Bauwelt

Am Gleisdreieck


Wohnanlage


Text: Ballhausen, Nils, Berlin


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    Foto: Stefan Müller

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Drei Berliner Architekturbüros – roedig.schop, dmsw, sieglundalbert – haben sich zusammen getan und gemeinsam ein Grundstück entwickelt und bebaut, an das sich bis dahin niemand herantraute
Eine solche städtebauliche Situation ist unverwechselbar und macht für viele Menschen das Besondere einer Großstadt aus: Ein Hochbahnviadukt kommt über das weite Gleisfeld geflogen, um zuerst ein Mietshaus zu durchschießen und sich danach als eingehauste Rampe quer durch den Wohnblock in den Untergrund einzuwühlen. Ein irrwitziges Bild, das man immer wieder gerne betrachtet. Das von der U-Bahn-Linie 1 perforierte Wohnhaus ist ein häufig abgelichtetes Wahrzeichen der Dennewitzstraße in Berlin-Tiergarten. Bis zum Mauerfall war dies eine innerstädtische Randlage von Berlin (West), bis vor wenigen Jahren noch eine verträumt-schäbige Gegend vor der unbetretbaren Bahnbrache des Gleisdreiecks.
Problemgrundstück
Noch 2009, als der Berliner Liegenschaftsfonds das 2275 Quadratmeter große landeseigene Grundstück an der Pohl-, Ecke Dennewitzstraße zum Verkauf ausschrieb, war unklar, welche Entwicklung diese Gegend nehmen würde. Fest stand, dass das Gleisdreieck – als Ausgleichsmaßnahme der Neubebauung am Potsdamer Platz – zu einer öffentlichen Parkanlage umgestaltet werden würde (eröffnet 2012/13, nach jahrelangem Ringen zwischen der Bahntochter Vivico Real Estate, heute CA Immo, dem Land Berlin und verschiedenen Bürgerinitiativen). Die Unwägbarkeiten bezogen sich aber auch auf das Grundstück. Jede Bebauung würde sich zwangsläufig mit dem rumpelnden Bahnviadukt an der Südseite auseinandersetzen müssen. Wer wollte hier überhaupt wohnen? Drei Architekturbüros taten sich zusammen, um das „Problemgrundstück“ zu entwickeln: roedig.schop, dmsw und siegl­undalbert. Da alle Erfahrungen mit dem selbst initiierten Planen für Baugruppen hatten, lag es nahe, für diese Klientel zu entwerfen. Auf die ruppige Kulisse reagierte man, indem man drei Einzelhäuser zu einem kräftigen Solitär zusammenfügte.
Mit zunehmendem Erfolg haben die meist von Architekten angestoßenen Baugemeinschaften auch die Aufmerksamkeit von Bauträgern geweckt; einige geben inzwischen Teile ihrer Entwicklungsflächen gezielt an Baugruppen ab, weil sie sich davon eine stabilisierende Beimischung ihrer Projekte versprechen. Der Sinn des „Modells Baugruppe“ (Bauwelt 39–40.2008), das vorwiegend von Mittelschicht-Akademikern gewählt wird, ergab sich neben dem Gemeinschaftsgedanken vor allem aus dem Preisvorteil, der durch den Wegfall der Gewinnmarge der „Zwischenhändler“ entsteht. Auch die Baugemeinschaft „Dennewitz Eins“ hatte das Ziel, kostengünstigen Wohnraum für 2000 Euro pro Quadratmeter zu erstellen. Dieses Ziel wurde erreicht, trotz aufwendigerer Gründung wegen der Erschütterung durch den nahen U-Bahnverkehr. Von den Architekten erhielten die 39 Parteien einen „veredelten Rohbau“. Man sieht im Inneren viel Beton, ob gestrichen oder roh belassen. Die Flexibilität für die Bewohner bestand in einer individuellen Raumaufteilung, aber auch Größe und Lage der Fenster konnte innerhalb festgelegter Höhenlinien frei gewählt werden. Damit die drei Häuser dennoch wie ein Solitär wirken, entwickelten die Architekten ein Fassadenkleid, das die Unterschiede im Kleinen wieder in den großen Zusammenhang einbindet. Dieser „Überwurf“ aus 800 gold-beige lackierten Gitterrost-Elementen gehört leider nicht zu den Stärken des Gebäudes. Was von Ferne und vor allem in der Schrägansicht noch flirrend wie ein Gewebe wirkt, mutet frontal betrachtet doch etwas zu plump an. Zu weite Maschen durch zu enge Kosten? Oder war es ein Kompromiss dreier Architekturbüros, dividiert durch 39 Bauherren? Vielleicht hilft es, dies ebenfalls im Sinne der Kostenminimierung zu betrachten. Hinter dem Gitter hängt ein preisgünstiges WDVS, jedoch ohne Oberputz, sondern nur mit einem Anstrich versehen. Funktionieren die Roste nicht nur als Dekor und Absturzsicherung, sondern auch als Witterungsschutz der Dämmung, so könnte das Unterhaltungskosten für die Fassade einsparen.
Keller auf dem Dach
Bemerkenswert erscheint die kollegiale Zusammenarbeit der drei Büros, in denen man sich vom Image des „Einzelkämpfer-und-Alleskönner-Architekten“ längst verabschiedet hat. Nicht jede oder jeder kann alles gut. Spezielles Know-how miteinander zu teilen, ergab in diesem Fall nicht nur für die Kundschaft Sinn, sondern verführte auch die Planer zu permanenter inhaltlicher Reflexion und gegenseitiger Rückversicherung. Der arbeitsteilige Ansatz war ein Gewinn, das versichern alle Be­teiligten. Das Auftreten als Arbeitsgemeinschaft ermöglichte auch Rigorosität – im positiven Sinne. Sinnvolle, für Laien zunächst vielleicht ungewöhnliche Entscheidungen lassen sich im Verbund überzeugender vorbringen. Keinen Keller zu bauen etwa, dafür aber über das gesamte Gebäude eine gemeinschaftliche Dachterrasse zu ziehen, wo die Abstellräume (und eine Outdoor-Küche) überdies viel besser aufgehoben sind. Welcher gewerbliche Bauträger hat schon solch eine Option im Portfolio?
Viele neue Ideen, ob konstruktive oder grundrisstypologische, entstanden in jüngster Zeit daraus, dass sich Architekten (wieder) mit dem gemeinschaftlichen Bauen beschäftigt haben. Darauf kann der ganze Berufsstand stolz sein. Doch für partizipative Individualplanungen bleibt heute immer weniger Zeit und Raum. In Berlin ist die Nachfrage nach innerstädtischen Wohnimmobilien gestiegenen, angeheizt durch einen billigen Geldmarkt. Nach Jahren der Stagnation kommt nun wieder die klassische Immobilienwirtschaft zum Zuge. Was derzeit beispielsweise auf der gegenüberliegenden Straßenseite unter dem Label „Flottwell Living“ hochgezogen wird,
bedient jegliche Konventionen, jedoch mindestens zum doppelten Quadratmeterpreis eines Projekts wie „Dennewitz Eins“. Wer dieser Tage aus dem Gleisdreieck-Park auf die Neubebauung am Rand blickt, kann darüber ins Grübeln kommen. Die Erfahrungen, die Architekten mit dem gemeinschaftlichen Bauen gemacht haben, bleiben wertvoll. In Zukunft wird es darum gehen, sie geschickt zu bündeln.



Fakten
Architekten roedig.schop, Berlin; dmsw, Berlin; sieglundalbert, Berlin
Adresse Pohlstraße 1-5 10785 Berlin


aus Bauwelt 14.2014
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