Bauwelt

„Keine pseudo-exakte Nachbildung, sondern eine Vergegenwärtigung der früheren Bauten“

Interview mit Philipp Oswalt

Text: Ballhausen, Nils, Berlin

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Das Direktorenhaus (1926)
Foto:Lucia Moholy, Bauhaus-Archiv Berlin © VG Bild-Kunst Bonn 2014; Stiftung Bauhaus Dessau

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Das Direktorenhaus (1926)

Foto:Lucia Moholy, Bauhaus-Archiv Berlin © VG Bild-Kunst Bonn 2014; Stiftung Bauhaus Dessau


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Haus Emmer (benannt nach dem Bauherrn) wurde in den 50er Jahren auf dem erhal­tenen Souterraingeschoss errichtet und 2011 abgetragen
Foto: Lucia Moholy, Bauhaus-Archiv Berlin © VG Bild-Kunst Bonn 2014; Stiftung Bauhaus Dessau

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Haus Emmer (benannt nach dem Bauherrn) wurde in den 50er Jahren auf dem erhal­tenen Souterraingeschoss errichtet und 2011 abgetragen

Foto: Lucia Moholy, Bauhaus-Archiv Berlin © VG Bild-Kunst Bonn 2014; Stiftung Bauhaus Dessau


„Keine pseudo-exakte Nachbildung, sondern eine Vergegenwärtigung der früheren Bauten“

Interview mit Philipp Oswalt

Text: Ballhausen, Nils, Berlin

Gespräch mit Philipp Oswalt über den schwierigen Weg bis zur Reparatur des Meisterhaus-Ensembles in Dessau
Herr Oswalt, wie stellte sich die Situation um die Dessauer Meisterhaussiedlung dar, als Sie 2009 den Direktorenposten der Stiftung Bauhaus antraten?
Philipp Oswalt | Als ich berufen wurde, war die Planung des Wiederaufbaus der Häuser Gropius und Moholy-Nagy seit einem Jahr im Gange und befand sich bereits in Leistungsphase 3 und 4. Noch vor meinem Amtsantritt, Ende 2008, zeigte mir die Landeskonservatorin Ulrike Wendland in großer Besorgnis den Entwurfsstand. Ich war erschüttert! Es war ein architektonischer Albtraum.
Was war daran so schlimm?
Der Entwurf war zum Schlachtfeld von Rekonstruktionsbefürwortern und -gegnern geworden. Die einen hatten den Nachbau der historischen Fenster durchgesetzt, die anderen die zweite Geschossdecke aus dem Gropiushaus herausgekämpft, und obendrein verlangte die Bauaufsicht einen zweiten Fluchtweg und Aufzüge in den doch relativ kleinen Häusern. Es war kein Konzept erkennbar, keine Idee, sondern nur so etwas wie ein Protokoll all dieser verschiedenen Einflussnahmen. Ich fühlte mich an die Berliner Schlossdebatte erinnert: Ein völlig überzogenes und fragwürdiges Raum­programm, die weitgehende Nachbildung der historischen Fassaden und ein davon völlig entkoppeltes Innenleben.
Wie konnte es dazu kommen?
Anfang der 2000er Jahre kam der Wunsch auf, die beiden zerstörten Meisterhäuser Moholy-Nagy und Gropius wieder aufzubauen. Als die Überlegungen seitens der Stadt, damals noch Eigentümerin des Meisterhaus-Ensembles, zunehmend auf eine Rekonstruktion zielten, zog sich die Stiftung Bauhaus 2008 aus dem Vorhaben zurück. Sie lehnte die Idee einer Rekonstruktion ab und plädierte für den Status quo bzw. eine völlig neue Lösung. Die Stadt Dessau-Roßlau hingegen hatte das nachvollziehbare Interesse, das Bauhaus touristisch mehr zu vermitteln und zur Profilierung zu nutzen. Sie hatte daher in der Wettbewerbsauslobung 2007 ein umfangreiches Raumprogramm auf den Weg gebracht, das vor allem eine touristische Infrastruktur in den Meisterhäusern vorsah: ein Besucher­zentrum mit Shop, Café, Toiletten und allem Drum und Dran...
...woran der erste Wettbewerb scheiterte.
Nicht direkt. Man hatte zwar einen der beiden Zweitplatzierten, nijo Architekten aus Zürich, mit der Realisierung beauftragt. Allerdings hat man sie nicht gebeten, ihr Projekt zu realisieren – schwarze Kuben, die die ursprüngliche Volumetrie der Häuser umspielen –, sondern an einer äußeren Rekons­truktion weiterzuarbeiten. Die jungen Architekten wurden in dem Prozess mit den widersprüchlichen äußeren Einflüssen zerrieben. Anfang 2009 drängten Frau Wendland und ich die Stadt zu Änderungen. Als ersten Schritt konnte ich den Oberbürgermeister und den Beigeordneten für Bauwesen davon überzeugen, das Nutzungsprogramm radikal zu reduzieren.
Also wieder alles auf Anfang?
Zunächst war die Stadt nur zur Änderung des Raumprogramms bereit, wollte die Architektur aber beibehalten, weil die Planung schon so weit fortgeschritten war. Es war ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung, weil erst ein reduziertes Raumprogramm eine sinnvolle architektonische Lösung ermöglichte. Für die vorgesehene Nutzung musste ein anderer Weg gefunden werden, denn ein Besucherzentrum fehlte ja tatsächlich für das Welterbe Bauhaus. Ich bat daher die Stadt, für ein separates Bauwerk Gelder zu beantragen und stellte mir damals einen Pavillon auf dem Bauhausplatz vor, also gegenüber dem Bauhausgebäude. Bald wurde mir jedoch klar, dass dringend auch museale Ausstellungsflächen benötigt werden. So entstand die Idee eines Besucher- und Ausstellungszentrums, für welches wir uns auf einen Standort nahe der Meisterhäuser verständigen konnten.
Also jenes Projekt, über das Sie sich mit Kultusminister Dorgerloh entzweit haben?
Nun, nach der Landtagswahl 2011 beerdigte die Landesregierung das Projekt trotz einiger Versprechen von Kabinettsmitgliedern im Wahlkampf und obwohl die Stadt bereits Gelder in Millionenhöhe eingeworben hatte. Die Regierung versuchte sogar, diese Gelder nach Wittenberg für die dortigen Vorhaben zum Reformationsjubiläum umzulenken – vergeblich. Da sich die Errichtung von Ausstellungsflächen nun wesentlich verzögerte, schlug ich vor, beide Bausteine zu entkoppeln und das Besucherzentrum im Bauhaus selbst einzurichten.
Also all jene Funktionen, die ursprünglich im noch zu rekon­struierenden Direktorenhaus vorgesehen waren?
Richtig. Im Werkstattflügel des Bauhauses gibt es jetzt einen Empfang mit einem Shop, einer Ersteinführung in die Bauhausstadt und ins Bauhausgebäude. Hier erfahren die Besucher erstmals wieder die große Transparenz und Offenheit des Werkstattflügels, ein einzigartiger Raumeindruck, den man jahrzehntelang nicht hatte, weil diese Räume für die Stiftungsarbeit genutzt oder durch wechselnde Ausstellungen verbaut waren. Hinzu kommt eine Reihe weiterer Einblicke ins Haus, bei denen es darum geht, das Bauhaus anders zu erzählen. Es ist wichtig, den Zustand des Gebäudes nicht den Zufällen der Geschichte zu überlassen, sondern – und das gilt auch für die neuen Meisterhäuser – Dinge anschaulich zu machen.
Ohne sie originalgetreu wiederherzustellen?
Im Bauhausgebäude haben wir je nach Raum und Thema eine große Bandbreite von Erzählformen umgesetzt. Es gibt hier kein „Richtig“ oder „Falsch“, sondern eine Vielzahl von Möglichkeiten. Und gerade die Präsenz mehrerer Formen re­lativiert und hinterfragt jede einzelne. Wir haben einerseits im Prellerhaus, dem Atelierbau, zwei Zimmer möglichst exakt rekonstruiert und ebenso die Rekonstruktion des Direktorenzimmers vervollständigt. Zugleich gibt es z.B. im Gymnastikraum des Prellerhauses eine interaktive, künstlerische Medieninstallation, welche die Beschäftigung mit dem menschlichen Körper am Bauhaus aufgreift. Das Prellerhaus war ein Kollektivwohnhaus, eine wichtige Typologie der zwanziger Jahre, mit minimierten Wohnzellen und gemeinschaftlichen Servicebereichen wie Duschen, Gymnastikraum und Dachterrasse. Das ist erst jetzt wieder erfahrbar, nachdem wir mehrere Räume zugänglich gemacht und zum Sprechen gebracht haben.
Zurück zu den neuen Meisterhäusern: Wie ging es weiter, nachdem der erste Wettbewerb geplatzt war?
Schließlich war es doch möglich, den bestehenden Entwurf in Frage zu stellen, aber die Architekten warfen nach den erneuten Änderungen das Handtuch. Dies erlaubte es, das Ganze neu anzugehen. Der Beigeordnete der Stadt für Bau­wesen, Herr Hantusch, Frau Wendland und ich bildeten eine Steuerungsgruppe. Wir verständigten uns auf eine Ausschreibung, eine sogenannte Mehrfachbeauftragung, de facto war es ein kleiner Wettbewerb. Wir luden sechs Büros ein, denen wir zutrauten, diese sehr spezifische Aufgabe wahrzunehmen. Das Raumprogramm wurde komplett entschlackt: Das Haus Gropius sollte das Entree zum Meisterhaus-Ensemble bilden, sonst aber keine weiteren Servicefunktionen erfüllen und nur als Ausstellungsraum dienen, um die Geschichte der Häuser zu erzählen. Das Haus Moholy-Nagy war als Erweiterung der Kurt-Weill-Gesellschaft gedacht, die bereits ihren Sitz nebenan im Haus Feininger hatte, das 1994 saniert
worden war. 
Haben sich die Vorgaben im zweiten Wettbewerb verändert?
Was die Rekonstruktion betraf, habe ich – nach Gesprächen innerhalb der Stiftung – dafür plädiert, nicht nur das äußere Abbild, sondern auch die innere Konzeption der Ursprungsarchitektur ernst zu nehmen. Zumal die Meisterhäuser ja auch Schauarchitektur waren, um die Leistungen des Bauhauses zu zeigen. Dies betraf sowohl die äußere Erscheinung als auch die Innenausstattung, die u.a. von Marcel Breuer entworfen wurde und bei deren Umsetzung unterschiedliche Bauhaus-Werkstätten einbezogen waren. Das Innere war also genauso wichtig wie das Äußere. Es sollte ja ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein, Architektur als Gesamtheit zu denken und nicht nur von ihrer Fassade her. Einig waren wir uns auch, dass der Neubau eine relativ enge Bindung an das Original haben sollte. Von den Architekten war eine Haltung verlangt, ein konzeptioneller Ansatz, nicht ein durchdekliniertes Raumprogramm, sondern eine Position zu der Problemstellung eines Wiederaufbaus. Das „Konzept der Unschärfe“ der Architekten Bruno Fioretti Marquez hat uns alle überzeugt. Es ist gleichermaßen eine Rekonstruktion wie auch ein Neubau. Der Entwurf radikalisiert die ohnehin schon „abstrakte“ Architektursprache Gropius’ durch eine weitere Abstraktion, die indes erst durch die heutige Bautechnik ermöglicht wird.
Erschloss sich das anspruchsvolle Konzept jedem?
Das Projekt fand nach dem jahrelangen Streit eine erstaunlich breite Akzeptanz. Das Renommee von David Chipperfield als Jurymitglied half, das Verfahren gegen Kritik zu schützen. Außerdem waren die Akteure der Stadt und des Landes durch das jahrelange Hickhack etwas mürbe geworden; jedem war klar geworden, dass man hier mit einer simplen Konzeption nie zu einem guten Ergebnis kommt. Die Bauten sind zunächst einmal Exponate ihrer selbst, die Nutzung muss der Architektur folgen. Im Gropiushaus ist nicht jede Ausstellung möglich, da es nicht vollklimatisiert ist. Aber in Respekt vor der architektonischen Lösung schien es sinnvoll, die Nutzungseinschränkung hinzunehmen.
Fehlten nicht auch präzise Grundlagen für eine „originalgetreue“ Rekonstruktion der verlorenen Meisterhäuser?
Es gibt schon eine Vielzahl an Fotos, Filmen und Plänen zu den historischen Bauten, aber eine pseudo-exakte Nachbildung war von uns gar nicht angestrebt, sondern eine Vergegenwärtigung der vorangegangenen Bauten bei gleichzei­tiger Differenz zu diesen.
Was bedeutet „Rekonstruktion“ für Sie?
In der Architekturgeschichte finden wir über die Jahrtausende hinweg Rekonstruktionsvorhaben. Früher war es selbstverständlich, dass es nicht der exakte Nachbau des Originals war, allein schon wegen der Überlieferungsproblematik, aber auch vom kulturellen Selbstverständnis her. Irritierend ist die Rekonstruktionsmode der letzten zwanzig Jahre: Aus fo­tografischen Abbildungen wird Architektur reproduziert, in einem quasi-technischen Vorgang, bei dem ein Entwerfen nicht gefragt ist, sondern Fotogrammetriker, Techniker und Archäologen meinen, das historische Abbild exakt nachbilden zu können. Meist geht es nur um Fassaden, ob Berliner oder Braunschweiger Schloss oder Frankfurter Römerberg: Es sind Neubauten, eingehüllt von historischen Fotos, die in Stein geplottet wurden. Insofern ist die Frage der Rekonstruktion von Architektur wieder neu zu definieren und an frühere Traditionen anzuknüpfen – im Sinne einer kulturellen Aneignung. Das wirkt heute fast wie eine exotische Position.
Fakten
Architekten Oswalt, Philipp, Berlin
aus Bauwelt 22.2014

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