Die digitale Stadt führt zur totalen Konformität
Pritzker-Preisträger Rem Koolhaas veröffentlichte wegweisende Schriften zum Städtebau wie „Delirious New York“ und „S, M, L, XL“ – inzwischen äußert er seine Ansichten vor allem in pointierten Interviews. Nathan Gardels von The WorldPost sprach mit dem Architekten über Globalisierung, regionale Identität und die Zukunft der Städte im digitalen Zeitalter.
Text: Gardels, Nathan, Los Angeles
Die digitale Stadt führt zur totalen Konformität
Pritzker-Preisträger Rem Koolhaas veröffentlichte wegweisende Schriften zum Städtebau wie „Delirious New York“ und „S, M, L, XL“ – inzwischen äußert er seine Ansichten vor allem in pointierten Interviews. Nathan Gardels von The WorldPost sprach mit dem Architekten über Globalisierung, regionale Identität und die Zukunft der Städte im digitalen Zeitalter.
Text: Gardels, Nathan, Los Angeles
In den 1990er Jahren sprachen Sie häufig über die „Generic City“, jenen städtischen Lebensraum ohne eigenes Gesicht, der sich aus der neuen Homogenität einer globalisierten Welt ergibt. In unserem damaligen Gespräche brachten Sie es auf folgenden Nenner: „Konvergenz und generische Austauschbarkeit sind nur um den Preis der Identität machbar. Im Allgemeinen gilt dies als Verlust. Was aber sind mögliche Vorteile einer Nicht-Identität? Was bleibt, wenn Identität weggekürzt wird? Das Generische?“ Wie ist Ihr heutiger Standpunkt dazu, insbesondere vor dem Hintergrund einer Rückbesinnung auf Identitätsformate – etwa wenn Chinas Staatspräsident Xi Jinping von einer „Verjüngung der Chinesischen Nation“ spricht, oder Recep Tayyip Erdogan in nostalgischer Anwandlung den Wiederaufbau der ottomanischen Kasernenhöfe im Gezi-Park beschließt.
Noch während sich in der Architektur eine globalisierte Ästhetik bzw. eine Art internationaler Stil herausbildete, gab es bereits in den 1980er Jahren zahlreiche kritische Gegenstimmen. Im Fokus stand eben die Tatsache, dass man nicht mehr in der Lage war, eigenständige und differenzierte lokale Identität zu erzeugen. Genau an diesem Punkt entstand die Postmoderne. Dabei ging es darum, eine globale Ästhetik zu entwickeln, der man zugleich über das Einkreuzen von regionalen Bauformen etwas entgegensetzen wollte. Deshalb sagte ich damals, die Postmoderne würde zum Stil der generischen Stadt. Aus der jetzigen Sicht wird deutlich, wie diese Sensibilität die heutige, vertiefte Betonung auf eine Identität, die zugleich in einem globalen Kontext eingebettet bleibt, vorwegnahm bzw. vorbereitet hat. Wie Sie schon sagten, ist Xi ein Repräsentant für diesen Zwiespalt. Er steht der Globalisierung offener gegenüber als etwa ein Donald Trump, gleichzeitig betont er in allen Dingen immer das „Chinesische“, sei es in Bezug auf den Sozialismus oder auch hinsichtlich der Architektur.
Als Xi an die Macht kam, kritisierte er die „befremdliche Architektur“, die er in Peking zu sehen bekomme. Ganz offensichtlich in Bezugnahme auf Ihren CCTV-Entwurf sprach er davon, Bauen in China müsse stattdessen „heutige Werte der chinesischen Gesellschaft propagieren, traditionelle chinesische Kultur aufgreifen und das Streben nach Ästhetik des chinesischen Volkes widerspiegeln.“ Hätten Sie ihren CCTV-Komplex heute noch bauen können?
Vermutlich nicht. Mittlerweile gibt es bauliche Vorschriften, die neue Gebäude in Peking auf ein Drittel der Höhe des CCTV-Towers herunterregeln. In Peking könnte ich das CCTV also nicht mehr machen, an anderen Orten in China, etwa in Shenzhen, wäre es aber wohl weiterhin denkbar. Hierzu noch eine Anmerkung am Rande: Xi machte seine Kritik nie explizit am CCTV fest. Und: Er hat im Übrigen vollkommen recht, wie ich finde – es gibt tatsächlich eine Menge sehr seltsamer Gebäude in Peking.
Was bedeutet dieser Rückzug aus der Globalisierung zugunsten von lokalen Identitäten
für die Städte? Gibt es einen Unterschied zwischen Ost und West, zwischen Demokratien und autokratisch regierten Staaten?
für die Städte? Gibt es einen Unterschied zwischen Ost und West, zwischen Demokratien und autokratisch regierten Staaten?
Ironischer Weise bekommen wir genau jetzt (also in einer Zeit, in der die Menschen das Bedürfnis formulieren, sich in ihrer gebauten Umgebung wiederzufinden) weltweit vorgeführt, dass eine Städteplanung schier unmöglich geworden ist, weil die freie Wirtschaft nirgendwo die nötigen Gelder dafür zur Verfügung stellt. Kein einziges größeres öffentliches Bauvorhaben kann noch umgesetzt werden, nicht einmal Projekte zum Schutz gegen die Hurrikan-Stürme in den Küstengebieten der Staaten. Es gibt nur noch wenige Länder auf der Welt, etwa China oder Singapur, die sich eine starke staatliche Handhabe erhalten haben. Beide sind sowohl willens als auch in der Lage, durch den Markt generierte finanzielle Mittel für öffentliche Anliegen zur Verfügung zu stellen. Ich denke, hier geht es nicht darum die Ineffizienz demokratischer Gesellschaftsordnungen gegen eine Effizienz von Autokratien auszuspielen, sondern um die Frage, inwieweit und für welche Zwecke eine Gesellschaft bereit ist, ihre Ressourcen umzuverteilen. Im Grundsatz werden hier ideologische Fragen verhandelt, also ob die Interessen des Marktes oder die Anliegen der Gesamtgesellschaft als prioritär angesehen werden.
Die chinesische Science-Fiction-Autorin Hao Jingfang beschreibt in ihrer Erzählung „Peking falten“ Städte im Zeitalter von Cyberspace und Smart Technology. Strukturen wie selbstfahrende Autos oder auch das Internet der Dinge entwickeln sich zu riesigen neuronalen Netzwerken, die eigene Intelligenz- und Bewusstseins-Strukturen entwickeln. Wie denken Sie darüber? Was bedeutet das für den Alltag der Städte?
Wenn wir Cyberspace freien Lauf lassen in Richtung einer Zukunft, die durch die Ideologie des Silicon Valley bestimmt wird, werden die Ingenieure paradoxerweise gerade wegen ihrer libertaristischen Denkungsart urbane Lebensräume für uns bereit stellen, die durch die Konformität der Algorithmen zerrüttet sind. Das wäre wohl ein neutrales Netzwerk, zugegeben, aber eines, das nach sehr eng gesteckten Vorgaben operiert.
Wie viele meiner Freunde bin ich bekennender Autofanatiker. Natürlich haben wir daher die Entwicklung von selbstfahrenden Autos sehr genau mitverfolgt. Klar ist, dass autonomes Fahren nur auf Kosten der totalen Gleichschaltung jedes einzelnen Mitglieds der Gesellschaft funktionieren kann. Ein derartiges Mobilitätskonzept basiert darauf, dass ausnahmslos jede und jeder sich regelkonform verhält. Am Beispiel der selbstfahrenden Autos ist deutlich ablesbar, dass es eine Art eingebauten Mechanismus aus autoritativen Vorgaben gibt, damit die Flüsse im „Managed Space“ bzw. dem sogenannten Cyberspace überhaupt funktionieren. Immer mehr Menschen wird bei der Vorstellung einer solchen Zukunft unbehaglich zumute.
Paolo Solieri, der 2013 verstorbene Erfinder der Arcology-Bewegung, glaubte daran, dass die engmaschigen Feedback-Schleifen in räumlich verdichteten Situationen die Voraussetzung für Intelligenz seien, analog etwa zu den engen Windungen des menschlichen Gehirns. Wenn also „verdrahtete“ Städte sehr dichte neurale Netzwerke darstellen, werden sie sich zu ökologischen, effizienten, intelligenten Organismen entwickeln – und sei es um den Preis der von Ihnen befürchteten Konformität – oder wird das „delirische“ Chaos der Diversität alles auf den Kopf stellen und sich gegen eine solchen Hyper-Effizienz wehren?
Dichte und Verdichtung mag wohl Voraussetzung für Intelligenz sein, Effizienz ist es sicherlich nicht. Lebendige Intelligenz blüht vor allem in der Diversität von „non-managed spaces“, also von Orten ohne Kuratel, die per definitionem jenseits aller Effizienzmargen liegen. Das gilt für die Entstehungsgeschichte unterschiedlicher Lebensformen ebenso wie für die historische Entwicklung urbaner Stadtkulturen.
Sie sind mehrfach um den Globus gereist und Sie haben überall auf der Welt gebaut. Welche Städte sind Ihrer Meinung nach am besten gerüstet für die Zukunft?
Ich habe mehr als dreißig Jahre lang in New York und London gewohnt, doch jetzt lebe ich in Randstad (Großraum Amsterdam-Rotterdam-Den Haag-Utrecht als dem Zusammenschluss aus den vier wichtigsten Städten der Niederlande). Tatsächlich kommt es mir manchmal unwirklich vor. Es gibt keine dominanten (Stadt-)Zentren, dennoch ist das gesamte Gebiet zu einer Art Metropolis-Feld vernetzt. Alle aus urbanen Zusammenhängen gewohnten Dienstleistungen, Behörden und sonstigen Angebote sind verfügbar, jedoch dezentral über das Gesamtgebiet verteilt: Ein erweiterter Stadtraum, der nicht durch binnenstrukturelle Zusammenhänge oder einer wechselseitigen Anpassung der Teilbereiche bestimmt wird, sich aber trotzdem als Gesamtheit darstellt. Das Ganze ist so eine Art Collage. Städte wie diese – insgesamt offener und dabei unkomplizierter in ihren Abläufen – sind vermutlich am besten gerüstet für künftige Herausforderungen. Los Angeles ist der Prototyp für diese Art Habitat der Zukunft.
Übersetzung aus dem Englischen: Agnes Kloocke
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