Der Chinesische Pavillon
Nach Jahren der Turbo-Urbanisierung ist der vernachlässigte ländliche Raum auf Chinas politische Agenda zurückgekehrt. Wie sich das in Architektur niederschlägt, zeigt der Chinesische Pavillon.
Text: Kögel, Eduard, Berlin
Der Chinesische Pavillon
Nach Jahren der Turbo-Urbanisierung ist der vernachlässigte ländliche Raum auf Chinas politische Agenda zurückgekehrt. Wie sich das in Architektur niederschlägt, zeigt der Chinesische Pavillon.
Text: Kögel, Eduard, Berlin
Die ländliche Kultur prägte China bis gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Garten und die Landwirtschaft waren konstituierende Elemente der Gesellschaft. Von 1949 bis zum Ende der Kulturrevolution 1976 lag dort die Basis der kommunistischen Partei. Dann kam die gewaltige Urbanisierung, die innerhalb weniger Jahre die Landbevölkerung in die Städte spülte, wo sie als Wanderarbeiter mit beschränktem Aufenthaltsrecht leben; denn bis heute gibt es keine Freizügigkeit in China. Die Architekten und Planer konzentrieren sich auf den entstehenden urbanen Sektor, der allen Beteiligten schon jede Menge abverlangte. Das ländliche China geriet aus dem Fokus und die Vernachlässigung beschleunigte die Migration. Vor allem die Jungen und Cleveren verließen ihre Dörfer, um in der Stadt ihr Glück zu suchen. Zurück blieben die Alten und die Kinder, die, auf sich selbst gestellt, den Herausforderungen nicht gewachsen sind.
Heute leben etwa zwanzig Prozent der Weltbevölkerung in China, aber das Land bewirtschaftet weniger als zehn Prozent der globalen landwirtschaftlichen Fläche. Das bedeutet, dass doppelt so viel Produktivität zur Versorgung der Bevölkerung benötigt wird, was über eine Industrialisierung der Landwirtschaft erreicht werden soll. Der Druck und die Dynamik auf das Ökosystem sind deshalb immens, und die Sicherheit der Nahrungsmittelproduktion ist in Gefahr. Neueökologische Ansätze und eine verbesserte Kommunikation zwischen Produzenten und Verbrauchern sind notwendig. Weitere Herausforderungen sind: die Wasser- und Luftverschmutzung, die Entwaldung, der Verlust von Lebensräumen.
Den ländlichen Raum der Zukunft bauen
Für die Entwicklung von ländlichen Gemeinschaften ist es notwendig, neue Impulse zu unterstützen und die Kreativwirtschaft zu stimulieren, mit altem Know-how neue Lösungen zu finden. Nachhaltiger Tourismus erfordert den Erhalt historischer Strukturen, aber auch technische Infrastrukturen für Mobilität und Hygiene. Sehr oft schaut die lokale Bevölkerung auf städtische Vorbilder und hat das Vertrauen in traditionelle Lösungen verloren. Der Widerspruch zwischen globaler Entwicklung und lokalem Potenzial muss produktiv sowohl die funktionalen Probleme lösen als auch die Bevölkerung dort abholen, wo sie sich selbst kulturell und ästhetisch verortet.
Eine große Herausforderung ist es, die ländliche Wirtschaft so zu gestalten, dass die Bewohner von ihrer Arbeit ein auskömmliches Leben führen können. In den letzten Jahren war die lokale Subsistenzwirtschaft nicht in der Lage, das Überleben zu sichern. Um heute in der Fläche vom Zerfall der Dorfstruktur zu einem ländlichen Lebensmodell zurückzukehren, bedarf es einer ökonomischen Basis, die sich aus dem Potenzial der Regionen ergeben muss. Aber hier liegt eines der großen Probleme: Die Regionen sind sehr unterschiedlich sowohl was ihre natürliche Ausstattung angeht, aber auch was ihre heutige wirtschaftliche Basis anbelangt. Denn um die Wirtschaft auf kleinstem Raum zu fördern, sind erhebliche Investitionen in die Infrastruktur erforderlich, wie Regionalflughäfen, Straßen, Schnellzüge und schneller Internetzugang. Vor allem die digitale Revolution der letz-ten Jahre eröffnet ein neues Feld für den Vertrieb lokal produzierter Güter, die jedoch dem Bedarf der Konsumenten gerecht werden müssen.
Den Status quo der Bemühungen um eine neue ländliche Architektur in China zeigt auf der Biennale in Venedig der diesjährige chinesi-sche Pavillon mit seinem Motto „Building a Future Countryside“. Hier gibt der Kurator Li Xiang-ning zusammen mit seinem Team einen Überblick, wie Architekten mit angepassten Projekten auf die Herausforderungen reagieren. Unter den Subthemen Kultur, Gemeinschaft, Produktion, Wohnen, Tourismus und Zukunft hat Li je fünf bis sieben Projekte ausgewählt, die das Thema und seine architektonischen Lösungsansätze darstellen sollen. Vor dem Pavillon errichtet der Shanghaier Architekt Philip F. Yuan mit digitalen Möglichkeiten einen neuen Pavillon, der nach der Biennale auf einem der Dorfplätze in China installiert werden soll. Hier deuten sich neue Produktionsmöglichkeiten an, die jedoch ganz sicher nicht alle Winkel des Landes erreichen werden.
Auch Europa bräuchte solche Impulse
Es ist zudem fraglich, ob das Bild der Architekten aus den Großstädten auch dem Selbstbild der Landbewohner entspricht – oder ob ihre Projekte am Ende doch nur die Staffage bleiben für Investitionen, die der Stadtbevölkerung die nostalgischen Träume in einem zeitgenössischen Gewand versüßen. Denn die industrialisierte Landwirtschaft in der Fläche eignet sich keinesfalls für diese kleinteiligen Impulse. Die in Venedig gezeigten Projekte umfassen eine große Bandbrei-te, die vom Schweinestall bis zum Museum reichen, die Schulen und Dorfstrukturen umfassen und die vor allem für die Frage sensibilisieren, mit welchen Strategien der ländlichen Lebensweise eine Zukunft gegeben werden kann. Hier schließt sich die Frage an, ob die Initiative aus China nicht auch in Europa notwendig wäre, wo schrumpfendes Hinterland in seiner Beziehung zu wachsenden Zentren neue Impulse braucht.
Kurator des Chinesischen Pavillons: Li Xiangning
Li Xiangning ist stellvertretender Dekan und Professor für Geschichte, Theorie und Kritik an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Tongji Universität in Shanghai. Er ist Chefredakteur von Architecture China.
Li Xiangning ist stellvertretender Dekan und Professor für Geschichte, Theorie und Kritik an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Tongji Universität in Shanghai. Er ist Chefredakteur von Architecture China.
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