Bauwelt

Four Walls and a Roof

The complex nature of a simple profession

Text: Schürkamp, Bettina, Köln

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Four Walls and a Roof

The complex nature of a simple profession

Text: Schürkamp, Bettina, Köln

Politthriller in der Gewalt der Gezeiten – Bauherren verschwinden, Konzerne zer­brechen, und Staaten schwanken. Der niederländische Archi­­tekt Reinier de Graaf schreibt in seinem Buch „Four Walls and a Roof“ aus biogra­phischer Perspektive über die gegenwärtige Architekturprofession, die zwischen den Mythen der Moderne und den Fliehkräften der Globalisierung nach ihrer Iden­tität sucht. In seinem „history book“ verbindet de Graaf Bauten und Bücher der modernen Architekturgeschichte von Mies van der Rohe, Ernst Neufert oder Buckminster Fuller mit Geschichten aus seiner eigenen Berufspraxis, die in London unter der wirtschaftsliberalen Regierung Thatcher begann. Ab 1988 arbeitete de Graaf an den Harbour Exchange Gebäuden in den Docklands, die als „moneymaking machines“ absolut nichts mit den Idealen seines Studiums gemein hatten und einen Kontext völliger Abhängigkeit offenbarten. Der Buchtitel geht auf eine Frage aus jener Zeit zurück: „Warum hast Du so intensiv für so lange Zeit studiert? Besteht Architektur im Kern nicht nur aus vier Wänden und einem Dach?“ 25 Jahre später sucht er in 44 Essays immer noch nach einer Antwort auf diese Frage. Sie verkörpert für ihn nicht nur das geringe Verständnis der Öffentlichkeit, sondern auch die daraus resultierende, vielerorts „unaussprechlich hässliche Architektur“ unserer Städte.
De Graaf, der seit 1996 für das Office for Metropolitan Architecture (OMA) in Rotterdam arbeitet, verantwortet heute als Partner Projekte in Europa, Russland und dem Mittleren Osten. In seinem „Concept Album“ fasst er ein weites Spektrum von Textarten zusammen, die Einblicke in eine unsichtbare Architekturpraxis vermitteln. Die sieben Kapitel reflektieren Mythen der Architektur, deren Aufstieg und Scheitern de Graaf detailreich nachzeichnet. Momentaufnahmen wie die Checkliste „At Your Service: 10 Steps to Becoming a Successful Urban Consultant“ (2015) entstanden als Kolumnen für das Webmagazin „Dezeen“. Nicht nur das Interview mit Xenia Adjoubei, Urenkelin von Nikita Chruschtschow, sondern viele weitere Zeitzeugengespräche bereichern die Texte mit Authentizität. In dem Kapitel „Trial and Error“ berichten Tagebucheinträge als Gedankenstrom vom Alltag des Architekten in Zeiten radikalen Wandels. Neben dem Mittleren Osten nehmen auch Begegnungen und Projekte im Russland unter der Präsidentschaft von Medwedew großen Raum ein. „On Hold“ demonstriert, wie Ölpreis- und Krimkrise 2014 viele Projekte stoppten. Zum Start US-amerikanischer Luftangriffe auf Syrien stellt de Graaf am 7. August 2014 mit knappen Worten fest: „Unser Auftrag, verständlicherweise nicht länger eine Priorität, wurde auf Eis gelegt.“
Ausgangspunkt des Buchs war de Graafs Reflektion über Thomas Pikettys Bestseller „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ (2014) in dem Essay „The Century That Never Happened“ (Architec­tural Review, 2015). Welche Verbindungen bestehen zwischen dem von Piketty postulierten Zeitraum der großen sozialen Mobilität und den Betonkonstruktionen der Moderne? Die gleiche Architektur, die einst für soziale Mobilität stand, helfe heute, diese zu behindern. Pikettys Theo­rie der finalen Auslöschung des 20. Jahrhunderts finde seine Umsetzung im Abriss vieler Sozialwohnungen. „In Memoriam. A Photo Essay“ dokumentiert anhand von dreißig Projekten das Verschwinden einer „Architektur ohne Eigenschaften“, von der Sprengung des Pruitt-Igoe Wohnkomplexes in St. Louis (1972) bis zum Abbruch eines Neubrandenburger Plattenbaus (2016). Wie aus Zerstörung ein Neuanfang gelingen kann, illustriert das Einfamilienhaus auf dem Buchtitel, welches aus recycelten Plattenbau-Elementen in Wusterwitz (2007) errichtet wurde. Das 20. Jahrhundert lehrt, so de Graaf, dass utopisches Denken prekäre Folgen haben kann, doch wenn der Lauf der Geschichte dialektisch ist, was folgt als Nächstes? Charakterisiert das 21. Jahrhundert die Abwesenheit von Utopien? Liegt die Auflösung der Geschichte im Vergessen? „Four Walls and a Roof“ strebt nicht immer Antworten an. Mit hoher Sensibilität für die Vergänglichkeit identifiziert es das immer neue, kritische Hinterfragen der Praxis als Motor einer zukunftsweisenden Architektur im Zeichen des globalen Wandels.
Fakten
Autor / Herausgeber Reinier de Graaf
Verlag Harvard University Press, Cambridge 2017
Zum Verlag
aus Bauwelt 11.2018
Artikel als pdf

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