Bauwelt

Kosmos Rudolf Steiner

"Die Alchemie des Alltags" in Wien

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Kosmos Rudolf Steiner

"Die Alchemie des Alltags" in Wien

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Die Kunstmuseen Wolfsburg und Stuttgart sowie das Vitra Design Museum haben das gewaltige Unterfangen unternommen, Rudolf Steiners Persönlichkeit und Werk als „verdrängtes Gen“ innerhalb der Evolution der Moderne einer Revision zu unterziehen.
Bio-dynamisch erzeugte Agrarprodukte des Demeter-Bundes behaupten sich am Markt, Naturkosmetika von Weleda oder Dr. Hauschka sind fester Bestandteil der Konsumkultur, und die GLS Bank trotzt den globa­len Verwerfungen des Wirtschaftssystems. Gemeinsame Grundlage all dessen ist das anthroposophische Theoriegebäude von Rudolf Steiner (1861–1925), dem ebenso charismatisch-wirkmächtigen wie umstrittenen Philosophen und Lebensreformer. Nun ha­ben sich die Kunstmuseen Wolfsburg und Stuttgart sowie das Vitra Design Museum das gewaltige Unterfangen vorgenommen, Steiners Persönlichkeit undWerk als „verdrängtes Gen“ innerhalb der Evolution der Moderne einer Revision zu unterziehen und aus der dogmatischen Vereinnahmung der „Steinerianer“ zu befreien.

Mit „Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart“ haben die beiden Kunstmuseen den leichtfüßi­geren Teil übernommen. Das Konzept, Künstler auszustellen, für die sich Steiner heute interessieren könnte, ist eine originelle und tragfähige Hypothese, um heterogene Positionen von Joseph Beuys über Helmut Federle bis Olafur Eliasson in einen assoziativen Dialog zu Steiner’schen Artefakten zu stellen. Alle Künstler entstammen explizit nicht dem anthroposophischen Dunstkreis, sie arbeit(et)en jedoch zwischen Kunst, Technik, Wissenschaften mit einemHang zu spirituell bzw. ethisch motiviertem Reflexionsverlangen.
Ungleich schwieriger ist es für das Vitra Design Museum mit seinem Ausstellungsteil „Die Alchemie des Alltags“, Rudolf Steiner einen gebührenden Platz in der Geschichte der Disziplinen zukommen zu lassen: als Denker, Entwerfer und praktizierender – ja was eigentlich: Künstler? Designer? Architekt? Bei diesem Bemühen wird es mitunter etwas dünn in den übervollen Wunderkammern der Schau und auf den fast 350 Katalogseiten. Es reicht eben nicht, Steiners Entwürfe neben ein frühes Werkstück von Adolf Loos (den etwas teigigen „Elefantenrüsseltisch“ von 1900) zu stellen, in Sichtweite daneben ein Modelldes gläsernen Pavillons der Werkbundausstellung 1914 von Bruno Taut. Sicherlich, die Künstlerarchi­tek­ten der „Gläsernen Kette“ standen den mitunter okkulten anthroposophischen Gedanken nahe. UndAdolf Loos war mit dem frühen tschechischen Kubismus vertraut, der wiederum wohl auch Steiner beeinflusste. Derartige Verflechtungen wünschte man sich jedoch kommentiert, augenfällige formale Analogien befriedigen wenig.

Ferner wäre Steiners Platz in der Architekturgeschichte einen viel mutigeren Exkurs wert. Ähnlich wie zum Beispiel Le Corbusier war auch Steiner als Raumschöpfer vollkommener Autodidakt. Aber welchgewaltige Rolle fiel gerade den nicht akademisch „Verbildeten“ in der Erneuerungsbewegung der frühen Moderne zu, warum war die Zeit so empfänglich für im besten Sinne dilettantische Herangehensweisen an Bauvorhaben, an die sich in dieser Form wohlkaum ein Professioneller gewagt hätte? Es gäbe also allein zwischen diesen beiden Protagonisten gedankliche Nahtstellen – jenseits der Anekdote, dass Corbusier die Baustelle des zweiten Goetheaneums in Dornach 1926 besichtigt haben soll und von ihr sehr beeindruckt war. Stattdessen beschränkt sich die Ausstellung auf die sattsam bekannte Eingliederung von Steiners Architekturen in eine „organische“ Entwurfsauffassung, irgendwo zwischen van deVelde, Häring und Scharoun; der Katalog schlägt mit schwärmerischer Simplizität den Bogen weiter zu Hadid und Calatrava.

„Zugleich begeistert und etwas niedergeschlagen“ sei er immer von den Vorträgen Rudolf Steiners zurückgekehrt, sagte Stefan Zweig. Ähnliches gilt zumindest für die „Alchemie des Alltags“. Be­geisterung, natürlich, über die Fülle am (versponnenen) Schaffen bildender und darstellender Kunst, das eben auch Teil der Moderne ist, selbst wenn einiges schon zur Entstehungszeit merkwürdig anachronistisch gewirkt haben muss. Niedergeschlagenheit, weil die Chance zu frischen Neubewertungen und Kontextualisierungen in vielen Bereichen vertan wurde. Ganz zu schweigen von dem latenten Vorwurf, dem „Kosmos Steiner“ hafte eine germanisch-nordische Mythologisierung an, was aber keinem der Ausstellungsmacher eine tiefere Beschäftigung wert war. Schade, denn so schnell wird sich wohl niemand in diesem Umfang erneut Rudolf Steiners Werk annehmen können.
Fakten
Architekten Rudolf Steiner (1861–1925)
aus Bauwelt 21.2010
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