Bauwelt

Die ganz große Botschaft

Im Oktober fand in Quito die Habitat-III-Konferenz statt. Dort wurde die „New Urban Agenda“ verabschiedet. Sie soll der Weltgemeinschaft helfen, den globalen Urbanisierungsprozess nach­haltig zu gestalten. Warum wird in Deutschland so wenig darü­ber diskutiert?

Text: Misselwitz, Philipp

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Interaktive Ausstellungs­installation am deut­schen Stand in Quito (beier + wellach projekte mit Wissenschaft im Dialog)

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Interaktive Ausstellungs­installation am deut­schen Stand in Quito (beier + wellach projekte mit Wissenschaft im Dialog)


Die ganz große Botschaft

Im Oktober fand in Quito die Habitat-III-Konferenz statt. Dort wurde die „New Urban Agenda“ verabschiedet. Sie soll der Weltgemeinschaft helfen, den globalen Urbanisierungsprozess nach­haltig zu gestalten. Warum wird in Deutschland so wenig darü­ber diskutiert?

Text: Misselwitz, Philipp

Noch nie war „Stadt“ so sehr im Fokus politischer Diskussionen. Dies sollte uns als Architekten und Planer interessieren. Da bereits heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt und diese Zahl bis 2050 auf siebzig Prozent (oder auf zwei Milliarden neuer Stadtbewohner) steigen könnte, ist es offensichtlich, dass ohne eine nachhaltige Stadtentwicklung weder das Klimaziel erreicht noch die Armut bekämpft werden kann. Die Erwartungen und Hoffnungen, die sich auf die „Habitat III“ richteten, waren immens, handelte es sich doch um die wichtigste Umsetzungskonferenz der globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals), die 2015 auf der UN-Klimakonferenz in Paris beschlossen wurden (Bauwelt 1–2.2016). Über 30.000 Teilnehmer waren in Quito akkreditiert. Trotz guter Organisation gab es stundenlanges Schlangestehen und Sicherheitskon­trollen, um in den als temporäre UN-Exklave deklarierten Konferenzbereich zu gelangen und die zahlreichen Vorträge, Foren, Diskussionen, Workshops und Stände zu besuchen. Doch von dieser Euphorie war in den deutschen Medien wenig zu spüren. Habitat III hat es nicht geschafft, mit einer ganz großen Botschaft durchzudringen, wie es dem Pariser Abkommen mit dem Zwei-Grad-Ziel gelungen ist. Also alles umsonst?
Zunächst zur „New Urban Agenda“ selbst: Die Lektüre dieses 22-seitigen englischsprachigen Dokuments empfiehlt sich durchaus, auch für nicht mit UN-Sprache vertraute Leser (Download unter habitat3.org). Noch nie gab es einen Text, der eine umfassende Vision für Stadtentwicklung und deren entscheidende Rolle bei der Erreichung nachhaltiger Ziele darstellt. Als neu und für UN-Dokumente fast als radikal bewerten kann man die darin enthaltenen Prinzipien, wenngleich aus deutscher Sicht so manches eher selbstverständlich wirkt: Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, die Verankerung eines integrativen räumlichen Ansatzes in der Stadtentwicklung, die Dezentralisierung von Entscheidungen. Gerade bei Letz­terem gab es im Vorfeld konfliktreiche Auseinandersetzungen mit einigen UN-Mitgliedstaaten wie der Türkei oder China, die in der Stärkung der Handlungsmandate von Kommunen eher eine Bedrohung von Stabilität sehen. UN-typische Streichungen und Kompromissformeln waren die Folge. Erstaunlich ist, dass ähnlich streitbare Themen wie das „Recht auf Stadt“ – eine Forderung, die von sozialen Bewegungen eingebracht wurde – im Dokument verblieben. Die Achillesferse der New Urban Agenda ist zweifellos die Schwammigkeit, mit der sie klaren Umsetzungsleitlinien ausweicht. Es fehlen konkrete Vereinbarungen oder Ziele, an denen Umsetzungsbemühungen gemessen werden können. Anstelle eines verpflichtenden Rahmens ist die Rede von „voluntary commitments“.
Der offizielle Teil der fünftägigen Konferenz war dann auch eher belanglos.Die Ansprachen von Staatssekretären und Vizeministern wirkten teils defensiv, teils selbstgefällig. Auch die Worte des 40. Redners, Staatssekretär im Umweltministerium Günther Adler, verhallten in der riesigen Konferenzhalle, wenngleich er betonte, dass ein ökologisches und soziales Desaster drohe, solle die Welt nicht zu radikalen Änderungen bereit sein. Der „diplomatisch bereinigte“, schon Wochen zuvor beschlossene Agendatext wurde schließlich am letzten Tag ohne Kontroverse von 193 Regierungen durchgewunken. Eine typische UN-Show – wenngleich die Staatschefs als Hauptdarsteller (mit Ausnahme von Venezuela) fehlten. Auch die Bundesregierung war nur auf Staatssekretärsebene präsent. Die Welt weiß um die Dringlichkeit eines radikalen Wandels. Doch die UN-Konferenz machte die Kluft zwischen Wissen und Handeln nur allzu deutlich. „Die Fallhöhe zwischen dem, was nötig wäre, und dem, was möglich ist, hat etwas Schwindelerregendes“, schrieb Stefan Reinecke in der taz.
Was ist nun zu tun? Deutschland selbst sollte die New Urban Agenda ernst nehmen und trotz Vorlauf im Vergleich zu anderen Staaten – etwa bei der Energiewende oder der Partizipation – nicht in Selbstzufriedenheit verfallen. Es stehen dringende Hausaufgaben an. Es liegt noch kein programmatischer Ansatz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zur Umsetzung der Agenda 2030 vor, bei der Städte als Hebel wirken könnten. Urbanisierung und Stadtentwicklung sind noch immer Stiefkinder der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die vor allem sektorale Schwerpunkte definiert. Das von allen OSZE-Staaten vereinbarte Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe zur Verfügung zu stellen, wird von Deutschland peinlich unterschritten – die Quote liegt derzeit bei 0,42 Prozent. Warum bekommen deutsche Städte nicht mehr Unterstützung, um sich international zu vernetzen? Auch Universi­täten würden davon profitieren. Warum bleiben die seit langem geforderten Urbanisierungspartnerschaften zwischen Deutschland und vielen Partnerstaaten reine Absichtserklärung? Bereits im Vorfeld der Habitat-III-Konferenz wirkte das Zuständigkeits- und Kompetenzgerangel zwischen den deutschen Ministerien BMZ und BMUB absurd und unnötig. Am Ende kam keiner der beiden Minister nach Quito.
Deutschland hat viel in den Habitat-Prozess investiert – hinter den Kulissen. Auf diplomatischem Parkett aber weicht Deutschland immer wieder der von vielen Staaten geforderten gestaltenden Rolle aus. Doch die Implementierung der New Urban Agenda kann nur gelingen, wenn einige Staa­-ten mutige Zeichen setzen. Deutschland hätte die Ressourcen und die Kompetenzen, um etwa eine Institution für die Begleitung und Kontrolle der Umsetzung der New Urban Agenda einzurichten oder eine Initiative zur Ausbildung der weltweit so dringend benötigten innovativen Planer und Stadtexperten zu starten. Habitat III kann nur der Anstoß für weiteres Handeln sein. 2018, beim nächsten „World Urban Forum“ in Kuala Lumpur, wird sich zeigen, wer dazu bereit ist, der New Urban Agenda im Nachhinein zum Durchbruch zu verhelfen.

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