ExRotaprint in Berlin
Die deutsche Hauptstadt boomt, die Immobilienpreise überschlagen sich. Schlechte Zeiten für alle Mieter? Nicht im Gewerbehof ExRotaprint. Denn die Betreiber haben das Gelände dauerhaft der Spekulation entzogen. Sie verzichten auf private Gewinne – und sanieren mit den Mieteinnahmen lieber das denkmalgeschützte Ensemble
Text: Crone, Benedikt, Berlin
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Die spektakuläre Architektur, die Klaus Kirsten 1956–59 auf dem Rotaprint-Gelände realisierte, war von Anfang an Motivation und Antrieb für das Pro-jekt ExRotaprint.
Foto: Martin Eberle, 2013
Die spektakuläre Architektur, die Klaus Kirsten 1956–59 auf dem Rotaprint-Gelände realisierte, war von Anfang an Motivation und Antrieb für das Pro-jekt ExRotaprint.
Foto: Martin Eberle, 2013
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Klare Ansagen beim Ortsbesuch eines Investors
Foto: Michael Kuchinke-Hofer, 2007
Klare Ansagen beim Ortsbesuch eines Investors
Foto: Michael Kuchinke-Hofer, 2007
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Das Ensemble aus gründerzeitlichen Gewerbebauten ...
Foto: Martin Eberle, 2013
Das Ensemble aus gründerzeitlichen Gewerbebauten ...
Foto: Martin Eberle, 2013
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... und Erweiterungen aus den fünfziger Jahren steht seit 1991 unter strengem Denkmalschutz.
Foto: Daniela Brahm, 2011
... und Erweiterungen aus den fünfziger Jahren steht seit 1991 unter strengem Denkmalschutz.
Foto: Daniela Brahm, 2011
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Der Gewerbehof wird heute zu gleichen Teilen an Kunst, Gewerbe und soziale Projekte vermietet.
Abb.: ExRotaprint gGmbH
Der Gewerbehof wird heute zu gleichen Teilen an Kunst, Gewerbe und soziale Projekte vermietet.
Abb.: ExRotaprint gGmbH
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Der auffällige „Glaskasten“ kann für Veranstaltungen gemietet werden.
Foto: Daniela Brahm
Der auffällige „Glaskasten“ kann für Veranstaltungen gemietet werden.
Foto: Daniela Brahm
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Sein Inneres zeugt vom Erfolg der liebevollen Sanierungsarbeit.
Foto: Daniela Brahm
Sein Inneres zeugt vom Erfolg der liebevollen Sanierungsarbeit.
Foto: Daniela Brahm
Gottsched-/Ecke Bornemannstraße, mitten im Berliner Bezirk Wedding: Ein nackter Betonturm ragt hinter einer angerosteten Einzäunung empor. Ortsfremde blicken sofort fragend auf, um die Funktion des Gebäudes zu enträtseln. Für die Anwohner dagegen scheint der Turm so alltäg-lich wie das Gründerzeithaus oder der rosa Sozialwohnungsbau gegenüber – und keines Blickes wert. Dabei wacht er über ein Gelände, das dem Berliner Immobiliensturm trotzt und als ruhiger Pol langfristig der Spekulation entzogen ist: über den 10.000 Quadratmeter umfassenden Gewerbehof ExRotaprint.
Der Name des Projekts verrät bereits einen Teil der bewegten Geschichte des architektonisch beeindruckenden Ensembles, das heute unter gemeinnütziger Bewirtschaftung für eine vielfältige Mischung aus Künstlern, sozialen Trägern und Gewerbebetrieben eine neue Heimat geworden ist. Hier, im ehemaligen Arbeiterbezirk, produzierte bis 1989 der Druckmaschinenhersteller Rotaprint. Nach seinem Konkurs fällt das Produktionsgelände im Wedding wegen einer Bürgschaft des Senats an den Bezirk. Kurz danach wird das Ensemble aus gründerzeitlichen Gewerbegebäuden und den spektakulären Erweiterungsbauten aus den fünfziger Jahren unter strengen Denkmalschutz gestellt. Es gilt als herausragendes Beispiel der Berliner Nachkriegsmoderne.
Der Umgang mit dem sanierungsbedürftigen Bestand gestaltet sich für den Bezirk als äußerst schwierig, Zwischennutzer ziehen ein. Doch nachdem 2002 der Liegenschaftsfonds Berlin das Gelände übernimmt, forciert dieser den Verkauf des Areals an den Höchstbietenden. Für ein eingetragenes Baudenkmal mit entsprechenden Beschränkungen für Abriss und Neubau, einer stark sanierungsbedürftigen Bausubstanz und einer Lage in einem einkommensschwachen Stadtteil ohne hippe Bars und Galerien findet sich zu der Zeit allerdings kein Kaufinteressent.
Verein versus Investor
Dafür kommt ein Angebot von anderer Seite: Die bildenden Künstler Daniela Brahm und Les Schliesser, die seit einigen Jahren in den Rotaprint-Gebäuden arbeiten, entwickeln 2004 ein Konzept, das die Übernahme des Geländes durch die Mieter vorsieht. Ihr hoch gestecktes Ziel: die Spekulationsspirale des Immobilienmarktes zu unterbrechen und das Areal über eine besondere Form von Gemeinschaftseigentum und Selbstorganisation zu erhalten. Dafür setzen sie auf die Entwicklung des Standorts mit einer Nutzungsmischung aus je einem Flächendrittel für Gewerbe, Kunst und Soziales. So wollen sie einen direkten Bezug zum Umfeld herstellen: Die Betriebe, die sich hier ansiedeln, sollen Ausbildungsplätze anbieten und die sozialen Einrichtungen und Vereine mit ihren Angeboten der direkten Nachbarschaft dienen.
Der Erfolg dieser Idee ist zunächst vollkommen unwahrscheinlich. Um als ernstzunehmende Institution auftreten zu können, gründen die Initiatoren einen Verein der Mieter, den ExRotaprint e.V. Es folgen zähe Verhandlungen mit Bezirk, Senat und Liegenschaftsfonds. 2006 dann ein Rückschlag: Ein isländischer Investor will das Gelände in einem Paket mit 45 weiteren Berliner Immobilien erwerben, die Verhandlungen mit ExRotaprint e.V. werden auf Eis gelegt.
Doch ExRotaprint lässt nicht locker. Der Vorstand startet eine offensive Pressearbeit und wendet sich an vertraute Personen in der Politik, um wieder ins Spiel zu kommen und das Gelände aus dem Immobilien-Paket herauszulösen. Als der Investor 2007 zu einer Ortsbesichtigung kommt, empfangen ihn die Mieter mit einem Transparent „Baudenkmal Rotaprint: There is no profit to be made here“. Die mediale Aufmerksamkeit für das Gelände steigt, die Verkaufspläne des Liegenschaftsfonds geraten ins Rampenlicht.
Nicht nur das, Gelände und Immobilien erhalten bald zusätzlich zu der damals als prekär geltenden Lage im Bezirk Wedding das Etikett „schwer vermittelbar“. In Einzelgesprächen ziehen die Akteure immer mehr Politiker und Entscheidungsträger auf ihre Seite. Der Kaufpreis fällt nach der öffentlichkeitswirksamen Gegenwehr und als Teil des angedachten Investoren-Pakets von 2,4 Millionen auf 600.000 Euro. Das ist die Gunst der Stunde, denn dieser Betrag ist auch für die Initiative im Bereich des Möglichen. „So absurd es ist, gerade als Künstler kommt man in einer kunst- und kulturorientierten Stadt schneller an Termine mit der Politik als eine soziale Institution“, sagt Daniela Brahm. „Gewerbe und soziale Einrichtungen haben wir so im trojanischen Pferd der Kunst mit über die Ziellinie gebracht.“
Schließlich, der Erfolg – der Paketverkauf an den Isländer platzt und die Mieterinitiative kann das Gelände innerhalb einer dreimonatigen Frist kaufen. Aus dem Verein heraus wird für die Übernahme die gemeinnützige GmbH ExRotaprint gegründet. Um ihre Ziele abzusichern, holen die Akteure zwei Stiftungen mit ins Boot, die sich für eine alternative Boden- und Immobilienpolitik einsetzen und über Erbbaurechte Grund und Boden dem Immobilienmarkt entziehen: die Stiftungen trias und Edith-Maryon. Sie werden in den zwischen ExRotaprint und Liegenschaftsfonds ausverhandelten Kaufvertrag eingesetzt, um zu verhindern, dass der günstige Kaufpreis in Zukunft Profitgedanken weckt und das Projekt daran scheitert. Noch am Tag des Kaufs wird das Grundstück im selben Notartermin mittels eines Erbbaurechtsvertrages für 99 Jahre an die ExRotaprint gGmbH übertragen.
Gebäude zu ExRotaprint, Boden zu Stiftungen
Zwei Verträge sollen langfristig die Gemeinnützigkeit der Projektentwicklung und das Nutzungskonzept absichern, die Spekulation mit der Immobilie ausschließen und eine Umorientierung des Projekts verhindern: der Erbbaurechtsvertrag mit den zwei Stiftungen und der Gesellschaftsvertrag der ExRotaprint gGmbH.
Im Erbbaurechtsvertrag sind die Ziele der ExRotaprint gGmbH festgehalten, wie die paritätische Vermietung an Arbeit, Kunst und Soziales, die sozial integrative Ausrichtung sowie der gemeinnützige Status. Der Vertrag garantiert der Gesellschaft für 99 Jahre eine eigentumsgleiche Position, sie ist für die Entwicklung und Finanzierung des Projekts verantwortlich. Die Gebäude sind in Besitz der gGmbH; für die Nutzung des Grundstücks zahlt sie jährlich einen Zins von zehn Prozent der Mieteinnahmen (mindestens aber 5,5 Prozent des Kaufpreises), derzeit sind dies rund 38.000 Euro. Über diesen Erbbauzins, der langfristig den Kaufpreis bei Weitem übersteigt, haben die Stiftungen die Möglichkeit, ähnliche Projekte anzuschieben. „Man kann es auch so sehen: Nicht die Stiftungen finanzieren uns, sondern wir finanzieren die Stiftungen“, sagt Schliesser selbstbewusst.
Die zweite Säule des Projekts ist der Gesellschaftervertrag der gemeinnützigen GmbH ExRotaprint. Danach dürfen die Gesellschafter nicht von den Einnahmen des Geländes profitieren und können bei Verkauf ihrer Anteile keinen Mehrwert realisieren. Dadurch soll garantiert werden, dass an dem Ort langfristig stabil und zu selbstgeschaffenen Konditionen gearbeitet werden kann. Die Förderung des Denkmalschutzes, und im Fall von ExRotaprint ganz konkret der Erhalt des Baudenkmals, ist die erste Zielsetzung im Gesellschaftervertrag, die Förderung von Kunst und Kul-tur ist als zweites Ziel festgeschrieben. Die Anerkennung als gemeinnützige Gesellschaft ist ein finanzieller und steuerrechtlich wichtiger Status für ExRotaprint und bindet die Einnahmen an die gemeinnützigen Zielsetzungen.
Damit ist geregelt, dass der Überschuss aus den Mieten (derzeit liegen diese zwischen 3 und 4,80 Euro nettokalt) für die Sanierung und den Erhalt der Gebäude eingesetzt wird. Bisher belaufen sich die investierten Gelder auf rund 2 Millionen Euro. Die Gesamtkosten der bis 2019 geplanten Sanierung, die schrittweise und bei Vollvermietung organisiert ist, werden auf 4,2 Millionen Euro geschätzt. Die rund 380.000 Euro Jahresmieteinnahmen finanzieren die Projektentwicklung, die Verwaltung, Baumaßnahmen, den Erbbauzins und Zins sowie die Tilgung eines Baukredits in Höhe von 2,25 Millionen Euro, den ExRotaprint bei einem Schweizer Pensionsfonds, der CoOpera Sammelstiftung PUK, aufgenommen hat. Dieser hat sich gegenüber seinen Anlegern verpflichtet, die Rentenbeiträge in soziale, ökologische oder kulturelle Projekte zu investieren.
Arbeit und Ausbildung für den Bezirk
Derzeit hat die ExRotaprint gGmbH zehn Gesellschafter, die meisten davon sind Mieter auf dem Gelände und stammen in der Mehrzahl aus dem Drittel jener Mieter, die als Künstler oder Kreative tätig sind. „Es ist verständlich, dass ein Elektrikerbetrieb andere Sorgen hat, als sich regelmäßig zu treffen, um über gemeinsame Ziele zu debattieren“, so Initiator Les Schliesser. „Ein Gebäudereiniger ist kein Künstler, ein Gewerbehof kein Wohnprojekt.“ Elfter Gesellschafter ist der Verein der Mieter. Jeder Mieter kann in den Verein eintreten und sich somit auch in die Entscheidungsprozesse der gemeinnützigen GmbH einbringen. Einmal monatlich findet ein Treffen der Gesellschafter statt. Die tägliche Arbeit an Projektentwicklung, Bauplanung und Management leistet ein Planungsteam aus zwei Gesellschaftern (Daniela Brahm und Les Schliesser) und zwei Architekten (Bernhard Hummel und Oliver Clemens).
Viele der derzeitig 96 Mietparteien haben einen direkten Bezug zur Nachbarschaft. Zu ihnen zählen eine Deutschschule für Migranten, Beratungseinrichtungen für Arbeitslose, eine Schule für Schulschwänzer und ein Projekt zur Berufsorientierung für Jugendliche. Musiker, Designer, Schriftsteller und Künstler mieten hier Büros, Studios und Ateliers. Einige der Räume werden bevorzugt an jüngere Kulturschaffende vergeben.
Im Erdgeschoss der Gebäude befinden sich zumeist Gewerbeeinheiten: Metallbau, Neopren und Holz verarbeitende Werkstätten, Rahmen- und Ausstellungsbau, Siebdruck, Gebäudereinigung und auch eine Baufirma. In einem Bezirk, in dem sich in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Arbeitsplätze in der Produktion deutlich reduziert hat, tragen deren Arbeits- und Ausbildungsplätze zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilität des Umfelds bei. Die ExRotaprint Kantine steht nicht nur den Mietern des Hofes offen, sondern bildet auch für die Bewohner des Viertels einen Treffpunkt.
Keine Pflicht zur Gemeinschaft
Gerade in der Entwicklungsphase des Eigentummodells von ExRotaprint waren die Vorstellungen der Künstler, sozialen Träger und Gewerbebetrieben nicht einfach auf einen Nenner zu bringen. „Der eigene Profit des Unternehmens, die erhoffte Rendite oder die persönliche Altersabsicherung rutschen bei solchen Diskussionen um Immobilien schnell in den Vordergrund“, sagt Brahm. „Die Kleinparzellierung des Geländes in Einzeleigentum hätte den Zusammenhalt des gesamten Projekts unmöglich gemacht.“
Doch das Konzept ging auf. Die Betriebe im Hof können weiter ihrer Arbeit nachgehen, die Sanierung der Bauten ist zu mehr als der Hälfte abgeschlossen, der Erbbauzins fließt an die Stiftungen, diese wiederum fördern neue Projekte. Auch für den Erhalt des Eckturms am Eingang, der mit seiner Beton-Patina die Künstler einst aufs Gelände lockte, ist gesorgt. Und ExRotaprint möchte wortwörtlich in Zukunft noch einen drauflegen: Die Gesellschaft beabsichtigt eine Aufstockung des markanten Gebäudes von fünf auf sieben Geschosse. So hatte es der Architekt Klaus Kirsten in den Originalplänen von 1958 vorgesehen. Nun, gut 60 Jahre später, könn-te sein Turmbau vollendet werden.
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