Bauwelt

Raumpioniere in ländlichen Regionen

Neue Wege der Daseinsvorsorge

Text: Landes, Josepha, Dresden

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Raumpioniere in ländlichen Regionen

Neue Wege der Daseinsvorsorge

Text: Landes, Josepha, Dresden

Das Leben auf dem Land ist nicht idyllisch. Landflucht ist die Flucht vom Land, nicht die Flucht aufs Land. Siedlungen in ländlichen Regionen Deutschlands, vor allem im Nordosten, lösen sich zunehmend auf. In einem Teufelskreis bedingen sich Wegzug der Jugend und Verfall der Dorfstrukturen, in politischer und sozialer aber auch infrastruktureller und baulicher Hinsicht gegenseitig.
Die ländlichen Regionen, von denen die Rede ist, sind traditionell von Landwirtschaft geprägt. Mittlerweile dominieren Großbetriebe mit maschineller Arbeitstechnik die Agrarwirtschaft. Dörfer sind nicht mehr Siedlung von Landwirten. Trotzdem sind dort Menschen zuhause, daheim. Deren Lebensqualität verschlechtert sich und staatliche Instanzen allein können die Daseinsvorsorge nicht bewältigen. Doch obliegt „denen da oben“ die Verantwortung dafür.
In dem von Philipp Oswalt und Kerstin Faber herausgegeben Buch positionieren sich Stadt- und Regionalplaner, die gegebenenfalls auch Architekt, Geograf, Soziologe oder Künstler sind, zu aktuellen Schwierigkeiten der Raumplanung in Deutschland. Kritisch beleuchten sie die Hintergründe des derzeit gängigen „Zentrale-Orte-Systems“. Als roter Faden zieht sich die Frage der staatlichen Hoheitsposition durch die Beiträge: Wo kann bürgerschaftliches Engagement die bürokratische Ordnung sinnvoll ergänzen und unterstützen?
An den planerischen Diskurs reiht sich die Vorstellung von zehn „Raumpionier“-Projekten in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Auswahl korrespondiert mit den beigefügten Statistiken, wonach für diese Regionen bis 2025 der stärkste Bevölkerungsrückgang in Deutschland zu erwarten ist.
„Raumpioniere“ bieten alternative Ansätze, um Probleme in Dörfern oder ländlichen Regionen zu entschärfen. Sie engagieren sich sozial, z.B. in der Seniorenbetreuung, infrastrukturell, so am Beispiel des Abwassersystems von Obergruna in Sachsen erklärt, oder kulturell mit Schulprojekten, Bürgerberatungsstellen o.ä. Nicht Größe und Einzugsradius eines Projekts sind ausschlaggebend, sondern seine Wirksamkeit. Ein seit Jahren gut funktionierender Bürgerbus im Hohen Fläming etwa oder die Wiederbelebung vergessener Winzertradition in Baruth belegen, dass Einfallsreichtum und Enthusiasmus Totgeglaubte länger leben lassen. Die Vorhaben der Raumpioniere sind dabei nicht utopisch, sondern simpel, lebensnah und sowohl aus einem Miteinander entwickelt, als auch ein Miteinander stiftend. Die starren Regeln der etablierten Staats- und Raumordnung legen den Vorhaben zum Teil große Steine in den Weg, was das Gemeinwesen unnütz belastet. Die Autoren plädieren hier für mehr Offenheit in der Diskussion um „Neue Wege der Daseinsvorsorge“. Auch mal Bürger für Bürger einstehen zu lassen, verstehen sie als wünschenswerte Wiederbelebung dörflichen Gut-Lebens. Es mangelt dafür nicht an Kreativität, künstlerisch-utopischen Vorhaben werden einige Seiten im Buch eingeräumt.
Nicht überkandidelt wohl aber schick sind die „Raumpioniere“. Die Haptik des Einbands ist famos. Geschmeidig liegt der Umschlag aus gestrichenem Papier in der Hand. Großer Ehrgeiz wurde auf die Schriftgestaltung verwandt. Der Satzspiegel ist sorgsam konstruiert und mit eleganten Variationen in Spannung gehalten. Das Gesamtbild entschuldet denn den Gebrauch der nur leidlich für Fließtexte geeigneten Type „Fugue“. Als Illustration sind zwischen Idyll und Leere pendelnde Fotografien und schlichte Grafiken beigegeben. In Erzählmanier verfasste Texte erleichtern das Verständnis der komplexen Gemengelage – um noch den verschlafensten Raumpionier wach zu küssen, denn schließlich kann in jedem ein Wegbereiter schlummern.
Fakten
Autor / Herausgeber Kerstin Faber und Philipp Oswalt (Hrsg.)
Verlag Spector Books; Edition Bauhaus 35
Zum Verlag
aus Bauwelt 24.2013
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