Fünf Szenarien für die Multihalle in Mannheim
Eine fächerübergreifende Werkstatt sondierte Anfang April Wege in die Zukunft für Frei Ottos Multihalle. Und siehe da: Große Eingriffe sind für eine Nutzung gar nicht notwendig
Text: Staehle, Stefan
Fünf Szenarien für die Multihalle in Mannheim
Eine fächerübergreifende Werkstatt sondierte Anfang April Wege in die Zukunft für Frei Ottos Multihalle. Und siehe da: Große Eingriffe sind für eine Nutzung gar nicht notwendig
Text: Staehle, Stefan
Unter dem Motto denken/forschen/entwickeln hatte der Förderverein Multihalle e.V. Anfang April zu einem zweitägigen Workshop nach Mannheim eingeladen, um ein Nutzungskonzept für die von Frei Otto konzipierte Multihalle zu entwickeln. Konnte der drohende Abriss durch eine Gemeinderatsentscheidung im Juni vergangenen Jahres noch einmal abgewendet werden, soll bis Ende 2017 durch die Initiative des von der Stadt Mannheim und der Architektenkammer Baden-Württemberg ins Leben gerufenen Vereins ein belastbares Nutzungskonzept erarbeitet werden, um den Erhalt des sogenannten Wunders von Mannheim langfristig zu sichern.
Beauftragt, ein Fund-raising-Konzept zu erstellen, hatte das Büro actori aus München im Vorfeld die Erfolgschancen einer Spendenkampagne, mit der die nötigen Mittel zur Rettung der Multihalle generiert werden sollten, noch als gering eingeschätzt, vor allem aufgrund des bis heute fehlenden Nutzungskonzepts. Ebenso erscheint es für die Stadt Mannheim als Eigentümerin momentan unmöglich, die auf rund 11,6 Millionen Euro taxierten Sanierungskosten aus eigenen Haushaltsmitteln zu finanzieren.
Das Feld der Eingeladenen setzte sich aus (Landschafts-)Architekten, Vertretern der Baubehörden, Akteuren der lokalen Kultur- und Kreativwirtschaft, Ingenieuren und Veranstaltungsmanagern zusammen, die in fünf interdisziplinären Teams zukünftige Nutzungen für die Multihalle diskutierten, unterstützt von Beratern aus den Bereichen Akustik, Statik und Ausstellungsdesign. Die einzelnen Gruppen arbeiteten in den Themenfeldern Spiel, Sport, Park regional, Internationaler Ort der Begegnung, Investoren-Modell und Freies Konzept, wodurch möglichst breit gefächerte Ergebnisse erzielt werden sollten.
Deutlich spürbar war die persönliche Motivation der Teilnehmer, das bauliche Erbe Frei Ottos zu bewahren und fortzuschreiben. Es sei die eigentliche Aufgabe des Workshops, nicht nur die Multihalle als architektonische Struktur, sondern die in ihr realisierte gesellschaftliche Vision ihres Erbauers zu erhalten, wie Christine Kanstinger – Architektin und Tochter Frei Ottos – betonte. Im Verlauf der Ideenfindung zeigte sich jedoch die Sperrigkeit des Bauwerks, das sich auch mehr als vierzig Jahre nach seiner Errichtung gewohnten Mustern entzieht. Hieraus entstanden Überlegungen, das marktwirtschaftliche Potenzial vor allem in der zentralen Lage und nicht im Gebäude zu sehen. Für den Unternehmensberater Christian Brensing sollte die Wertschöpfung nicht in der eigentlichen Multihalle, sondern in einem noch zu entwickelnden Erweiterungsbau, der sogenannten Multihalle+, erfolgen.
Problematisch erschien ebenfalls die mangelnde Anbindung der Halle und des umliegenden Parkareals an das städtische Wegenetz. Das Leben in der Stadt macht bis heute einen Bogen um das Gelände, wie Stadtplaner Stefan Werrer feststellen musste. Ebenso befindet sich die Halle in einem Kontext, der ein Überangebot an kulturellen Angeboten aufweist und innerhalb dessen die Multihalle, vor allem im Hinblick auf ihre nicht mehr zeitgemäße Veranstaltungstechnik, nur eine Randposition einnehmen kann.
Aus dieser Analyse heraus formulierte sich die Forderung nach einem Perspektivwechsel – nicht mehr dem Ort ein Konzept überzustülpen, sondern eine Nutzung aus seinen architektonischen Charakteristika heraus zu entwickeln. Eine Einsicht, die sich in den finalen Konzepten der Gruppen widerspiegeln sollte. Diese plädierten dafür, die Multihalle wieder im Bewusstsein der Mannheimer Bevölkerung zu verankern und mit ihrem Umfeld zu verzahnen, sei es als multifunktionale Sportfläche, als Stadtforschungslabor oder als innerstädtischer Projektraum.
Jene grundsätzliche Tendenz, die Struktur der Halle nicht im Hinblick auf eine zukünftige Nutzung zu verändern, sondern die projektierten Nutzungen den Erfordernissen der Multihalle anzupassen, repräsentierte nicht nur die Demut für die Leistung ihres Konstrukteurs, sondern ebenso den Wunsch, eine sozial nachhaltige und kostengünstige Lösung zu schaffen. Stellvertretend für diesen Common-Sense formulierte Volkmar Bleicher vom Stuttgarter Ingenieurbüro Transsolar ein Fazit: Hinsichtlich der Sanierung und Ertüchtigung der Hallenstruktur sei aus technischer Sicht zwar vieles möglich, aber für eine Weiternutzung gar nicht notwendig.
Den Schlusspunkt der Veranstaltung bildete die Verlesung eines aus dem Teilnehmerfeld heraus formulierten Appells, die Multihalle zu erhalten. Als von allen Beteiligten unterzeichneter Letter of Intent wurde dieser Aufruf der Landesregierung Baden-Württembergs übergeben, um ein Bewusstsein für den Rang dieses Bauwerks und die Notwendigkeit seines Erhalts zu schaffen – eines Bauwerks, das wie kaum ein anderes für die Vision einer offenen und demokratischen Gesellschaft steht.
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