Bauwelt

Von Wien lernen

Nachlese zur Konferenz „Urbanes Hausen“ in Berlin

Text: Kowa, Günter, Berlin

Von Wien lernen

Nachlese zur Konferenz „Urbanes Hausen“ in Berlin

Text: Kowa, Günter, Berlin

Es ist keine ganz frische Ausstellung mehr, die bei Aedes am Pfefferberg zu sehen ist, nach der letzten Architekturbiennale in Venedig und weiteren Statio­nen. Aber über „Wiener Wohnbau – Innovativ, Sozial, Ökologisch“ können Berliner dennoch nur staunen. Die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher zum Beispiel. Auf dem begleitenden Symposium „Urba­nes Hausen“ resignierte sie angesichts einer hundert­jährigen, nur im NS-Staat gebrochenen Tradition kommunalen Wohnungsbaus in der Donaumetropole: „In Berlin habe ich seit meinem Amtsantritt nur ein einziges Wohnbauprojekt begleitet.“
Die Baudirektorin wird also wohl kaum wegen des Wohnungsbaus nach Berlin gekommen sein. Sonst wäre sie in ihrem vorangegangenen Amt in Zürich geblieben. Dort hat seit einem Jahr ihr ehemali­ger (Büro-)Partner Patrick Gmür das Sagen. Auf der Konferenz stellte er das von ihm geplante jüngste Zürcher Renommierwohnprojekt vor. Weil es einen Concierge gibt, heißt es „James“. Der Komplex mit 280 Wohnungen liegt zentrumsnah auf einem ehemaligen Fabrikareal. Im räumlich beengten Zürich werden aus Platzmangel zwar nicht mehr nennenswert neue Siedlungen gebaut, dafür wird innerstädtisch nachverdichtet, und nicht nur für verschwiegene Bankiers. Im „James“ sind die Mieten subventioniert, für „ältere Leute und Selbständige“, „Familien“ und „Studenten und andere Erstmieter“. Die einfallsreich variierten 75 Grundrisstypen folgen imaginären „Lebensläufen“, das Farbspektrum hat mexikanische Vorbilder, und dank Badminton-Halle muss sich keiner allein fühlen.
In der „Tour d’horizon“ des zeitgenössischen Wohnungsbaus, den das Symposium mit Teilnehmern aus Deutschland, Holland und den Alpenländern bot, war „James“ auf alle Fälle ein Highlight – doch eben darin steckt auch ein Problem. Gleichförmigkeit im Wohnungsbau ist passé, die Vielfalt individualistischer Lebensstile findet ihren Ausdruck in betont eigenwilliger Baugestalt mit wenig Sinn für urba­nen Zusammenhalt. Das war auch der Wermutstropfen, den Dietmar Steiner, Direktor des AzW und Vorsitzender des Qualitätsbeirats des Wiener Wohnbaus, in die Euphorie über die ungebrochene Lebendigkeit seiner örtlichen Tradition träufelte.
Dabei macht Wien eigentlich alles richtig, wenn man Baubürgermeister Michael Ludwig hört: 60 Prozent der Einwohner leben in geförderten Wohnun­gen, die meisten davon in kommunalem Bestand. Nie käme die Stadt auf die Idee, diesen an Finanzinvestoren zu verscherbeln, im Gegenteil, 450 MillionenEuro steckt sie weiterhin pro Jahr in den Neubau, 150 Millionen in soziale Wohnbeihilfe. Der Bau von neuen Siedlungen bleibt den Ursprüngen des „Roten Wien“ der 20er Jahre treu, der „Karl-Marx-Hof“ ist Leitbild bis heute und die gut ausgelastete Architektenschaft auf Vorbilder wie Adolf Loos, Peter Behrens und Hubert Gessner eingeschworen.

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