile nach dem mittelalterlichen Grundriss just über den Archäologischen Garten und kollidiert mit dem zu planenden Neubau, von dem Problem der Belüftung der Ruinen im Untergeschoss einmal ganz abgesehen. Wer ließe sich da nicht gerne irgendetwas einfallen? Wird Frankfurt bald von einer ähnlichen Chimäre verfolgt werden wie Berlin vom „Humboldtforum“? Auch dort diktiert eine überkommene Form die Funktionen. Dieter von Lüpke, der Leiter des Stadtplanungsamts, blickt allerdings weniger in die Hauptstadt, sondern eher nach Ulm – der Architekt der neuen Stadtmitte Ulms (Heft 47.2006), Stephan Braunfels, ist als Teilnehmer gesetzt – oder auch nach Köln, wo Zumthors Kolumba (Heft 39.2007) für die perfekte Synthese aus Einfachheit und Nachhaltigkeit steht. Braucht es am Ende einen Deus ex Machina? Oder Christoph Mäckler, der auch im Altstadtbeirat sitzt?
Der BDA ist gespalten
Teilnehmen oder verurteilen, warnen oder belächeln – der Frankfurter BDA zumindest ist gespalten ob des Geschehens. Immer wieder gab und gibt es Vorstöße einzelner Mitglieder, so zum Beispiel den von Stefan Forster und Karl Richter, die im Jahr 2004, als der Rückkauf des Technischen Rathauses durch die Stadt anstand, eine Studie zur Umnutzung des Gebäudes vorlegten: Teilrückbau, Umbau der Türme zu Geschosswohnungen, im Sockel eine Mischung aus öffentlichen und gewerblichen Flächen, Erneuerung der Fassade. Sogar eine gepflasterte Gasse und ein nachempfundener Hühnermarkt lie­ßen sich in die Siebziger-Jahre-Struktur schneiden. Und die verbauten Schadstoffe Asbest und PCB? „Die Kosten der Schadstoffentsorgung“, sagt Forster, „werden auch bei einem Abriss des Gebäudes anfallen; sie sind kalkulierbar.“
Der Vorschlag, die über 30.000 bereits vorhandenen Quadratmeter umzunutzen, wurde damals vom Baudezernenten Edwin Schwarz (CDU) zur Kenntnis genommen, aber aus politischen Gründen nicht weiter verfolgt. Vermutlich, weil das Technische Rathaus ein Leitbild symbolisiert, das heute unpopulärer denn je ist. Es steht für eine Zeit, in der sich Technokraten scheinbar nach Belieben über den Bürgerwillen hinwegsetzen konnten. Das unvermeidliche Macht- und Kompetenzgefälle zwischen Regierenden und Regierten ist heute kaum geringer, wird aber durch eine zelebrierte Bürgerbeteiligung verschleiert. Der populistische „Kampfplatz Altstadt“ erscheint da – nicht nur in Frankfurt – wie ein Rachefeldzug, der den Laien auch deswegen gestattet wird, weil er sich gegen die politische Elite von gestern richtet.
Die Machtlosigkeit der Profession
Der jüngste Versuch der Architekten, zumindest am Bau der beschlossenen Giebelhäuschen teilzuhaben, ist kläglich gescheitert. Anfang Juni fand im Historischen Museum am Römerberg eine Diskussion um „Jetztzeithäuser“ statt. Der un­gelenke Titel zierte eine von Bernhard Franken initiierte Ausstellung, in der fünf Architekturbüros Entwurfsstudien für einzelne Parzellen vorstellten. Zwei Vorurteile wurden dabei bestätigt: das populäre Bild vom Architekten als einem selbstreferentiellen, jeden Kontext negierenden Phantasten, der, wie beim „Voronoi-Haus“ von Bernhard Franken, im Holzfachwerk Ähnlichkeit mit molekularbiologische Strukturen erkennt. Und die Unfähigkeit „moderner“ Architekten, mit der vitalen Minderheit der Altstadtfreunde auf eine Diskussionsebene zu gelangen. Die Architekten wurden schlichtweg des Platzes verwiesen: „Lassen Sie bitte die Altstadt in Ruhe!“, wurde da etwa Michael Schumacher aus dem Publikum zugerufen, obwohl er seine Präsentation vorsorglich mit den Worten eingeleitet hatte, er habe als gelernter Schreiner selbst das eine oder andere Fachwerkhaus saniert. „Warum“, blies der ansonsten als besonnener Staatsdiener auftretende Dieter von Lüpke in das gleiche Horn, „wollen Architekten immer nur das noch nie Gesehene?“ Er wünsche sich Architektur, „die den Umbewertungen des Zeitgeschmacks standhält“. Auch wenn die Vorschläge der Jetztzeit-Architekten belanglos und weder für den BDA noch für die Frankfurter Architektenschaft repräsentativ sein mögen – die Chuzpe, mit der Hinweise beispielsweise auf die funktionalen Zwänge des Altstadtprojekts vom Tisch gewischt wurden, offenbart die Machtlosigkeit der Profession angesichts der Sehnsucht nach einem vorzeigbaren Bild der Stadt, und sei es nur als Kulisse.
Kollateralschaden Historisches Museum
Einem solchen Diskussionsklima ist vor allem Sichtbeton nicht gewachsen. Das Historische Museum, genauer gesagt: sein Erweiterungsbau von 1972, steht inzwischen ebenfalls vor dem Abriss. Er wurde nach Plänen des Frankfurter Hochbauamts errichtet. Die zeitgenössische Kritik lobte seine Terrassierung, die plastische Gestaltung des Baukörpers und die explizit gegenwartsbezogene Materialität, dank derer die um ihn herum versammelten historischen Bauten aus fünf Jahrhunderten so wenig wie möglich gestört würden. Gute dreißig Jahre später ist es opportun, das Gebäude ein „Monster“ zu nennen. Etwas Neues sollte her: Das Stuttgarter Büro Lederer Ragnarsdòttir Oei gewann voriges Jahr den Wettbewerb für den Neubau des Historischen Museums (Heft 9.2008), der ausgelobt wurde, nachdem der Umbau des Hauses im Zuge der Altstadt-Debatte nicht mehr durchsetzbar war. Als Jury-Vorsitzender des alles auslösenden Wettbewerbs von 2005 stand Arno Lederer im Stoff und kannte die lokalen Fallstricke. Der Siegerentwurf teilte das Volumen in zwei Gebäude auf, die im Untergeschoss verbunden sind: „Dadurch ergab sich die Möglichkeit, Baukörper zu bilden, die mit dem Maßstab der Umgebung korrelieren, wobei die untere Ebene gleichzeitig dem historischen Niveau entspricht. Die Körper machen die Stadt, nicht das Abziehbild alter Fassaden, das als Einwickelpapier versucht, die eigentliche Größe zu kaschieren“, schreibt das Büro. Das Projekt befindet sich in der Überarbeitung und wird unter Dauerfeuer der Reko-Hardliner („Wieder eine Betonkiste!“) angepasst: Über Materialien ist noch nicht entschieden, aber es gibt inzwischen ein Fenster zum Römerberg, das Dach wurde leicht verändert, Wandnischen eingefügt, der Ausstellungstrakt zurückgesetzt, um die Blickachse zwischen Römer und Rententurm frei zu machen. Als Verträglichkeitsnachweis haben die Architekten eine kleinteilige Planung für den Bereich östlich des Museums mitgeliefert, wo noch Wohnzeilen aus den fünfziger Jahren stehen.
Die Realität ausblenden
Kaum etwas spricht per se gegen die Nachverdichtung des historischen Stadtzentrums. Bestürzend ist es jedoch zu sehen, welche Wirkung die dürftigen und teils schlicht unwahren Behauptungen der Rekonstruktionswortführer auf die Stadtplanung haben: „Das Herz einer Stadt muss historisch sein!“, fordert der Werbemanager Jürgen Aha. Andere „finden die Altstadt einfach schöner“. Jeder ernsthafte, sich auf die vorhandenen, eigentlich ja faszinierenden Bedingungen dieses Areals beziehende Vorstoß kann derzeit mit einer Vorkriegs­fotografie ausgestochen werden. So etwas kann nur funktionieren, wenn Kommunalpolitiker den Sachverstand ausblenden, wenn das Bild mehr wert ist als die Realität und wenn der öffentliche Raum nicht (mehr) mit Sinn gefüllt werden kann oder soll. „Die Stadt Frankfurt verdankt ihr Profil einer herben, einer unverschleierten Intellektualität, die sich den Attraktio-nen und den Dissonanzen einer spannungsreichen Moderne öffnet“, beschrieb Jürgen Habermas kürzlich seine Wahlheimat. Auf ihrem Weg nach Alt-Frankfurt ist die Stadt dabei, viel von diesem Profil zu verlieren – das allerdings unter einem herrlichen Getöse.

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