Rapunzel & Co
Türme im Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Rapunzel & Co
Türme im Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Der Mensch möchte bauen, selbst kleine Menschen möchten schon Türme bauen, größer als sie selbst, um mit ihnen zu wachsen, sich über andere zu erheben. Die wiederum sollen dann im Schatten stehen, der umso länger, je höher der Turm. So wird der Turm zum Symbol für Macht und (der reinen Form geschuldet: männlicher) Potenz.
Rapunzel und die Heilige Barbara litten im Turm, und weil nur Märchen immer gut ausgehen, wurde die eine zur glücklichen Braut, die andere zur Märtyrerin. Kirchtürme suggerieren einen Zugang zum Himmel, doch wer zu hoch baut und Gott damit zu nahe kommt: siehe Babel.
Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck, von Richard Meier als postmoderner Burgfried in den Hang gebaut, lässt Künstler in der Ausstellung „Rapunzel & Co.“ von Türmen und Menschen in der Kunst erzählen. Gezeigt werden zwar architektonische Skulpturen, die sich bis in den Grenzbereich des klassischen Modellbaus vorwagen, aber keine Architektur.
Der Turmmensch Trier von Hans Arp, die Heilige Barbara, eine Lindenholz-Skulptur aus dem 15. Jahrhundert, und das Ölgemälde Turmbau zu Babel von Jan Brueghel d.J. eröffnen die Ausstellung. Türme stehen für Macht, Wahn, Vision, so fasst es der Untertitel zusammen, und immer wieder werden die vierzig Beiträge zeitgenössischer internationaler Künstler um diese Begriffe kreisen. Als Besucher fühlt man sich mittendrin, mal klein, mal groß, umgeben von Hochgerecktem, Gestapeltem und Gestrecktem, Menschlichem, Abstraktem und Konkretem. Die Maßstabslosigkeit, in der die Künstler arbeiten, macht alles möglich, für sie ist Stabilität nicht Notwendigkeit, sondern Spiel, Zerstörung genauso Programm wie Aufbau.
Tony Craggs „Minster“, spitz zulaufende, bis zu vier Meter hohe Türme aus gestapelten Scheiben unterschiedlichster Herkunft, sind so schön, so simpel und einzigartig, dass das Architektenherz höher schlägt. Annette Streyl hat den Berliner Fernsehturm gestrickt; gleich zweimal ist er in der Ausstellung zu sehen, einmal mit Drahtgerüst von der Decke abgehängt, einmal nur als schlaffe Hülle um eine Stange gewickelt. „Weibliches“ Handwerk konterkariert die Idee männlicher Standhaftigkeit und Größe. Davon unbeeindruckt hält sich Paul McCarthys „Stainless Steel Butt Plug“, dem seine schiere Größe und alles spiegelnde Oberfläche jegliche Privatheit absprechen.
Mit seiner Arbeit „Mies van der Rohe Melting“ trifft Erwin Wurm die Architekten an ihrer Achillesferse. Er hat ein Modell des Seagram Building angeschmolzen und gibt die entstellte Ikone mit ihrem nun plumpen Fuß der Lächerlichkeit preis. Ein seltsam hässliches Gummiding ist es, das unwillkürliche Schaulust weckt und heimliche Freude an der inszenierten Zerstörung. Es ist das Privileg der Künstler, dass ihr Schaffen eben auch destruktiv sein kann, um im Kaputten Neues entstehen zu lassen. So baute Rául Ortega Ayala seinen „Babel Fat Tower“ nur, um ihn im Scheinwerferlicht der Ausstellung über Wochen schmelzen lassen. Das elfenbeinfarbene Gebilde, das Brueghels gemalter Architektur unverkennbar nachempfunden wurde, wird also viele Gestalten annehmen, während es sich auflöst. Der Künstler, gottgleich, hat den Prozess der Zerstörung angeordnet und überlässt die Konsequenzen nun anderen.
Fast unumgänglich scheint die Thematisierung der Terroranschläge vom 11. September 2001. In Malachi Farrells Installation „Nothing stops a New Yorker“ erheben sich seltsam anmutende Mischwesen aus Mensch und Wolkenkratzer aus einem Berg von Kartons und Pappe. Simple Konstruktionen mit sinnlos rotierenden Armen, die einer zunehmend bedrohlichen Geräuschkulisse, von Fitnessstudio-Kommandos bis zu den O-Tönen der Terroranschläge auf das Word-Trade-Center, ausgesetzt sind. Berührt und irritiert verlässt man das Kabinett und findet sich in „Turmatem“ wieder, einem Wald aus leise schwingenden Gebilden von Bettina Bürkle und Klaus Illi. Türme, Bäume, Phalli – sobald das Gebläse aussetzt, fallen die ballonseidenen Objekte lautlos in sich zusammen.
Die unendliche Freiheit, die der künstlerischen Beschäftigung mit dem Turmbau innewohnt, führt, so zeigt es die Ausstellung, dazu, alles in Frage zu stellen und gegebenenfalls zu zerstören. Wenn Architekten bauen, dürfen sie keine Frage stellen, sie müssen immer eine Antwort geben.
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