Bühne frei für den Lehm
Der Terra-Award zeichnet weltweit Bauten und Projekte aus, die mit Lehm entstanden sind. Im Juli wurde er in Lyon erstmals vergeben. Neun Preisträger und 20 Anerkennungen aus aller Welt zeigen, was möglich ist
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Bühne frei für den Lehm
Der Terra-Award zeichnet weltweit Bauten und Projekte aus, die mit Lehm entstanden sind. Im Juli wurde er in Lyon erstmals vergeben. Neun Preisträger und 20 Anerkennungen aus aller Welt zeigen, was möglich ist
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Das Bauen mit Erde bzw. Lehm ist in den vergangenen Jahren populär geworden, so scheint es. Auf der Architekturbiennale in Venedig rochen ganze Ausstellungsräume erstmals nach dem Material, immer wieder gewinnen Lehmbauten Preise, vor allem, wenn es um nachhaltige Architektur geht. Bauten, in denen Lehm zum Einsatz kommt, sind die Lieblinge jeder ökologisch bewussten Jury, die Vorzeigeprojekte aller Auslober, für die Vernunft und Glaubwürdigkeit wichtig sind. Doch der Schein der Popularität trügt. Obwohl die Vorteile von Lehm in Bezug auf seine das Raumklima ausgleichenden Eigenschaften und seine vielseitige Verwendbarkeit auf der Hand liegen, entscheiden sich viele Planer und Auftraggeber gegen die Verwendung. In Ländern, wo viele Menschen in Lehmhäusern wohnen, gilt das Material als primitiv, billig und schlecht. In der westlichen Welt hingegen ist Lehm im Vergleich mit konventionellen Baustoffen zu teuer. Zudem sind die Möglichkeiten des Materials noch wenig erforscht. Und obwohl es seit 2013 eine DIN für Lehmbaustoffe gibt, haben die Hersteller eine viel zu kleine Lobby. Die Szene ist kleinteilig und regional organisiert, eine große Marketingmaschine kann sich niemand leisten.
Umso verdienstvoller ist die ehrenamtliche Arbeit einer Gruppe von Enthusiasten um die französische Architektin und Chefredakteurin der Zeitschrift EcologiK Dominique Gauzin-Müller. Sie hat den ersten internationalen Preis für zeitgenössische Lehmarchitektur ins Leben gerufen, den Terra-Award. Die Lieblinge und Vorzeigeprojekte, egal ob Neubau oder Sanierung, traten also erstmals gegeneinander an. Im Juli wurden die Preise auf dem Terra-Weltkongress in Lyon, der führenden wissenschaftlichen Tagung für Lehmbau, verliehen.
357 Bewerbungen aus 27 Ländern auf allen fünf Kontinenten waren eingegangen. Einzige Bedingung: Sie mussten nach Januar 2000 fertiggestellt worden sein. 40 Bauten kamen in die engere Wahl und wurden neun Kategorien zugeordnet, die so ziemlich das gesamte Bauspektrum abdecken: Privathäuser, Gemeinschaftshäuser, Schulen/Sport/Gesundheit, Kultur/Religion, Büros/Läden/Fabriken, Innenarchitekur/Design, Landschaft, Entwicklung, Workshop/Training/Festival. Die Jury urteilte nicht nur nach der architektonischen Qualität, sondern schaute auch, inwiefern traditionelle Techniken weiterentwickelt wurden und wie die Bauten in die Umgebung gefügt sind. Den Vorsitz hatte Wang Shu. Der Pritzkerpreisträger 2012 gilt als Pionier der Lehmarchitektur. In zehn Jahren hat er um die 20 solcher Bauten in China gebaut, darunter ein Gästehaus, einen Teepavillon und ein Konferenzzentrum.
Wenn ein Preis zum ersten Mal ausgelobt wird, ist die Auswahl meist besonders groß, viele würdige Preisträger sind darunter. Deshalb entschied sich die Jury, neben den neun Preisträgern in den neun Kategorien, einen Sonderpreis für technische Innovation und zusätzlich 20 Auszeichnungen zu vergeben. Außerdem gab es fünf Anerkennungen für Pioniere des Lehmbaus.
Die ausgezeichneten Projekte verdeutlichen die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten auch in Verbindung mit anderen Materialien. Sie sind nicht allein ästhetisch gelungen. Vielmehr stehen sie für den Mut ihrer Initiatoren, alte Techniken wiederzuentdecken oder neu zu interpretieren und damit unbekanntes Terrain beim Bauen zu betreten. Dies sind nicht immer nur Architekten, sondern oft auch Bewohner, Studierende oder Stiftungen. Da ist zum Beispiel die Schule im 3500 Meter hoch gelegenen indischen Ort Leh, wo es bis zu -30 °C kalt werden kann. Oder die Rekonstruktion eines vom Erdbeben zerstörten Dorfes in China, das als moderne Interpretation der örtlichen Sippenhäuser daherkommt. Da ist das Wohnhaus des Architekten Àngels Castellarnau Visús im nordspanischen Ayerbe, für dessen Wände eine lokale Bautechnik weiterentwickelt und dem Stampflehm Stroh und Kalkmörtel beigemischt wurde. Und da ist die beeindruckende, 230 Meter lange Lehmwand, die entlang einer Düne im nordwestlichen Australien zwölf Höhlenwohnungen für Kuhhirten begrenzt. Die Sanierung eines alten Lehm-Forts in Al Ain im Emirat Abu Dhabi (Bauwelt 04.2009) wurde ebenso ausgezeichnet wie der Markt von Koudougou in Burkina Faso (Bauwelt 37.2007). Für seine technische Innovation bei der Stampflehmfassade des Ricola-Kräuterzentrums im schweizerischen Laufen erhielt Martin Rauch einen Sonderpreis. Die Umfassung des 100 mal 30 Meter großen und 11 Meter hohen Gebäudes wurde in 666 Abschnitten in der Halle vorgefertigt und vor Ort zusammengefügt. So konnte der lange Trocknungsprozess außerhalb der Baustelle beginnen.
Es ist ungewöhnlich, dass ein Preis, der auf die Verwendung eines Baustoffes zielt, keine Industriepartner hat. Vor allem französische Organisationen unterstützten ihn: CRAterre, das 1979 gegründete Zentrum für Lehmarchitektur zum Beispiel, der UNESCO-chair „Earthen architecture“ als Schirmherr, die französische Zeitschrift EcologiK und auch der in Deutschland angesiedelte Dachverband Lehm e.V. Der nächste Terra-Kongress wird turnusmäßig in vier bis fünf Jahren stattfinden. Ob es dazu wieder einen Terra-Award geben wird, ist offen. Zunächst sind alle 40 Projekte als Buch und auf der Webseite terra-award.org dokumentiert und touren als Wanderausstellung. Bis Jahresende sind Lyon, Bordeaux, Strasbourg und Marrakesch geplant. Wer die Ausstellung zeigen möchte, kann sich melden.
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