Die Architekturbiennale wagt den Social Turn
Wie sehr die weltweiten Kulturinstitutionen längst einer Art von schlechtem Gewissen unterliegen, zu lange auf die falschen Themen gesetzt zu haben, zeigte die diesjährige Pritzker-Preis-Vergabe an den chilenischen Selbstbau-Architekten Alejandro Aravena. Die Biennale war dem Pritzker-Preis da bereits einen Schritt voraus, mit der Ernennung Aravenas zum Chefkurator für die Schau, die am 28. Mai in Venedig ihre Tore öffnet. Wir haben elf der internationalen Kuratoren und Kommissare zu einem Blick in die Werkstatt der wichtigsten Architekturausstellung gebeten. Wie werden sie umgehen mit Aravenas Thema: „Reporting from the Front“?
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Die Architekturbiennale wagt den Social Turn
Wie sehr die weltweiten Kulturinstitutionen längst einer Art von schlechtem Gewissen unterliegen, zu lange auf die falschen Themen gesetzt zu haben, zeigte die diesjährige Pritzker-Preis-Vergabe an den chilenischen Selbstbau-Architekten Alejandro Aravena. Die Biennale war dem Pritzker-Preis da bereits einen Schritt voraus, mit der Ernennung Aravenas zum Chefkurator für die Schau, die am 28. Mai in Venedig ihre Tore öffnet. Wir haben elf der internationalen Kuratoren und Kommissare zu einem Blick in die Werkstatt der wichtigsten Architekturausstellung gebeten. Wie werden sie umgehen mit Aravenas Thema: „Reporting from the Front“?
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Aus allen Winkeln der Erde kamen die Ehemaligen zur Preisverleihung des Pritzker nach New York: Thom Mayne, Glenn Murcutt, Jean Nouvel, Richard Meier, Richard Rogers, Renzo Piano. Der Platz von Zaha Hadid musste leer bleiben. Die angereisten Architekten stehen für eine Architektur, die der globalen Architekturproduktion der letzten 20 Jahre Glanzlichter verlieh. Charles Jencks hat diese Protagonisten mal als „Celebrity Chefs“ bezeichnet, die die „grande cuisine“ der Architektur am Laufen halten. Doch die Edel-Küche der Architektur hat sich in Zeiten der Flüchtlingskrise und des grassierenden nationalen Populismus überholt, die Glanzlichter der großen Architektur sind stumpf geworden.
Mit der Verleihung des Pritzker-Preises an den chilenischen Architekten Alejandro Aravena will es der Pritzker in diesem Jahr anders und vor allem sozialer machen. Aravena hat, was den anderen fehlt. Seine Architektur steht für eine bescheidene Bauweise, die sich dem Verständnis und den Nöten der Bewohner verpflichtet fühlt und deren Selbstermächtigung unterstützt: „Unser eigentliches Baumaterial, dem wir als Architekten Gestalt geben, ist nicht der Ziegel, der Stein, der Stahl oder das Holz, sondern das Leben.“ So Aravena am 4. April in seiner UNO-Dankesrede.
Kümmert Euch! – Kuratoren als Berichterstatter
Das „gestaltete Leben“ soll jetzt auch die Architekturbiennale in Venedig aus ihrer Selbstbespiegelung herausholen. Der Biennale-Chef Barrata hatte es der Pritzker-Jury vorgemacht und Alejandro Aravena als Direktor der Biennale 2016 inthronisiert. Aravena liefert keine ausgeklügelten Konzepte wie zwei Jahre zuvor Rem Koolhaas. Er vertraut auf die Ansteckungskraft einer Architektur, die neben materiellen auch gesellschaftliche Veränderungen initiieren kann. Seine Idee: eine Schau der Architekten als Macher, als Anpacker. Bei der Vorstellung seines Gesamtkonzepts im Februar in Berlin warf Aravena einen Kreis von 14 brisanten Themen an die Wand, von „crime“ über „inequality“ , „migration“ und „pollution“ bis zu „segregation“. Seine Botschaft an die Architekten und die Kuratoren: „Kümmert Euch um die gesellschaftlichen Probleme! Seid Teil der Lösung!“
Das „gestaltete Leben“ soll jetzt auch die Architekturbiennale in Venedig aus ihrer Selbstbespiegelung herausholen. Der Biennale-Chef Barrata hatte es der Pritzker-Jury vorgemacht und Alejandro Aravena als Direktor der Biennale 2016 inthronisiert. Aravena liefert keine ausgeklügelten Konzepte wie zwei Jahre zuvor Rem Koolhaas. Er vertraut auf die Ansteckungskraft einer Architektur, die neben materiellen auch gesellschaftliche Veränderungen initiieren kann. Seine Idee: eine Schau der Architekten als Macher, als Anpacker. Bei der Vorstellung seines Gesamtkonzepts im Februar in Berlin warf Aravena einen Kreis von 14 brisanten Themen an die Wand, von „crime“ über „inequality“ , „migration“ und „pollution“ bis zu „segregation“. Seine Botschaft an die Architekten und die Kuratoren: „Kümmert Euch um die gesellschaftlichen Probleme! Seid Teil der Lösung!“
Die Biennale in Venedig ist allerdings immer auch das, was Cannes für die Filmindustrie ist. Ein riesiger roter Teppich voller Eitelkeiten, auf dem sich die Interessen der globalen Kulturpolitik und die nationale Baupolitik gegenseitig Konkurrenz machen. Und es in den nationalen Pavillons um die beste Inszenierung geht, für die man dann einen Goldenen Löwen bekommt. Die Bündelung gemeinsamer nationaler Interessen, die zum Beispiel bei der Frage der Flüchtlingsunterbringung vonnöten wären, hat in Venedig kein Podium, auch wenn in den letzten Jahren einige Generalkommissare dies mit thematischen Workshops von internationalen Architekturschulen zu erreichen suchten. Aravena umgeht das Dilemma, die Architektur in Venedig auf dem Silbertablett zu präsentieren, indem er sein Thema so martialisch wie möglich formuliert: „Reporting from the Front“ rückt die sozialen Krisen der Stadt in die Nähe zur Kriegsberichterstattung und fordert von den Kuratoren als Erstes eine kritische Bestandsaufnahme. Das hat vor ihm bereits Ricky Burdetts bei der Biennale 2006 gemacht mit seinem Thema des unbewältigten Wachstums weltweiter Stadtentwicklung. Burdetts Ausstellung stellte kurz vor der Finanzkrise 2007 die richtigen Fragen. Sie präsentierte sich aber wie ein riesiges, an die Wand gepinntes wissenschaftliches Projekt, das die Probleme von 16 ausgewählten Städte aus akademischer Ferne miteinander vergleicht. Aravenas Biennale, so viel ist sicher, wird chaotischer. Statt Übersicht geht es ihm um einfache, habhafte Anregungen, die die Biennale-Besucher nach Hause nehmen sollen. „My aim: to present complex issues in a simple way without banalizing them.“
Elf Macher im Gespräch
Kann sich die Architektur in Venedig als Handlungsinstrument präsentieren? Das wird die Herausforderung sein. Wir haben in diesem Heft elf Kuratoren um einen „Werkstattblick“ gebeten; wir haben sie ausgewählt, weil sie uns für besonders pointierte Konzepte der „Berichterstattung“ zu stehen scheinen. Dass sich in diesem Jahr inhaltlich etwas verändert, zeigen die Pavillons, die sich explizit mit Flüchtlingsunterkünften beschäftigen – Österreich und Deutschland; zeigen Pavillons wie der der USA, der sich mit der Resilienz der kollabierten Stadt Detroit auseinandersetzt; zeigt der französische Pavillon, der auf die Möglichkeiten der banalen Stadtstruktur aufmerksam macht, und zeigt der zyprische Pavillon, der sich mit den städtischen Folgen der nationalen Grenzstreitigkeiten beschäftigt. Nicht alle Kuratoren sehen sich genötigt, auf den Zug einer Sozialreportage aufzuspringen. Für Ausstellungsmacher wie Christian Kerez für die Schweiz oder Filip Dujardin, De Vylder, Vinck Tailleu und Doorzon für Belgien verlaufen die Frontlinien heute eher im dramatischen Bedeutungsverlust der Architektur durch die globale Ökonomisierung, dem sie durch ein demonstratives Aufzeigen der autonomen Qualitäten der Architektur begegnen.
Kann sich die Architektur in Venedig als Handlungsinstrument präsentieren? Das wird die Herausforderung sein. Wir haben in diesem Heft elf Kuratoren um einen „Werkstattblick“ gebeten; wir haben sie ausgewählt, weil sie uns für besonders pointierte Konzepte der „Berichterstattung“ zu stehen scheinen. Dass sich in diesem Jahr inhaltlich etwas verändert, zeigen die Pavillons, die sich explizit mit Flüchtlingsunterkünften beschäftigen – Österreich und Deutschland; zeigen Pavillons wie der der USA, der sich mit der Resilienz der kollabierten Stadt Detroit auseinandersetzt; zeigt der französische Pavillon, der auf die Möglichkeiten der banalen Stadtstruktur aufmerksam macht, und zeigt der zyprische Pavillon, der sich mit den städtischen Folgen der nationalen Grenzstreitigkeiten beschäftigt. Nicht alle Kuratoren sehen sich genötigt, auf den Zug einer Sozialreportage aufzuspringen. Für Ausstellungsmacher wie Christian Kerez für die Schweiz oder Filip Dujardin, De Vylder, Vinck Tailleu und Doorzon für Belgien verlaufen die Frontlinien heute eher im dramatischen Bedeutungsverlust der Architektur durch die globale Ökonomisierung, dem sie durch ein demonstratives Aufzeigen der autonomen Qualitäten der Architektur begegnen.
Das Leitmotiv, das Alejandro Aravena für die Biennale 2016 ausgewählt hat, zeigt Maria Reiche, die legendäre Mathematikerin und Forscherin der peruanischen Nazca-Linien, die durch Bruce Chatwin bekannt geworden ist. Die Forscherin steht in der Wüste auf einer Leiter und blickt nach vorn, vielleicht in die Zukunft. Genauso wie Maria Reiche auf der Leiter will die Biennale in diesem Jahr dranbleiben an den praktischen Problemen der Architektur.
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