Bauwelt

„Was wir bieten können, ist Horizonterweiterung“

Die Klugen unter den Schönen

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

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„Was wir bieten können, ist Horizonterweiterung“

Die Klugen unter den Schönen

Text: Kil, Wolfgang, Berlin

Agnieszka Rasmus-Zgorzelska und Aleksandra Stępnikowska über die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit zu bilden, Qualitäten statt Ideologien zu diskutieren und Bücher auf ihrem Weg in die Welt zu begleiten.
Fundacja Centrum Architektury gehört zu einer Reihe von Vereinen in Polen, die sich der öffentlichen Diskussion über Stadtentwicklung, Architektur und Kultur der öffentlichen Räume verschrieben haben. Die „Stiftung“ wurde 2011 von der Kulturwissenschaftlerin Agnieszka Rasmus-Zgorzelska, der Innenarchitektin Aleksandra Stępnikowska und dem Architekturkritiker Grzegorz Piątek gegründet. In der kurzen Zeit ihrer Zusammenarbeit haben sie bereits viele Projekte realisiert, unter denen die Herausgabe von „Klassikern“
der internationalen Architekturliteratur eine zentrale Rolle spielt. Natürlich hatten sie auch Anteil an der Rettung der Warschauer Stadtbahnhöfe. Das erstaunliche Lebenswerk der beiden Bahnhofsarchitekten füllt nun ein höchst spannendes Buch, dessen englische Ausgabe durch die Versteigerung der ausgemusterten Bahnhofsschilder finanziert wurde.
Die Aktivitäten des Centrum Architektury fallen durch Originalität und stets große Nähe zum Alltagspublikum auf. In der Beschäftigung mit dem Werk und der Person Le Corbusiers kam diese Neigung besonders zum Blühen. Obwohl der Vordenker der Architektur des 20. Jahrhunderts Polen nie besucht oder gar hier gebaut hat, gelten seine Theorien der jüngeren Planergeneration als wichtiger Schlüssel, um den dezidiert modernen Wiederaufbau der meisten polnischen Städte zu verstehen. Deshalb rief Centrum Architektury anlässlich des 125. Geburtstags des Architekten das Jahr 2012 zum „Le CorbusYear“ aus und erklärte das Wohnviertel Za Żelazną Bramą, jenes Dutzend riesiger Wohnscheiben mitten im Zentrum Warschaus, zur „Strahlenden Stadt“ (Varsovie radieuse). Mit verschiedenen Partnern wurden Stadtspaziergänge „auf den Gedankenpfaden von LC“ durch die weit­läufigen Grands Ensembles in Katowice und Tarnów veranstaltet, in Breslau und Warschau trafen sich polnische und interna­tionale Referenten zu einem „Vortragsmarathon“ zu Ehren des Jubilars. Höhepunkt des Festivals war zweifellos ein inszenierter Auftritt „des Meisters“, mit dem sich das Warschauer Publikum über die Schmach der zwei abgesagten Originalbesuche hinwegtrösten konnte.
Wer das Centrum Architektury sucht, landet in einem quirligen Shared-Space-Bürokomplex in Muranow, am Nordrand der Warschauer Innenstadt. Schon erstaunlich, wie das winzige Zimmer dort mit all jenen wichtigen Orten in Polen verknüpft ist, an denen über Stadt und Architektur diskutiert wird. Neuerdings reichen die Fäden sogar europaweit – die kleine, sehr sorgsam ausgewählte Ausstellung „zum Beispiel: ein neues polnisches Haus“ ist noch bis 7. Februar im Polnischen Kulturinstitut Berlin zu sehen, anschließend wandert sie weiter nach Wien.
Die Bauwelt hat diese Tournee zum Anlass genommen, sich etwas ausführlicher vom aktuellen Architekturgeschehen bei unseren östlichen Nachbarn erzählen zu lassen.
Ihre Stiftung existiert seit 2011. An wen richten sich Ihre Bemühungen um gute Architektur?
Aleksandra Stępnikowska | In Polen ist in den letzten fünfundzwanzig Jahren unglaublich viel gebaut worden, aber es gab keinen Ort, um sich öffentlich über Architektur zu streiten. Architekten haben untereinander zwar ihre professio­-nelle Kommunikation, aber in die Öffentlichkeit gab es keinerlei Draht.
Trägt das Gespräch unter Kollegen denn zu guter Archi­tektur bei?
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | Darüber wollen wir gar nicht befinden. Uns geht es mehr um die Lücke zwischen Fachwelt und Öffentlichkeit. Dafür war bisher allenfalls das Architekturmuseum in Breslau „zuständig“. Die Museen für Zeitgenössische Kunst oder zum Warschauer Aufstand nehmen sich zwar auch Architektur-Themen an, aber nur gelegentlich, weil sie ja andere Aufgaben haben. Also sagten wir: Es braucht eine Institution, die sich ausschließlich und verlässlich Fragen der Architektur widmet. Es haben sich ja zeitgleich mit unserem „Centrum Architektury“ noch drei weitere Architekturinitiativen in Polen gegründet – irgendwie drängte sich diese Suche nach Öffentlichkeit geradezu auf.
Sie selber kommen gar nicht direkt aus dem Berufsstand.
Aleksandra Stępnikowska | Nur zum Teil, aber wir lassen uns beraten. Und wir sehen darin auch unsere besondere Chance: als Vermittlerinnen. Wenn Experten ihre Diskurse unter sich führen, hat die Allgemeinheit in der Regel nicht viel davon. Das Publikum wird der Fachdebatten schnell müde.
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | Andererseits neigen die Massenmedien, wenn sie denn mal ein Architektur- oder Stadtthema aufgreifen, oft zu Banalisierungen. Wir finden, öffentliche Debatten sollten nicht im Insiderjargon geführt werden aber trotzdem auf angemessenem Niveau.
Wie lassen sich Debatten über Architektur anstoßen?
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | Es gibt Gruppen, die organisieren Workshops für benachteiligte Nachbarschaften oder besetzen auch mal ein leeres Haus. Aber Aktivismus ist nicht unsere Strategie. Wir wollen den öffentlichen Raum nicht selber umkrempeln, unser Ziel ist, dass die Leute ihre Situation bewusster wahrnehmen. Dafür wollen wir sie mit einer Portion Fachwissen versorgen, also Wissen, das ja auch Aktivisten gut brauchen können.
Aleksandra Stępnikowska | Man braucht einen langen Atem, um in der Kultur einen Wandel zu erreichen. Bei uns herrscht zum Beispiel noch die verbreitete Meinung, Architektur wird einfach geliefert, vom Staat oder vom Investor. Dass man sich auch als Bürger für die Qualität der öffentlichen Räume einsetzen, vielleicht darum kämpfen muss – dafür muss ein Bewusstsein erst geweckt werden.
Was ist Ihrer Meinung nach wirkungsvoller: Architekten zu besserer Architektur anzuspornen, oder aus den Leuten ein anspruchsvolleres Publikum zu machen?
Aleksandra Stępnikowska | Eindeutig Letzteres! Wir haben genügend ausgezeichnete Architekten, die ihren Job gut beherrschen. Die brauchen von uns keinen Nachhilfeunterricht, wir sind auch kein weiterer Berufsverband. Aber die Qualität der öffentlichen Räume hängt ja nicht allein von guter Architektur ab. Dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen, und die sind in der Regel politisch bestimmt, also Gegenstand öffentlicher Einflussnahme. Eine gute städtische Umwelt braucht eine informierte und intakte Stadtge­sellschaft. Es ist leicht, immer nur auf die Architekten zu schimpfen.
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | Was wir Architekten bieten können, ist eine Horizonterweiterung. Wir bringen jetzt schrittweise Werke der internationalen Architekturliteratur erstmals in polnischer Übersetzung heraus. Es ist schon absurd, wie klassische Texte, etwa von Adolf Loos oder Jane Jacobs, seit langem durch die polnischen Debatten geistern, ohne dass sie hier in unserer Muttersprache zugänglich waren.
In Polen scheint sich gerade ein Wandel zu vollziehen. Der brutalistische Bahnhof von Katowi wurde abgerissen, zuvor das avantgardistische Hängedach SUPERSAM in Warschau. Doch inzwischen gewinnt die Nachkriegsmoderne auch bei Ihnen Freunde. Wem ist dafür zu danken – der Architektenschaft oder dem Publikum?
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | Den Architekten eher zuletzt! Bei der Rettung der Warschauer Bahnhöfe zum Beispiel entstand zuerst eine Diskussion unter den Leuten, dann haben sich Journalisten für die Sache engagiert. Was für ein Glück, dass der Staatsbahn damals das Geld für einen schnellen Neubau des Zentralbahnhofs fehlte, da hatte die öffentliche Meinung Zeit, sich zu formieren.
Aleksandra Stępnikowska | Inzwischen wächst gerade unter den ganz Jungen ein riesiges Interesse. Es wimmelt geradezu von Facebook-Gruppen, Fan-Seiten und Blogs zu allem, was mit Stadt, mit Identität und Geschichte zu tun hat. Bücher erscheinen am laufenden Band, über die Moderne vor dem Krieg, über polnisches Design, zumeist alles Dinge, die akut vom Verschwinden bedroht sind. Noch vor zehn Jahren gab
es von alldem nichts, nur eine große Leere. Die Situation ist einfach günstig, wir reiten also auf einer Welle.
Wer hat diese Welle angeschoben?
Aleksandra Stępnikowska | Schwer zu sagen. Vielleicht war es eine Reaktion auf die erwähnten Verluste. Oft bemerkt man den Wert einer Sache erst, wenn sie weg ist. Als das Kaufhaus SUPERSAM oder das Kino Moskwa verschwunden waren, stellten die Leute fest, wie sehr sie doch an ihnen gehangen hatten. Außerdem wird ja jetzt die Generation der Nachkommen aktiv. Weniger belastet durch eigene Erinnerungen, ge-hen die entspannter mit der jüngeren Vergangenheit um. Da wird auch wieder ästhetisch geguckt, weniger ideologisch.
In Deutschland hat man manchmal den Eindruck, die jetzt abtretende Generation will noch möglichst viele Tatsachen schaffen, also unliebsame Bauten beseitigen ...
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | In Polen ist es eher ein Wettlauf um das „große Geld“. Für eine schicke Investition geben Politiker noch jeden Bauplatz frei, da zählt auch ein eleganter Bau aus den Sechzigern bloß als Hindernis. Schlimmstenfalls gilt jede Nachkriegsarchitektur als Zeugnis sowjetischer Vorherrschaft. Bei einem solchen Geschichtsbild ist natürlich keine wirkliche Architekturdebatte zu führen.
Deshalb werden Sie sich im nächsten Jahr auch dem Warschauer Kulturpalast, dieser Ikone des Stalinismus, zuwenden?
Aleksandra Stępnikowska | Bis jetzt wollten wir Theoretiker der Moderne in Polen zugänglich machen. Aber im Grunde herrscht zum Thema Sozrealismus ein ähnliches Defizit. Da wären dann weniger klassische Texte auszugraben, als sub­stantielle Beiträge aus aktuellen Debatten zu finden. Als ersten Schritt in diese Richtung werden wir „The Edifice Complex“ von Deyan Sudjic auf Polnisch herausbringen, eine leicht verständliche Analyse der Zusammenhänge zwischen Architektur und Macht.
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | Wir lassen unsere Leser ja nicht allein mit den Texten. Jedes Buch wird von Events begleitet, wir veranstalten öffentliche Podiumsdiskussionen, oder es gibt Stadtwanderungen, auf denen man sich den Einfluss der Moderne-Theorien auf den Städtebau in Polen erklären lassen kann.
Ein enormer Aufwand. Wie finanzieren Sie das alles?
Aleksandra Stępnikowska | Für Buchprojekte gibt es hin und wieder Geld vom Kulturministerium. Wir bewerben uns auch bei Projektausschreibungen, die jetzige Häuser-Ausstellung etwa ist so entstanden. Die Wirtschaft hat kein Interesse an unseren Themen, und in der derzeit schlechten Lage ist sie auch überhaupt nicht großzügig. Privates Sponsoring
ist in Polen noch nicht genug entwickelt. Immerhin hat sich um unsere Stiftung ein kleiner Freundeskreis versammelt, der unsere Arbeit unterstützt, mit manchmal nur symbolischen Summen, aber regelmäßig. Ehrlich gesagt – darauf sind wir stolzer als wenn wir dicke Industriespender hätten.
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | Am besten wären natürlich mehr Bestseller. Mit „Vers une architecture“ von Le Corbusier haben wir das einmal geschafft. Die erste Auflage war innerhalb einer Woche weg, die zweite nach zwei Monaten. Jetzt, mit der dritten Auflage, kommt auch mal mehr als die Unkosten wieder herein.
Wer steht denn noch auf Ihrer Wunschliste?
Aleksandra Stępnikowska | Von Le Corbusier sollen mindestens noch zwei weitere Titel erscheinen und von Venturi „Complexity and Contradiction“. Bei berühmten Texten ist es mitunter kompliziert, an die Rechte zu kommen.
Haben Sie keinen Ehrgeiz, polnische Architekten in der Welt bekannt zu machen?
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | Das wäre unser Traum! Aber es ist nicht einfach. In Polen haben selbst gute Leute oft ziemlich anonym in Kollektiven gearbeitet, die müssen erst entdeckt und erschlossen werden. Das ist dann noch kost­spieliger als Übersetzungsrechte auf dem internationalen Markt zu erwerben.
Dieser wunderbare Band über die beiden Warschauer Bahnhofsarchitekten muss doch als internationale Entdeckung gelten.
Agnieszka Rasmus-Zgorzelska | Leider war der Aufwand da­für extrem. Das bleibt ein Liebhaberprojekt, so etwas zahlt sich nie aus. Man darf auch nicht vergessen: Bücher sind in Polen immer noch billig, unsere „Klassiker“-Reihe kostet je Band umgerechnet zwölf Euro. Das ist nicht so toll für uns als Verlegerinnen, aber es ist gut für Studenten. Die sind sicher unsere eifrigsten Leser.

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