Bruno Fioretti Marquez: Schloss in Wittenberg
Das Schloss hat einen neuen baulichen Abschluss und neue Nutzer. Bruno Fioretti Marquez hatten in Jahrhunderten Entstandenes und heutige Vorschriften in Einklang zu setzen.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Von Westen bietet die Wittenberger Altstadt noch ihr historisches Bild, da die Stadterweiterungen der letzten 150 Jahre Distanz halten.
Foto: Stefan Müller
Von Westen bietet die Wittenberger Altstadt noch ihr historisches Bild, da die Stadterweiterungen der letzten 150 Jahre Distanz halten.
Foto: Stefan Müller
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Die Hofseite des Schlosses mit den beiden Treppen aus der Renaissance und den neuen Eingängen
Foto: Stefan Müller
Die Hofseite des Schlosses mit den beiden Treppen aus der Renaissance und den neuen Eingängen
Foto: Stefan Müller
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Im Ausstellungsbereich im Erdgeschoss ist die Eichenkonstruktion aus dem 19. Jahrhundert zu erleben.
Foto: Stefan Müller
Im Ausstellungsbereich im Erdgeschoss ist die Eichenkonstruktion aus dem 19. Jahrhundert zu erleben.
Foto: Stefan Müller
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Die tiefen Laibungen lassen das Tageslicht diffus wirken und prägen so die Stimmung des Inneren.
Foto: Stefan Müller
Die tiefen Laibungen lassen das Tageslicht diffus wirken und prägen so die Stimmung des Inneren.
Foto: Stefan Müller
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Über der Ausstellung wurde auf zwei Geschossen die reformationsgeschichtliche Bibliothek eingerichtet, ...
Foto: Stefan Müller
Über der Ausstellung wurde auf zwei Geschossen die reformationsgeschichtliche Bibliothek eingerichtet, ...
Foto: Stefan Müller
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... deren Bestände bislang auf mehrere Standorte verteilt waren.
Foto: Stefan Müller
... deren Bestände bislang auf mehrere Standorte verteilt waren.
Foto: Stefan Müller
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Treppenturm aus der Bauphase um 1500
Foto: Stefan Müller
Treppenturm aus der Bauphase um 1500
Foto: Stefan Müller
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Zwei neue Treppenhäuser ...
Foto: Stefan Müller
Zwei neue Treppenhäuser ...
Foto: Stefan Müller
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... mussten eingefügt werden.
Foto: Stefan Müller
... mussten eingefügt werden.
Foto: Stefan Müller
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Bis zu vier Meter messen die Außenwände des Schlosses: raumhaltige, bewohnbare Wände.
Foto: Stefan Müller
Bis zu vier Meter messen die Außenwände des Schlosses: raumhaltige, bewohnbare Wände.
Foto: Stefan Müller
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Im Südturm, um 1500 Wohnsitz des Fürsten, wurde eine historische Öffnung rekonstruiert.
Foto: Stefan Müller
Im Südturm, um 1500 Wohnsitz des Fürsten, wurde eine historische Öffnung rekonstruiert.
Foto: Stefan Müller
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Große Schiebetüren öffnen den den Flur des Priesterseminars zu den Gartenhöfen.
Foto: Stefan Müller
Große Schiebetüren öffnen den den Flur des Priesterseminars zu den Gartenhöfen.
Foto: Stefan Müller
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Die Winterkirche dient nicht nur dem Predigerseminar, ...
Foto: Stefan Müller
Die Winterkirche dient nicht nur dem Predigerseminar, ...
Foto: Stefan Müller
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... sondern kann auch von der Gemeinde der Schlosskirche genutzt werden.
Foto: Stefan Müller
... sondern kann auch von der Gemeinde der Schlosskirche genutzt werden.
Foto: Stefan Müller
Wittenbergs Schloss ist ein Reiseziel für sich: für historisch Interessierte im Allgemeinen, für reformationsgeschichtlich Interessierte im Besonderen – und nun auch noch für eine dritte Zielgruppe. Die Berliner Architekten BFM Bruno Fioretti Marquez, mit dem mnemotechnisch versierten Neubau des Meisterhauses Gropius in Dessau auch einem Publikum jenseits der Fachöffentlichkeit bekannt geworden, halten mit dem Umbau der Anlage für Ausstellungszwecke, für eine reformationsgeschichtliche Bibliothek und für ein Predigerseminar die Fahne des monolithischen Bauens hoch. Im heutigen, „sektoral maximierten“ Baugeschehen mit seinen immer undurchdringlicheren Schichten (und Beschichtungen) ist das Ergebnis nicht weniger als ein Kraftquell, der Schloss Wittenberg zur Pilgerstätte auch für Architekten macht.
Palimpsest im Treppenhaus
Das am schnellsten augenfällige neue Architekturereignis des insgesamt gut 16 Millionen Euro teuren, aus EFRE-Mitteln und Töpfen des Landes Sachsen-Anhalt finanzierten Umbaus sind die beiden Treppenhäuser, die an den Enden des winkelförmigen Schlossbaus notwendig waren, um die unterschiedlichen Niveaus des mehrfach umgebauten Inneren alltagstauglich zu erschließen – dass bislang die zum Hof hin offenen Wendelsteine aus der Renaissance die gestalterisch überragenden Elemente des Schlosses waren, lässt den Eingriff von BFM nur noch heller strahlen. Die jeweils an einer winkelförmigen Betonwand hängenden Treppenläufe lassen zwei historische Wände erlebbar werden: Beim Auf und Ab treten dem Betrachter die Wendungen der Jahrhunderte entgegen, erlauben eine Ahnung der unterschiedlichen Bau- und Nutzungsphasen: vom ritterlichen Wehrbau zur fürstlichen Residenz über eine Verwendung als Speicher bis hin zur preußischen Kaserne. Dank der geschlämmten Oberfläche zeigen sich Öffnungen und Vermauerungen, Reste von aufwendigen Gewänden und jüngste Abbruchspuren, vor allem aber unterschiedliche Mauermaterialien: Findlinge, mittelalterliche Klosterformatziegel, Hohlblockquader aus DDR-Tagen. Die neue Ortbetonarchitektur gibt sich dagegen alles andere als roh, vielmehr zeigen die geschlossenen, für die nötige Biegesteifigkeit leicht angeböschten Brüstungen eine samtig „weiche“ Oberfläche, die im Kunstlicht, das aus den Handläufen strahlt, matt glänzt. So opulent diese Treppenhäuser auch wirken, sie erschließen doch Nutzungen, die eine gewisse Publikumsfrequenz erwarten lassen – die reformationsgeschichtliche Bibliothekt in den beiden mittleren Geschossen etwa dürfte, wenn sie in diesem Frühjahr eröffnet, ebenso Besucher anziehen wie das Predigerseminar im Dachgeschoss schon jetzt für ein spürbares Ein und Aus sorgt – und nicht zuletzt steht die ebenfalls im Dachgeschoss angeordnete „Winterkirche“ auch der Gemeinde der Schlosskirche in der kalten Jahreszeit als beheizbarer Ausweichort zur Verfügung.
Grund für den 1. Preis an Bruno Fioretti Marquez im VOF-Verfahren 2011 war vor allem die geschickte Organisation dieses Dachgeschosses. Pepe Marquez hat das hier unterzubringende Raumprogramm in eine Art Pavillonstruktur aufgelöst, dessen einzelne Bestandtteile entlang des Mittelgangs und des darüber angeordneten Medienkanals zueinander versetzt immer einem Patio gegenüberliegen – die Architekten wollten damit einen Kreuzgang anklingen lassen. Sichtbar sind dadurch auf jeden Fall die Abdeckungen der historischen Außenwände, wo sie die Patios begrenzen – ein Detail nur, aber ein wichtiges, da wiederkehrendes, etwa an den Bedeckungen des kleinen Treppenturms im Zwickel von Westflügel und Südturm sowie auf den Außenwänden des Südturms selbst. Die Abdeckung aus Ortbeton auf einer die unterschiedlichen Dehnungen von Mauerwerk und Abdeckung ausgleichenden Gummischicht kommt ohne Verblechungen aus, ließ die Ausführenden aber zunächst an der Umsetzbarkeit zweifeln: an die großflächige Abdeckung des besagten Treppentürmchens wagten sie sich erst, als die Mauerkronen gelungen waren. An dieser Stelle sei erwähnt, wie zufrieden sich Britta Fritze, Projektleiterin von BFM, beim Rundgang durchs Schloss über die Zusammenarbeit mit den Handwerkern äußert – die Aufteilung der Vergabe in möglichst viele kleine Lose ermöglichte es, zahlreiche in der Umgebung ansässige, mittelständische Betriebe zu involvieren, die nicht nur über das notwendige Know how verfügten, sondern auch eine gehörige Portion Enthusiasmus mitbrachten für solch immer wieder spezielle Lösungen und Anforderungen.
Räumlich dynamisiert wird die Grundrisskonfiguration des Predigerseminars durch die leichte Schrägstellung der in Leichtbeton gegossenen, massiven Wände: Deren Gewicht wird zwar senkrecht in den Bestand abgeleitet, allerdings über die Diagonale der robust dimensionierten alten Mauern – der Umbau des Schlosses zur Kaserne nach 1815 hat Wände von bis zu vier Metern Dicke geschaffen, die solche Inszenierungen möglich werden lassen. Diese historische Baumasse bringt aber noch einen anderen Vorteil mit sich: So begnügte sich die Haustechnik aufgrund der Trägheit der Substanz mit einem Luftwechsel von 60 Prozent des eigentlich Geforderten.
Historie, normgerecht?
Apropos „eigentlich Gefordertes“: Die Projektleiterin beschreibt den Umbau als eine „Planung wider das Versicherungswesen“. Beispiel Arbeitsstättenverordnung: Der Bibliotheksraum wird über wenige Treppenstufen an den südlichen Wendelstein angebunden – eine Situation, die vorschriftsgemäß mit Hilfe eines Geländers abzusichern wäre, damit niemand, der die daneben liegende Fensternische betreten will, etwa um das Fenster zu putzen, stolpern oder abrutschen kann. Die darüber liegende Wölbung aber macht es nötig, eine Schräghaltung einzunehmen, um sich nicht den Kopf zu stoßen, was mit Geländer aber nicht mehr möglich wäre, da der Durchgang dafür zu schmal ist. Die Architekten konnten die genehmigende Behörde überzeugen, dass eine jahrhundertelang nicht mit juristischen Verfahren auffällig gewordene Lösung auch dem gegenwärtigen Nutzer zumutbar ist und keine Sperrung oder Absicherung erforderlich macht, die eine Nutzung nicht mehr zulässt.
Doch zurück zur Architektur, denn der vermutlich meistfrequentierte Bereich, die Ausstellungsräume im Erdgeschoss, kam noch gar nicht zur Sprache. Zwar beschränken sich hier die Eingriffe im Zuge des Umbaus auf wenige Elemente, doch liegt hier ein wesentlicher Anlass für das Gesamtprojekt: die Entlastung der Schlosskirche vom Besucherandrang. Zuvor strömten die protestantischen Pilgerscharen vom Schlossplatzdurch das Portal in der Nordfassade ins Innere der spätgotischen Halle und kreuzten sich dort mit jenen, die die Kirche nach dem Besuch wieder verlassen wollten – eine potentielle Staustufe in der Besucherzirkulation. Nun gibt es auf der gegenüberliegenden Seite einen direkten Durchgang von der Kirche ins Schloss: Durch eine hohe, künstlerisch gestaltete Bronzetür gelangt der Besucher ins neue Nordtreppenhaus, vor allem aber zu einer schmalen, aus der Schloss und Kirche trennenden Wand herausgeschälten Treppe, die hoch in die Ausstellung im Schloss führt.
Die Stimmung in diesen Räumen wird bestimmtvom diffusen Licht, das durch die in tiefen Laibungen liegenden Fenster fällt und die Konturen weichzeichnet; eine fast schattenlose Raumfolge, die angesichts der Orientierung der Räume nach Westen überrascht. Mit einer monochromen Farbpalette haben die Architekten diese Stimmung noch unterstützt: Unbeschichtete Oberflächen – Kalkputz an den Wänden, Sandstein, Eichenholz – prägen die Oberflächen. Mögen die Räume mit ihren tiefen Fensternischenauf den ersten Blick auch Regelmäßigkeit suggerieren – die jeweiligen geometrischen Situationen sind immer wieder anders. Das liegt an divergierenden Wandstärken auf Außen- und Hofseite, aber auch an den Ungenauigkeiten der historischen Substanz, die eben auch von Umbauten und Anpassungen geprägt ist. Die bei Architekten beliebte Schattenfuge etwa zwischen Alt und Neu hätte diese Substanz mit all ihren nicht lotrechten Kanten und Buckeln schnell ad absurdum geführt, die Schattenfuge zum klaffenden Hohlraum werden lassen: Etwas anderes als ein passgenauer Einbau war gar nicht möglich. Die bescheidenen Dimensionen der Fenster stammen übrigens aus der Kasernenzeit des Schlosses und waren auf Wunsch der Denkmalpflege zu bewahren – die Geschichte nicht zu werten zugunsten eines idealisierten Zustands, war das Leitbild für den Umbau. Nur an einer Stelle wurde davon erkennbar abgewichen – unddies mit großem Gewinn: im Südturm, 1490 erbaut als Wohnsitz Friedrichs III. (1463–1525), Kurfürst von Sachsen, Gründer der Wittenberger Universität und Beschützer des geächteten Luthers.
Der Turm an der Südwestecke des Schlosses, der mit seiner gedrungenen Gestalt an die von Gemälden überlieferte Körperfülle seines Bauherren denken lässt, ist formal zwar weniger einprägsam als der Turm der Schlosskirche auf der gegenüberliegenden Seite mit seiner reich verzierten Krone, überblickt aber die Elbe. Diese Aussicht des Kurfürsten wurde an einer Stelle wiedergewonnen: Die später zur Schießscharte vermauerte ursprüngliche Öffnung wurde wiederhergestellt. Auf die Nachempfindung verlorener bauzeitlicher Gestaltformen haben die Architekten dabei verzichtet, die Öffnung zeigt sich als puristisch das Tragwerk abbildendes Element der Gegenwart.
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