Bauwelt

Vier S-Bahn-Stationen


Luxus unter Tage


Text: Lemke, Johannes, Kassel


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    S-Bahn-Station am Wilhelm-Leuschner-Platz von Max Dudler
    Foto: Stefan Müller

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    S-Bahn-Station am Wilhelm-Leuschner-Platz von Max Dudler

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    S-Bahn-Station "Markt" von KSW
    Foto: Marcus Bredt

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    S-Bahn-Station "Markt" von KSW

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    S-Bahn-Station am Bayerischen Bf. von Peter Kulka

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    S-Bahn-Station am Bayerischen Bf. von Peter Kulka

Vier Stationen, vier Architekturbüros: HPP, KSW, Max Dudler und Peter Kulka haben im „Bitterfelder Sande“ unter der Leipziger Altstadt ihre Spuren hinterlassen. Obwohl nur etwa ein Zehntel der Bausumme des „City-Tunnel Leipzig“ in die sichtbare Architektur der vier unterirdischen S-Bahn-Stationen geflossen ist, wurde an der Gestaltung nicht gespart.
960 Millionen Euro für vier Minuten. Bei Großprojekten in Deutschland ist Polemik derzeit ein ständiger Begleiter. Wo viel (Steuer-)Geld im Spiel ist, gibt es selten Einigkeit über die Sinnhaftigkeit der Bauvorhaben. Auch in der Berichterstattung über den City-Tunnel in Leipzig schwang stets der Vergleich zu Stuttgart 21 mit. Allerdings verlief das sächsische Projekt ungleich ruhiger. Seit Dezember 2013 verbinden zwei etwa 1,4 Kilometer lange Röhren den Leipziger Hauptbahnhof, der flächenmäßig größte Kopfbahnhof Europas, mit dem ehemaligen „Bayerischen Bahnhof“, einst ebenfalls ein Kopfbahnhof. Die Strecke verläuft unter der Leipziger Altstadt und verfügt über vier neue unterirdische sowie zwei oberirdische Haltestellen. Die Fahrzeit zwischen zwei innerstädtischen Sta­tionen beträgt weniger als eine Minute, eine Strecke, die bequem zu Fuß zu bewältigen ist. Anfänglich auch für den Fernverkehr geplant, bildet die neue Verbindung nun das Kernstück der neu geordneten „S-Bahn Mitteldeutschland“. Sieben Linien verknüpfen das Leipziger Umland direkt mit der Innenstadt. Die Zeitersparnis liegt nach Berechnungen der Deutschen Bahn je nach Strecke zwischen 8 und 39 Minuten. Als einen Effekt des neuen S-Bahn-Systems erhoffen sich die Verantwortlichen einen spürbaren Rückgang des Individualverkehrs und damit eine Entlastung der Leipziger Innenstadt.
Alte Ideen neu gedacht
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts existierten Pläne, die beiden verbliebenen Leipziger Kopfbahnhöfe mit einem Tunnel zu verbinden und so die weite Umfahrung der Stadt zu umgehen. 1913 wurde erstmals mit dem Bau begonnen, der erste Weltkrieg verhinderte jedoch die Fertigstellung, und ein etwas über 600 Meter langes Tunnelteilstück ist nie seiner Bestimmung zugeführt worden. In den folgenden Jahrzehnten gab es erneute Überlegungen für ober- und unterirdische Verbindungen durch die Stadt. Den letzten Anlauf nahm man 1991, Baubeginn war 2005. Da der Tunnel meist nur in geringer Tiefe verläuft und einige historische Bauwerke unterquert, gestaltete sich der Bau als eine technische Herausforderung. Die angenommenen Kosten verdoppelten sich, der Terminplan musste verschoben werden. Während der Freistaat Sachsen mit 495,6 Millionen Euro den Hauptteil der Kosten trug, beteiligte sich die Stadt Leipzig mit vergleichsweise günstigen 7,2 Millionen Euro.
Dimensionen verbinden
Die Ausschilderung des neuen S-Bahn-Zugangs im Leipziger Hauptbahnhof wirkt noch etwas provisorisch. Im westlichen Abschnitt der riesigen Bahnsteighalle wurden die alten Gleise zurückgebaut, und nun tut sich dort ein gewaltiges Loch im Boden auf. Eine symmetrische Treppenanlage führt hinab auf den Bahnsteig im Untergrund.
Das Bauwerk zeigt sich in der Formensprache unaufgeregt, lediglich die schiere Größe des Einschnitts und der hoch in die Bahnhofshalle aufragende gläserne Aufzugsturm vollführen deutliche Gesten und stellen sich den großen Dimensionen des Umfelds. Ein weiteres Bindeglied zum Bestand bildet die Wandverkleidung aus Altenbürger Kalkstein, der bereits am Bahnhofsgebäude Verwendung fand.
Das Büro HPP plante bereits 1997 die Sanierung und den Umbau des Bahnhofsgebäudes zur Einkaufspassage „Promenaden“. Schon der damalige Wettbewerb sah eine spätere Erweiterung um eine S-Bahn-Station vor. Den Archi­tekten war es wichtig, die neue Haltestelle als selbstverständliches Element in die bestehenden Strukturen zu integrieren. Das ist gelungen. Lediglich die beiden Rahmen, die die Zugänge der Treppenanlagen markieren, erscheinen in ihren Dimensionierungen und im Ma­te­rial etwas fehl am Platz, wecken sie doch eher Assoziationen an Sicherheitsschleusen in Flug­häfen.
Auf dem unterirdischen Bahnsteig fallen die massiv wirkenden Stützen ins Auge. Sie machen deutlich, dass hier eine große (histo­rische) Last getragen wird.
Untergrund-(Messe-)Halle
Das alte Leipziger Rathaus mit dem steilen Dach und seiner niedrigen Traufe wirkt im Vergleich zu dem, was nun vor seiner Hauptfassade im Untergrund vor sich geht, fast schon klobig und gedrungen. Die von Kellner Schleich Wunderling geplante Station „Markt“ besteht aus einer hohen Halle, die vergessen machen möchte, dass man sich unter der Erde befindet. Schlanke 16 Meter hohe Edelstahlstützen, die auch Lautsprecher und Beleuchtungselemente aufneh­-men, tragen eine Betonbalkendecke. Terrakotta-Paneele an den Wänden betonen die Längs­richtung des Raums. Kontrastiert wird die elegante Anmutung von den „Infoscreens“, die in die Wände eingelassen sind. Der Anblick der profanen und offenbar unvermei­dlichen Werbebildschirme wirft die Frage auf, wie viel Eleganz für ein eher der Robustheit und dem Zweck verpflichtetes Verkehrsbauwerk wie eine S-Bahn-Station, überhaupt angemessen ist.
Ein Grund für die Höhe des Raumes ist in dem Umstand zu finden, dass der Bahnhof in offener Bauweise ausgeführt wurde. Die Decke, die zugleich die Oberfläche des Marktplatzes bildet, muss keine Erdlasten aufnehmen. Mit der Halle wird zudem ein Bezug zu einem kuriosen Vorgängerbau im Untergrund hergestellt: Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr genügend Ausstellungsfläche für die damals noch innerstädtische Leipziger Messe vorhanden war, wurde zunächst mit einer temporären Hallenkonstruktion auf dem Marktplatz Abhilfe geschaf­fen. Da die Stadtoberen diese Praxis jedoch nach einiger Zeit untersagten, die Messebetreiber den zentralen Ausstellungsort aber nicht missen wollten, verlegte man die Messehalle in den Untergrund. Der ehemalige Hallenzugang von 1925 – im Stil des Art Déco – lag an der Marktplatz-Südseite. Während der Bauarbeiten wurde er abgebaut und restauriert. Heute dient er an alter Stelle als Eingang zur S-Bahn-Station.
Geht man die ersten Treppen hinab, betritt man einen Empfangsraum, von welchem zwei verglaste Balkone den Blick in die klar gegliederte Bahnsteighalle freigeben. Mittlerweile wurde der Vorraum allerdings mit zwei genormten Informations- und Verkaufshäuschen der Deutschen Bahn verstellt. Im Anschluss daran gelangt man auf ein Galerie-artiges Podest, von dem schließlich die Treppen auf den Bahnsteig hinabführen. Die Architekten beziehen sich hierbei auf den Typus der Passage, der in Leipzig eine lange Tradition hat. Auf der gegenüberliegenden Seite tritt der Aufzug freistehend an die Oberfläche. Obgleich der nördliche Treppenabgang von einem gestalteten Metallgeländer umschlossen wird, nimmt er sich gegenüber der Kulisse des Marktplatzes dezent zurück.
Licht in der Tiefe
Eine Reisegruppe kommt ein wenig ins Schwitzen und ein kleines Mädchen erquengelt bei seiner Mutter eine Pause auf dem Zwischenpodest der Treppe: In der S-Bahn-Station am Wilhlem-Leuschner-Platz von Max Dudler ist die Rolltreppe ausgefallen. Und der Weg bis an die Oberfläche ist lang. Der Bahnsteig befindet sich 20 Meter unter Straßenniveau. Ausgezeichnet mit dem Architekturpreis der Stadt Leipzig 2013, zeigt die Haltestelle wohl die expressivste Architektur der vier Geschwister.
Wenn der S-Bahnzug aus der Tunnelröhre kommt, empfängt eine strahlende, weiße Helligkeit den Fahrgast. Wände und Decke bestehen zur Gänze aus hinterleuchteten Feldern aus Glasbausteinen, gefasst in einem Raster aus Sichtbeton. Der 15 Meter hohe Raum – stüt­zenfrei und leicht gekurvt – wirkt klar und aufgeräumt. Das Bahnsteigmobiliar haben die Architekten in eingestellten Betonkuben verschwinden lassen. Auf diesem Bahnhof herrscht unbedingter Gestaltungswille. Das Material und die Details vermitteln eine bisweilen technische Atmosphäre.
Begibt man sich über die (Roll-)Treppen im Süden vom Kunst- ins Tageslicht, so findet man sich in einer heiß umstrittenen Brache wieder. Der Wilhelm-Leuschner-Platz soll zum „Platz der friedlichen Revolution“ werden und daran erinnern, dass 1989 in Leipzig das Epizentrum des Aufbegehrens der DDR-Bevölkerung gegen das SED-Regime lag. Davon zeugt bisher nur die  doppelte Beschilderung mit dem al­ten und dem zukünftigen Platznamen auf dem Bahnsteig und ein verworrener, 2013 kurios entschiedener Wettbewerb zum hier geplanten „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ (Bauwelt 28. 2013). Von dessen Ergebnis konnte Max Dudler noch nichts ahnen, als er 1997 den Wettbewerb für die Station gewann. Ob die oberirdischen Bauten der Station im Umfeld eines Mahnmals bestehen können?
Der zweite Zugang befindet sich direkt am Anfang der Petersstraße, welche als Fußgängerzone zum Marktplatz führt. Beide Eingangsbauten beziehen sich in Ihrer Gestaltung auf das Geschehen unter der Erde, fallen aber in ihrer Wirkung etwas ab. Bei Dunkelheit kehren sie das Lichtkonzept der Bahnsteighalle um und werden zu Leuchtkörpern in der Stadt. Bei Tageslicht hingegen wirken sie in ihrer Betonskelettkonstruktion etwas einfach und wecken, im Vergleich zur gestalterischen Opulenz der unterirdischen Station, Assoziationen an die im Stadtbild verteilte Ostmoderne. Glaubt man den Architekten, dann handelt es sich hierbei um einen gewollten Kontrast. Der Löwenanteil der Baukosten von 17,5 Millionen Euro ist eindeutig in den Untergrund geflossen.
Bunt und Beton
Um dieses neue Verkehrsbauwerk zu errichten, musste ein altes auf die Reise gehen. Der unter Denkmalschutz stehende Portikus des Bayerischen Bahnhofs wurde während der Bauarbeiten für die gleichnamige S-Bahn-Station um etwa 30 Meter ostwärts und, nach Beendigung der Bauarbeiten, wieder zurückgeschoben. Von 1842 bis 2001 war der „älteste noch erhaltene Kopfbahnhof der Welt“ (Info-Broschüre), Teil des Bahnbetriebs. Im Spannungsfeld von historischem Bahnhofsgebäude und angrenzenden Plattenbauten gibt das Areal eine schwierige städtebauliche Situation vor.
Die Architektur von Peter Kulka kümmert sich nicht um den historischen Kontext und seine baulichen Hinterlassenschaften. In den Worten der Architekten jedoch sollen die ober­irdischen Elemente „hinter den Bestand zurücktreten“. Bunte Metallrohre verlaufen schräg zwischen den Betonwänden der Stationszugänge, nehmen statische Kräfte, Leuchten und leider auch Taubendreck auf. Die Rohre geben der Station einen Wiedererkennungswert. Im Bereich der Zugänge fällt durch die verglasten Decken Tageslicht bis hinunter auf die Bahn­steigebene.
Der Mittelteil wirkt hingegen vergleichsweise dunkel. Im Zusammenspiel mit der Standard-DB-Möblierung und der metallenen Wandverkleidung kann der Bahnsteig nicht halten, was die spielerischen Zugänge versprechen. Zwei bei einfahrenden Zügen pulsierende Leuchtbänder entlang der Außenwände kommen eher als nette Spielerei daher. Doch wer weiß? 2011 entschied ein Wettbewerb über viel Grün und neue Randbebauungen entlang des ehe­maligen Bahnareals. Vielleicht bildet die Station in Zukunft den adäquaten Eingang zu einem neuen, bunten Stadtquartier.



Fakten
Architekten HPP Architekten, Düsseldorf/Leipzig; KSW Architekten, Hannover; Dudler, Max, Berlin; Kulka, Peter, Dresden
aus Bauwelt 6.2014
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