Editorial: A Good City has Industry
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Editorial: A Good City has Industry
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Ein lautes Lamento ist zu hören: Die Stadt hat die Fähigkeit zur Integration verloren. Die soziale und wirtschaftliche Durchmischung der Quartiere zerfällt. Schlimmer noch, dieser Zerfall ist gerade dort, wo die Städte wieder wachsen und Tausende von Wohnungen gebaut werden, nicht aufzuhalten. Die augenscheinliche Zwangsläufigkeit der Prozesse führt inzwischen zu einer Verengung des Blicks auf die Phänomene der extremen Warenform der Stadt: Wir starren wie Kaninchen auf die immer weiter steigenden Preise für innerstädtisches Wohnen. Zwar versucht die Planung gegenzusteuern, meist wird aber nur halbherzig an den Symptomen herumgedoktert.
In einem solchen Moment ist ein Schritt zurück dringend nötig. Seit langem haben wir diejenigen Stadtbausteine, die auch jenseits von direkten Subventionen ein Bollwerk gegen die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit der Quartiere sein können, aus den Augen verloren. Viele ehemals selbstverständliche gewerbliche und industrielle Arbeitsplätze sind aus dem Stadtbild verschwunden. Die funktionalistische Trennung der modernen Stadt, die die Industrie vor die Tür gesetzt hat, wirkt als mühlsteinschwere Tradition bis in die Gegenwart fort. Inzwischen betrifft dies nicht nur die Industrie – das ganz normale Gewerbe, vom Klempner in der Straße bis zum Glaser um die Ecke, wird aus der Stadt vertrieben. Die neuen Herren und Damen des innerstädtischen Wohnens haben die dickere Brieftasche.
Gegen den Fatalismus einer nie in Frage gestellten Funktionstrennung
Zwölf Autoren aus dem In- und Ausland haben mit ihren Ideen dazu beigetragen, dieses Heft zur „Produktiven Stadt“ auf die Beine zu stellen. Wir glauben, dass es sich lohnt, dem nach wie vor gültigen Credo der Funktionstrennung neue Modelle entgegenzustellen. Nicht das Latte-macchiato-Konzept der lebendigen Stadt ist gefragt. Die Idee der gemischten Stadt ernst nehmen heißt heute, dafür zu sorgen, dass auch die „maßvoll störenden“ Teile der Industrieproduktion und des Gewerbes wieder ihren Platz haben in der Stadtstruktur.
Einer der wichtigsten deutschen Protagonisten dieser Idee ist Dieter Läpple. Läpple, langjähriger Leiter des Instituts für Stadt- und Regionalökonomie an der TU Hamburg und dann an der HafenCity, untersucht seit Jahrzehnten die räumlich wirksamen Zusammenhänge von urbaner Wirtschaft und Stadtentwicklung. Mich hat 2015 sein ganz spezielles Eintreten für die Hamburger Olympiabewerbung 2024 beeindruckt, wo er für die provozierende Idee warb, die Nachnutzung der Olympiaquartiere nicht zu Enklaven des gehobenen Wohnens zu entwickeln, sondern von Anfang an neue urbane Arbeitsformen und lokale Ökonomien einzuplanen. Läpple hatte sich schon zuvor immer wieder eingemischt, unter anderem in Wilhelmsburg, dem Ort, an dem die IBA Hamburg mit einigen experimentellen Projekten – Welt-Gewerbehof und dem Umbau des Hafens Harburg – getestet hat, wie sich die unvermeidlichen Konflikte im Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen sinnvoll bearbeiten lassen. Für ihn gilt: „Wir sollten uns verabschieden von der Entweder-Oder-Stadt, die sich zurzeit nur aufs Wohnen fixiert.“
Dass die Stadtplanung inzwischen auch von der Industrie her unter Druck gesetzt wird, mehr für die kleinräumliche Mischung zu tun, davon erzählt das Beispiel Stuttgart. Die schwäbische Landeshauptstadt, geprägt vom satten Nebeneinander einer erfolgreichen Großindustrie und einer über Berg und Tal hin verstreuten Stadtlandschaft, in der gewohnt wird, war bisher nicht für städtebauliche Innovationen bekannt. Jetzt engagiert sich die Planung für experimentelle Raumkonzepte, die eine eng verzahnte Nähe von Arbeit, digitaler Produktion und Wohnen ausprobieren – selbst die Garage für den Technotüftler, eine Art Fetisch der Start-up-Unternehmen, soll künftig gezielt gefördert werden.
Das Konzept einer „Produktiven Stadt“, in der Wohnen, Gewerbe, Industrie und Freizeit enger als bisher verwoben werden, hält auch eine Antwort bereit, wie sich die Idee der europäischen Stadt, die unter den Herausforderungen Migration, Jugendarbeitslosigkeit und segregierte Quartiere ächzt, erneuert. Der Brüsseler Stadtbaumeister Kristiaan Borret zum Beispiel entwickelt mit konkreten stadträumlichen und architektonischen Konzepten Pilotprojekte für die städtebauliche Transformation, die den sozialen Graben längs des Schifffahrtskanals in der Stadt überspringen helfen. Er und viele andere werden am 1. und 2. Dezember zu Gast in Berlin sein beim großen Bauwelt-Kongress zum Thema, zu dem wir an dieser Stelle schon herzlich einladen.
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