Ein neues Gebäude für eine neue Stadt?
Die denkmalgerechte Grundinstandsetzung von Scharouns Staatsbibliothek am Berliner Kulturforum soll nach Plänen von gmp erfolgen. Eine streitbare Entscheidung, der im besten Fall Mut zur Veränderung zugrunde liegt.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Ein neues Gebäude für eine neue Stadt?
Die denkmalgerechte Grundinstandsetzung von Scharouns Staatsbibliothek am Berliner Kulturforum soll nach Plänen von gmp erfolgen. Eine streitbare Entscheidung, der im besten Fall Mut zur Veränderung zugrunde liegt.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Wettbewerbsjuries entwickeln oft eine seltsame Dynamik, mit seltsamen, für den Außenstehenden nicht immer nachvollziehbaren Resultaten. Erst vor zwei Wochen fragte sich Kollegin Landes auf diesen Seiten, warum gmp den Zuschlag für ein neues Schwimmbad in Leipzig erhalten haben, obwohl sich die Preisgerichtsbeurteilung wie ein einziger Mängelreport liest, während die Zweitplatzierten über den grünen Klee gelobt wurden. Nun haben gmp schon wieder das Glück der Tüchtigen gehabt und in einem ungleich gewichtigeren Wettbewerb den Zuschlag erhalten – mit einer Arbeit, an der die Jury (Vorsitz: Volker Kurrle) kein gutes Haar lässt, während der Arbeit des zweitplatzierten Büros Chipperfield in fast allen Punkten applaudiert wurde. Was soll man davon halten? Eine Fehlentscheidung, mal wieder, oder endlich mal Mut zu einer wegweisenden Lösung statt Einigung auf eine Arbeit, die im Hauptstrom schwimmt?
Es geht um Scharouns Staatsbibliothek am Berliner Kulturforum, ein Denkmal des organhaften Bauens der 60er Jahre, das nun, nach Jahrzehnten in Betrieb, grundinstandgesetzt werden soll: denkmalgerecht, vesteht sich. Und das vor dem Hintergrund einer schon vor 30 Jahren, mit dem Fall der Mauer, und dann noch mal vor zwanzig Jahren, mit der Eröffnung des debis-Areals und des Sony-Centers nebenan, grundlegend veränderten städtebaulichen Situation, die nun vor einem erneuten Wandel steht, mit dem Bau des Museums von Herzog & de Meuron gegenüber. Die im Grunde entscheidende Frage zur Beurteilung der Arbeiten musste also diese sein: Wie werten die Architekten das Drumherum? Wohin wird sich die Bibliothek künftig orientieren? Bleibt der Haupteingang im Westen, oder bekommt er im Osten, mit dem schon vor 25 Jahren von Renzo Piano angedachten neuen Zugang vom Marlene-Dietrich-Platz, ein gleichwertiges Gegenüber? Welche Publikumsattraktionen werden hier und dort angeordnet, um das mächtige Bücherschiff besser in der Stadt zu vertäuen? Und wo beginnt dann eigentlich das intime, dem Leser vorbehaltene Reich der Stille?
Gerkan, Marg und Partner haben sich für eine unübersehbare Orientierung der Bibliothek hin zum Potsdamer Platz entschieden. Das auf der Ostseite bislang angeordnete Großraumbüro wollen sie durch eine Cafeteria und ein neues Ostfoyer ersetzen, das sich mit zwei Eingängen zum debis-Areal öffnet: einmal im Norden durch den Schlitz zwischen Spielbank und Musicaltheater hin zum Marlene-Dietrich-Platz, einmal im Süden hin zum „Piano-See“. Eine neue Terrassenlandschaft soll der Bibliothek vorgelagert werden und die beiden neuen Eingänge zusammenfassen; der nördliche wird zudem von einem lautstarken Vordach markiert. Das eigentliche Foyer ist in der Verlängerung der beiden Eingänge entlang der Außenkanten des Grundrisses angebunden, die seit Jahren abgesperrte Südtreppe hinauf in die Wandelhalle soll reaktiviert werden. Scharounsche Originalstücke wie die Milchbar und die Garderoben sollen denkmalgerecht modernisiert werden, der im Foyer stehende Veranstaltungssaal einen neuen Zugang erhalten und außerdem nach oben, gen Lesesaal, auf zwei Geschosse gestreckt werden. Die Zugangskontrolle wollen gmp nach oben verlegen, in die Wandelhalle, um so den von Scharoun intendierten „offenen Bezirk“ im Erdgeschoss (wieder) herzustellen – im Grunde die einzige strukturelle Entscheidung, die in der Preisgerichtsbeurteilung bestätigt wird. Ansonsten üben die Juroren harsche Kritik: Die Eingriffe ins Gebäude seien massiv, die neuen Zutaten gestalterisch fremd, die Leseterrassen auf der Ostseite nicht angemessen.
Wie es besser ginge, zeigt die Arbeit von Chipperfield Architects: Der Eingang im Osten wird als Nebeneingang herausgearbeitet, den nur der gewiefte Nutzer kennt und als Abkürzung zum S- und U-Bahnhof Potsdamer Platz nutzt, der Durchschlupf ins historische Foyer entsprechend unauffällig behandelt. Die bestehende Trennlinie von öffentlichen und kontrollierten Bereichen, Scharouns „Kordellösung“, wollen sie beibehalten und mit gläsernen Brüstungselementen verstetigen, in allen anderen Detaillösungen selbstbewusste Zurückhaltung üben – ein Entwurf, der den Preisrichtern keinen Anlass zu Kritik bietet, im Gegenteil: „entspricht der Scharounschen Eleganz“, „angemessen und effektiv“, „bescheiden, aber deutlich“, „sehr gut gelungen“, „gut gewählt“, „intelligent gelöst“, „extrem nachhaltig“, „eine gelungene Symbiose“, so die Reihe der Beurteilungen.
Eine Fehlentscheidung also, mal wieder? Oder doch der große Wurf, der mutige Schritt ins Ungewisse, mit allem Risiko, an der Berliner Realität oder am Scharounschen Bauwerk zu scheitern? Sympathischer ist wohl, zugegeben, der Ansatz von Chipperfield. Lust auf die kommende Veränderung, vielleicht sogar eine neue Rolle im Stadtraum aber verheißt tatsächlich eher die Arbeit von gmp. Möglich, dass sie nicht die beste Lösung für das Baudenkmal ist, für die Zukunft der Institution in diesem Gebäude, an diesem Ort aber könnte sie die bessere Wahl sein. Insofern: eine Entscheidung, die neugierig macht auf die Zeit nach dem Umbau.
Realisierungswettbewerb
1. Preis (53.000 Euro) gmp Generalplanungsgesellschaft, Berlin
2. Preis (33.000 Euro) David Chipperfield Architects, Berlin
Anerkennungen (je 23.000 Euro) Grüntuch Ernst, Berlin; heneghan peng architects, Berlin/Dublin, mit adb Ewerien und Obermann, Berlin, und SHS Architekten, Berlin
1. Preis (53.000 Euro) gmp Generalplanungsgesellschaft, Berlin
2. Preis (33.000 Euro) David Chipperfield Architects, Berlin
Anerkennungen (je 23.000 Euro) Grüntuch Ernst, Berlin; heneghan peng architects, Berlin/Dublin, mit adb Ewerien und Obermann, Berlin, und SHS Architekten, Berlin
Jury
Winfried Brenne, Rebecca Chestnutt, Donatella Fioretti, Susanne Gross, Volker Kurrle (Vorsitz), HG Merz,
Hermann Parzinger, Barbara Schneider-Kempf, Christine Hammann, Ingo Mix, Petra Wesseler
Winfried Brenne, Rebecca Chestnutt, Donatella Fioretti, Susanne Gross, Volker Kurrle (Vorsitz), HG Merz,
Hermann Parzinger, Barbara Schneider-Kempf, Christine Hammann, Ingo Mix, Petra Wesseler
Auslober
Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vertreten durch Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)
Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vertreten durch Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)
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