Bauwelt

Die Revanche des Südens

Architekten seien in der Gesellschaft, so der Biennale-Chefkommissar Alejandro Aravena, so wirkungsvoll wie Stechmücken. Man muss Aravenas Meinung nicht teilen, um die Ausstellung großartig zu finden. Diese Biennale kehrt liebgewordenen Gewissheiten den Rücken und stellt aus, worum sie sich bisher gedrückt hat: eine Vielzahl aufregender Positionen von Architekten des „globalen Südens“

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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    Al Bordes Geldsäckchen eröffnen den Parcours durch die Corderie
    Foto: Sebastian Redecke

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    Foto: Sebastian Redecke

Die Revanche des Südens

Architekten seien in der Gesellschaft, so der Biennale-Chefkommissar Alejandro Aravena, so wirkungsvoll wie Stechmücken. Man muss Aravenas Meinung nicht teilen, um die Ausstellung großartig zu finden. Diese Biennale kehrt liebgewordenen Gewissheiten den Rücken und stellt aus, worum sie sich bisher gedrückt hat: eine Vielzahl aufregender Positionen von Architekten des „globalen Südens“

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Einen der provozierendsten Beiträge der Biennale kann man leicht übersehen: es ist, gleich hinter dem eindrucksvoll von der Decke hängenden Stahlblech-Entrée von Alejandro Aravena, eine Installation des ecuado­rianischen Teams Al Borde. In Plastiksäckchen verpacktes Münzgeld wurde auf dem Boden verteilt, als wäre das die sichergestellte Beute einer Razzia im Drogenmilieu. Mit den Säckchen zeigen die Architekten, wie lächerlich wenig Geld pro Quadratmeter sie für ihre Projekte zur Verfügung haben. Auch der Biennale-Auftrag kommt nicht ungeschoren davon und ist mit einem größeren Sack dabei – das von vielen europäischen Architekten beklagte magere Ausstellungsbudget ist fetter als alles, was Al Borde für seine Interventionen in Südamerika zur Verfügung steht.
Aravenas Biennale, die die Architekten mit großem Bumbum auf Frontreportage geschickt hat und damit politisches Terrain okkupieren wollte, wurde der Vorwurf des Unpolitischen gemacht: Er belasse die Akteure bei der Eigeninitiative. In der auf der Biennale sichtbaren „Staats- und Regelverachtung“, so schrieb etwa die Zeit, kreuze sich „der naive Pragmatismus mit den neoliberalen Idealen der Profitmaximierung“. Aravenas Credo laute: Sichere dir ein Stück Land, baue dein Haus selbst, organisiere dich mit der Nachbarschaft, der Staat oder die Stadt werden dir sowieso nicht helfen. Wo bleibt da das Bekenntnis zur öffentlichen Verantwortung? Für Aravena gibt es für diese Regeltreue keinen Grund mehr. Die subversiven kleinen Bauten der sizilianischen Architektin Giuseppina Grasso Cannizzo kommentiert er so: Cannizzo stünde ein für die verlorene Ehre der Architektur, einer Disziplin, die, „when exposed to big market forces, is unable to produce quality built environments“.
Aravena setzt mit seiner Ausstellung im Arsenale und im italienischen Pavillon mit dickschädeliger Engstirnigkeit allein auf sozial engagierte „small scale interventions“ der Architekten. Damit steht diese Schau in direktem Kontrast zu Ricky Burdetts Biennale „The architecture of the City“ von 2006. Burdett hatte den sozialen Blick auf das Gebaute damals aus einer wissenschaftlich untermauerten Stadtperspektive abgeleitet und angesichts der globalen Großprobleme Migration und Bevölkerungswachstum auf koordinierte politische Initiativen gesetzt. Die Idee, die aus den Fugen geratene Welt ließe sich steuern, erfolgte über Mapping-Strategien, eine Vielzahl von Diagrammen und künstlerische Interventionen. Burdett wurde, das ist eine der schönen Pointen dieser Biennale, auch von Aravena mit einer Ausstellung zur UN-Habiat 3 Konferenz im Oktober in Quito eingeladen. 2016 wirken Burdetts große, ständig vor sich hinblinkende Datentableaus blass und kraftlos im Kontext der aufopferungsvollen Initiativen, die in Aravenas Biennale in chaotischem Nebeneinander aufgefädelt sind. Der chilenische Chefkommissar hat einen praktischen und unmittelbar wirkungsorientierten, keinen analytischen Ansatz. Zur Macht der Architekten sagt er, sie seien nur als „cloud of the mosquitos“ wirksam. Steuerung und Struktur entsteht bei ihm allenfalls aus dem Zusammenwirken einzelner Initiativen. Damit beantwortet diese Biennale die entscheidende Frage „Wie weit reicht die Macht der Architektur im Schnittbereich zur Gesellschaft?“ ziemlich einseitig. Das Missverständnis aber, hier sei sträfliche Naivität am Werk, rührt aus der unterschiedlichen Haltung der Architekten des Nordens und des Südens zur Stadt. Aravenas Blick verschiebt den Schwerpunkt so weit wie zuvor keine andere Biennale in Richtung Süden und konzentriert sich dabei auf herausragende Einzelpositionen: etwa auf Solano Benitéz aus Paraguay, mit seinen intelligenten Lowtech-Hallen, oder das iranische Büro vav, das schon im Namen (vav heißt „und“) deutlich macht, dass es nach neuen Verbindungen zur Nachbarschaft sucht, auf Simon Vélez mit seiner Beharrlichkeit, Bambus als aktuelle Bautechnologie einzusetzen, auf Cecilia Puga aus Chile mit ihren kleinen poetischen Wunderwerken oder auf den südafrikanischen Architekten Andrew Makin mit „enabling structures“ im öffentlichen Raum. Kurz – diese Biennale ist eine Revanche der Architekten des Südens und der Mittelmeerländer, denen der Glaube an die öffentliche Hand fehlt und die das in Zeiten der Globalisierung dringend nötige Nachdenken über einen neuen Metabolismus der Stadt – so weit ihre Kraft reicht – in die eigene Verantwortung übernommen haben.
Dazu passt dann, dass Aravena so gut wie gar nicht inszeniert. Er kehrt zu einer traditionellen, fast altmodischen Idee von Ausstellung zurück, in der nach dem Motto „Architektur kann auch einfach gemacht werden“ einfach dargestellt wird. Man sieht der von ihm verantworteten Ausstellung im Arsenale und im italienischen Pavillon an, wie sie mit Post-it-Methoden konzipiert und umgesetzt wurde. Die gebogenen Bewehrungseisen zum Beispiel, an denen die Erläuterungstexte hängen und die durch die Ausstellung führen, mögen dem routinierten Ausstellungsbesucher dilettantisch vorkommen. Doch die Texte, in denen Aravena mit wenigen Strichen seine persönliche Sicht auf die Ideen der von ihm eingeladenden Architekten erläutert, sind von wunderbarer Präzision. Kann der Architekturzirkus Biennale jenseits der immer pompöseren Konzepte solcher kultureller Großveranstaltungen, jenseits der Repräsentation von Architektur Wirklichkeit ausstellen? Die diesjährige Ausstellung zeigt: Sie kann.

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