Bauwelt

Das Ganze ist schon sehr konzeptionell gedacht

Interview mit ­der Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher zum Wettbewerb Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum

Text: Geipel, Kaye, Berlin; Redecke, Sebastian, Berlin

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Regula Lüscher Architektin und Stadtplanerin aus Basel. 2001 Stellvertretende Direktorin Amt für Städtebau Zürich. Seit 2007 Senatsbaudirektorin in Berlin (auf dem Foto mit dem Juryvorsitzenden Arno Lederer).
Foto: SPK

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Regula Lüscher Architektin und Stadtplanerin aus Basel. 2001 Stellvertretende Direktorin Amt für Städtebau Zürich. Seit 2007 Senatsbaudirektorin in Berlin (auf dem Foto mit dem Juryvorsitzenden Arno Lederer).

Foto: SPK


Das Ganze ist schon sehr konzeptionell gedacht

Interview mit ­der Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher zum Wettbewerb Museum des 20. Jahrhunderts am Kulturforum

Text: Geipel, Kaye, Berlin; Redecke, Sebastian, Berlin

Kaye Geipel Das Überraschende am Entwurf der Preisträger ist die Referenz auf das Museum als „Haus“ im Allgemeinen. Inwieweit ist ­es ­für Sie ein Haus im Sinne eines Archetypus?
Das Gebäude ist sicher in seiner äußeren Form als archetypisch zu lesen und auch so im Preisgericht verstanden worden. Uns wurde im Laufe der Sitzung klar, dass diejenigen Arbeiten, die einen erkennbaren Typus von Gebäude vorschlagen, besser in einen Dialog mit den vorhandenen Bauten treten können, weil wir am Kulturforum ­ja eine Versammlung von sehr unterschiedlichen Solitären haben.
Sebastian Redecke Ich verstehe den Ansatz der Architekten, bei diesem wichtigen Museumsbau eine eindeutige Form zu wählen. Was wir sehen, ist ein ausgedehntes, breites Gebäude mit flachem Satteldach. Ich habe aber Schwierigkeiten mit dem Begriff Archetypus.
Mich interessiert diese Begrifflichkeit nicht so sehr. Irgendwann kam dieses Thema in der Preisgerichtssitzung auf. Nicht nur bei diesem Entwurf, sondern allgemein. Dass die Architekten selber von einem Haus sprechen, sei’s drum.
SR Es gibt bei den Preisträgern ja zwei Themen, die sehr präsent sind: diese Idee des Hauses mit dem flachen Satteldach und – das kann man am Modell sehr schön sehen, weil das Dach etwas transparent ist – die breiten Wegebeziehungen als großes Kreuz. Diese Idee der zwei öffentlichen Wege mit der großen Halle in der Mitte als Ort der Begegnung ist sehr einleuchtend. Allerdings ist an allen oberirdischen Austritten der Außenbezug nicht sofort ersichtlich. Hätte der Entwurf diese Bezüge nicht deutlicher formulieren müssen?
Ich sehe das nicht so. Herzog & de Meuron haben ja einen breiten oberirdischen Übergang an der Potsdamer Straße formuliert. Ich verstehe den Vorschlag so, dass man dort oberirdisch eine prominente Fußgängerquerung umsetzt. Das ist pragmatisch gedacht, und es entspricht der Art, wie man aus meiner Sicht mit Straßen im städtischen Raum umgehen sollte.
SR Entscheidend ist ja die Querung der Potsdamer Straße und dann – eine frühere Idee von Renzo Piano beim Wettbewerb 1993 am Potsdamer Platz – die Querung dieser Fußgängerverbindung durch die Staatsbibliothek bis ­hinüber zum Potsdamer Platz. Wurde diese Verbindung weitergedacht?
Ja, natürlich. Ich glaube, diese West-Ost-Beziehung wird auch bei der künftigen Entwicklung eine Rolle spielen, weil ja der Entwurf von Herzog & de Meuron ein Netzwerk von öffentlichen ­Innen- und Außenräumen formuliert. Das kann man dann so lesen, dass man im Innenraum ­der Staatsbibliothek beginnt, dann in den Außenraum geht, über die Potsdamer Straße, dann wieder in einen Innenraum taucht, was an der Stelle sehr viel Sinn macht, weil wir eine lärm­belastete Situation haben, und dann wieder hinaustritt auf den Vorplatz der Stülerkirche und weiter zu Gutbrods Piazzetta usw. Das gleiche gilt für die andere Richtung: Von der Nationalgalerie aus geht man ins Untergeschoss; dort betritt man, wenn die Verbindung realisiert ist, die „Magistrale“ im Untergeschoss und geht dann wieder die breite Treppe hoch hinaus auf den Scharounplatz. Das Ganze ist schon sehr konzeptionell gedacht. Was bis dahin eher diffuse Außenräume waren, wird mit dem Preisträger-Entwurf in ein Netzwerk von, wie ich finde, maßstäblichen Außenräumen umfunktioniert.
KG Ein solches Netzwerk von Innen- und Außenräumen gab es am Kulturforum bisher nicht. ­In den letzten 20 Jahren galt das Kulturforum mehr und mehr als urbane Wüste. Es wurden immer neue Vorschläge entwickelt, durch zusätzliche Bauten am Kulturforum räumliche Fassungen zu entwickeln, die andererseits die Idee der Scharoun‘schen Stadtlandschaft ad absurdum geführt hätten. Keiner dieser Vorschläge konnte sich durchsetzen. Und jetzt passiert mit diesem Wettbewerbsentscheid etwas ganz Merkwürdiges: Mit dem Preisträger kommt ein großer Solitär dazu, unter dessen Hülle alle diese Verbindungen stattfinden sollen. Ist damit die Idee der Stadtlandschaft zwar nicht durch absurde räumliche Arrondierungen, jetzt aber durch den übergroßen Solitär begraben worden?
Ich sehe die Idee nicht begraben. Durch dieses Netzwerk von einzelnen Räumen könnte man ­die Idee von Scharoun als transformiert sehen. Das ist meine Interpretation. Ich finde es das ­Interessante an diesem Entwurf, dass er an jeder Stelle unterschiedliche Lesbarkeiten eröffnet. Ich glaube, dass die Architektur das heute leisten muss. Sie sollte nicht an jeder Stelle eindeutig sein, sondern solche Mehrdeutigkeiten offenlassen. Das beinhaltet die Möglichkeit, dass sich Gebäude oder städtebauliche Situationen erst im Lauf der Zeit durch die Nutzung vervollständigen. Das finde ich eine große Qualität.
Das Interessante an dem Entwurf der Preisträger ist, dass er drei Qualitäten zusammenführt. Als Baukörper antwortet er als Solitär auf die übrigen Solitäre und erlangt große Eigenständigkeit. Als Beitrag zum Thema der Stadtlandschaft sieht er die Vernetzung von Räumen vor. Und als Referenz zum historischen Stadtgrundriss vor der Zerstörung bietet er Raumkanten an, so dass z.B. die St.-Matthäus-Kirche von Friedrich August Stüler wieder eine selbstverständliche Verortung erhält.
KG Damit geht er über die Aufgabe eines Solitärs, wie Scharoun ihn verstanden hat, weit hin­aus. Die Vorschläge für räumliche Reparaturen durch zusätzliche Bauten sind mit diesem Entwurf obsolet geworden. Selbst die immer kritisierte gekurvte Straßenführung der sechspurigen Potsdamer Straße ist Teil des Entwurfs von Herzog & de Meuron – ihr Projekt hat hier eine kleine Biegung in der Fassade. Verstehen wir das richtig: Mit dem Neubau wird der räumliche Istzustand akzeptiert und durch ein Netzwerk von Innen- und Außenbezügen des neuen Museums bereinigt? Die räumlichen Ergänzungen, die für das Kulturforum diskutiert wurden, sind damit ad acta gelegt?
Im Grunde genommen ist das schon so. Und ich glaube, es war auch einer der Gründe, warum das Preisgericht am Ende so überzeugt war, dass mit diesem „Solitär“ das Kulturforum in großen Teilen geordnet und auch zu Ende gebaut wird. Das Faszinierende an diesem Entwurf ist eben, dass er nicht wie die anderen Nachbarn Raum verdrängt, sondern eher abstrahlt. Er ist ein Solitär, der gleichzeitig wie ein Magnet wirkt durch diese Vernetzungsoption, die er anbietet. Und für mich ist das der eigentliche Ausgang des Wettbewerbs: Es wurde ein Objekt, ein Haus gefunden, das die städtebauliche Situation vollständig klärt.
Es war richtig, an dieser Stelle keinen abstrakten Städtebau zu betreiben, sondern darauf zu warten, dass ein weiterer Solitär im Sinne der Stadtlandschaft dieses Kulturforum vervollständigt. Ich hätte bei jeder anderen städtebaulichen Situation sicher darauf gedrängt, dass man vorab noch mal einen städtebaulichen Wettbewerb durchführt, aber an der Stelle war ich mir sicher, dass dieser Ort nur befriedet und zu Ende geführt werden kann mit einem Gebäude, das eben auch ein Kommentar ist zu seiner Nutzung. Ohne Programm ist dieser Ort nicht zu lösen. Und das Programm wird erst in einem Gebäude, in einer Architektur mit starkem Charakter vermittelt.
SR Wenn es sich konkretisiert, dass der erste Preis gebaut wird, stellt sich die sehr wichtige Frage, wie das vergessene Umfeld gestaltet wird. Wird es einen Wettbewerb geben?
Ja, das ist richtig – das Umfeld quasi als nächster Schritt, als Reaktion auf diese starke Setzung. Ich sage bewusst „Reaktion“, da der Impuls von diesem Gebäude kommen muss und die Außenräume, die nun die Wegachsen aufnehmen müssen, jetzt adäquat gestaltet werden. Für den Scharounplatz mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Ich glaube, der Ansatz der Landschaftsplaner Valentien + Valentien kann weitergeführt werden. Das wird ein sehr öffentlicher, belebter Ort. Das wird bestens funktionieren. Dort ist ja auch der Haupteingang des neuen Museums. Der Matthäuskirchplatz behält seine historische Form. Ich sehe keine Veranlassung, das zu verändern. Über die Piazzetta werden wir weiter nachdenken müssen. Allerdings stehen zur Zeit keine Mittel zur Verfügung.
SR Mit einem gewissen Erstaunen habe ich ­den zweiten Preisträger erlebt. Sowohl das Konzept wie die Darstellung sind problematisch. Wie kam es dazu?
Die Nutzer haben diesen Entwurf enorm geliebt, weil sie einen interessanten Vorschlag in die­­-ser verglasten Amöbe sehen, in der ja keine Museums- sondern Publikumsnutzungen unter­gebracht sind – bis hin zu den Werkstätten, also dem making of. Sie haben das als eine große Neuerung verstanden, was ein Museum heute sein kann. Städtebaulich und architektonisch wurde der Entwurf kritisch gesehen.
KG Kann die Piazzetta eigentlich als Aktionsraum noch gerettet werden? In diesem Zusammenhang fällt einem das Projekt von OMA ein. Könnte das ein überspringender Gedanke sein, dass das OMA-Konzept zwar für das Museum nicht passend war, aber an anderer Stelle wieder aufgegriffen wird?
Die Bespielung der Piazzetta versuche ich mit den Museen ja seit vielen Jahren zu betreiben. Und die Diskussion über den Entwurf von OMA hat ja für den Bauplatz des neuen Museums gleich ­nebenan gezeigt, was man sich heute von einem Museum wünscht, dass es sich ganz nach außen wendet und zu einem Begegnungsort wird. Prob­- lematisch an diesem Entwurf mit seiner bespielbaren Dachlandschaft ist allerdings, dass das Übermaß an öffentlichem Raum, das wir am Kulturforum bereits haben, nochmals potenziert wird.
Wenn man gleichzeitig weiß, mit welchen klammen Haushalten diese Häuser ihre Räume bespielen müssen, dann ist es einfach ein Rätsel, wie das funktionieren kann. Wenn es schon nicht gelingt, die Piazzetta zu bespielen, wie kann es dann gelingen, diese ganze Oberfläche eines Museums zu bespielen? Wenn ein solcher Bau nicht bespielt wird, dann ist das blamabel.
Fakten
Architekten Lüscher, Regula, Berlin
aus Bauwelt 40.2016
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