Bauwelt

Nach Weißwäsche nun Rückbau

Seit Monaten gibt es in München eine heftige Debatte um das Haus der Kunst. Auslöser sind die Pläne von David Chipperfield zur Umgestaltung des Nazi-Tempels. Nun hat der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger für Aufklärung gesorgt.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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    Das Haus der Kunst an der Prinzregentenstraße. Entwurf Chipperfield mit abgeholzter Baumreihe und wieder hergestellter Freitreppe.
    Abb.: David Chipperfield Architects

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    Das Haus der Kunst an der Prinzregentenstraße. Entwurf Chipperfield mit abgeholzter Baumreihe und wieder hergestellter Freitreppe.

    Abb.: David Chipperfield Architects

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    Origi­nalzustand des Gebäudes von Troost nach der Fertigstellung 1937.
    Foto: Bundesarchiv

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    Origi­nalzustand des Gebäudes von Troost nach der Fertigstellung 1937.

    Foto: Bundesarchiv

Nach Weißwäsche nun Rückbau

Seit Monaten gibt es in München eine heftige Debatte um das Haus der Kunst. Auslöser sind die Pläne von David Chipperfield zur Umgestaltung des Nazi-Tempels. Nun hat der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger für Aufklärung gesorgt.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

David Chipperfield ist – zumindest in der Regel – ein hervorragender Architekt. Er ist aber auch ein kluger Kopf. Was er in einem Interview mit dem SZ-Magazin (Heft 39.2015) äußerte, sollte für jeden Architekten Pflichtlektüre sein. Wie er etwa einigen Kollegen vorwarf, nicht an Baukultur, sondern an ihrem Bankkonto interessiert zu sein, oder wie er gegen das Starsystem wetterte, das eine Architektur begünstige, „die sich eitel spreizt wie Pfauenfedern“: Das war nicht nur richtig, sondern auch mutig. Umso mehr wundert es einen, dass Chipperfield derzeit dabei ist, sich um Kopf und Kragen zu reden. Anlass sind seine Vorschläge, das von Paul Ludwig Troost geplante und 1937 in München als „Haus der Deutschen Kunst“ er­öffnete und sanierungsbedürftige Gebäude innen wie außen zu verändern.
Im erwähnten Interview hatte Chipperfield betont, was Architektur leisten kann: „Gelungene Architektur bringt das Beste in uns zum Vorschein: Offenheit, Großzügigkeit, Sanftmut, Ruhe, Harmonie, Freundlichkeit.“ Dafür hat er selbst ein herausragendes Beispiel geliefert, den ebenso charak­tervollen wie zum Vorteil der Kunst zurückhaltenden Erweiterungsbau des Museums Folkwang in Essen (Bauwelt 5.2010). Dieses Bauwerk ist das sprechende Gegenstück zum Haus der Kunst, das schon kurz nach seiner pompösen Einweihung im Münchner Volksmund als „Bahnhof von Athen“ verspottet wurde. So konnte man nur staunen, dass Chipperfield zuletzt in einem SPIEGEL-Gespräch (Heft 7.2017) ein wahres Loblied auf das Haus der Kunst anstimmte. Auf seinen Irrtum, die Nazis hätten das Gebäude „instrumentalisiert“ (nein, sie hatten es gezielt für ihre Zwecke errichten lassen, Hitler sprach vom „ersten schönen Bau des neuen Reiches“), folgte der Satz: „Dennoch erkenne ich die hohe Qualität der Ausstellungsräume an.“ Wie bitte? Wer die dortigen Ausstellungen verfolgt hat, konnte immer wieder bemerken, wie schwer sich die Kuratoren taten, besonders mit den überhöhten Räumen. Übrigens ist es ein Etikettenschwindel, dass es sich beim Haus der Kunst um ein „Museum“ handle – es ist eine Kunsthalle.
Das Gebäude selbst wird vom Freistaat Bayern verantwortet, der Außenraum hingegen von der Landeshauptstadt München. Die öffentliche Diskussion entzündete sich vor allem an Chipperfields Vorschlägen, wie sich das Haus der Kunst künftig im Kontext präsentieren solle: an der Prinzregentenstraße die 1971 geschleifte Freitreppe wieder herstellen und zugleich die Baumreihe vor dem Gebäude abholzen, nach Norden hin Schneisen in den Englischen Garten schlagen, um dort ebenfalls das Gebäude von seiner angeblichen „Unsichtbarkeit“ zu befreien. Der zuständige Kunstminister Ludwig Spaenle (CSU) jubelte, obwohl man von einem promo­vierten Historiker mehr Sachkenntnis erwarten dürfte. Beifall bekundete auch Okwui Enwezor, der seit einigen Jahren die Kunsthalle leitet. Während Chipperfield und Enwezor mit der deutschen Erinnerungskultur offenbar wenig vertraut sind, beklagte die Israelitische Kultusgemeinde mit Recht „Geschichtsvergessenheit“.
Winfried Nerdinger, dem ausgewiesenen Kenner der Nazi-Architektur, platzte schließlich der Kragen. Seit 2012 Gründungsdirektor des Münchner NS-Dokumentationszentrums, hielt er dort kürzlich einen grundlegenden Vortrag zum Umgang mit NS-Architektur. Die Übernahme der Nazi-Bauten in der Nachkriegszeit sei überwiegend pragmatisch erfolgt. Zunächst die Besatzungsmächte, später auch deutsche Institutionen nahmen die Bauten von Kultur, Militär und Verwaltung ohne große Veränderungen in Besitz. Man begnügte sich damit, die Hakenkreuze abzuschlagen. In München bildete das nunmehrige „Haus der Kunst“ eine Ausnahme: „Nach dem Entwurf von Josef Wiedemann, einem der wichtigsten Architekten des Wiederaufbaus, erhielten die Räume durch Trennwände, eingezogene Decken und weiße Wandbespannungen einen völlig anderen Ausdruck. Die pompöse Ehrenhalle war überhaupt nicht mehr erkennbar, der Marmor und die schweren Türen wurden weiß überstrichen und damit so entmaterialisiert, dass die Blut- und Bodenschwere verschwand. Wiedemann, ehemaliges Mitglied der SS, entnazifizierte somit das Haus im Inneren ganz im Sinne und in der Art der überall – bei Menschen wie Sachen – üblichen Weißwäsche.“
Schon die beiden Vorgänger von Okwui Enwezor hatten damit begonnen, diese Umbauten zu beseitigen. Dass seit Jahrzehnten im Haus moderne Kunst gezeigt wird, gegen die das Gebäude ja errichtet worden war, schien Legitimation genug. Die nicht in einem Wettbewerb, sondern im Verlauf eines intransparenten Planungsauftrags entstandenen Vorschläge von Chipperfield gehen jedoch einen entscheidenden Schritt weiter: Sie laufen darauf hinaus, das Gebäude weitgehend in den Originalzustand von 1937 zu versetzen, ganz so, als könne und solle man die Historie des Hauses auslöschen. Zur Geschichte gehört nämlich auch die Baumreihe vor der Südfront, die nicht „aus Scham“ (Chipperfield) gepflanzt wurde, sondern im Zuge einer Verbreiterung der Prinzregentenstraße. Und hier kommt die Täuschung ins Spiel: Ein Rendering des Projekts vermittelt den Eindruck, als erstrecke sich vor dem Haus der Kunst eine Piazza zum Flanieren – tatsächlich befindet sich hier die breite Rampe zum Altstadtringtunnel! Nerdinger machte auch klar, dass es nicht darum geht, ob die Steine „schuldig“ sind, denn Moral lässt sich nicht auf tote Materie anwenden, sondern um den Funktionsbau eines rassistischen Regimes, das zum Holocaust führte. Deshalb ist für ihn das Sanierungsprojekt von Chipperfield eine „Renazi­fizierung“ des Gebäudes.

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