Der Berg kreiste – und gebar einen Würfel. Einen Teleskopwürfel!
Wie sieht das Gedächtnis unserer Gesellschaft aus? Die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig benötigt neue Archivflächen und lobte für den 5. Erweiterungsbau einen Wettbewerb aus. Das Ergebnis vermag nicht vollends zu begeistern.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Der Berg kreiste – und gebar einen Würfel. Einen Teleskopwürfel!
Wie sieht das Gedächtnis unserer Gesellschaft aus? Die Deutsche Nationalbibliothek in Leipzig benötigt neue Archivflächen und lobte für den 5. Erweiterungsbau einen Wettbewerb aus. Das Ergebnis vermag nicht vollends zu begeistern.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Auf eine Entwicklung von mehr als hundert Jahren blickt die Deutsche Nationalbibliothek am Deutschen Platz 1 in Leipzig zurück. 1913 gegründet und mit einem repräsentativen Standort an der Achse vom Neuen Rathaus zum Messegelände versehen, wurde die Institution von nationaler Bedeutung seit dem 1916 fertiggestellten Ursprungsbau vom Architekten Oskar Pusch mehrfach erweitert. Der Wandel von Bauauffassung und -qualität lässt sich an den Erweiterungen von 1934–36, 1959–63, 1976–81 und 2007–11 ablesen: Folgten die ersten Erweiterungen noch dem ursprünglichen Konzept, ging der 55 Meter hohe Magazinturm räumlich wie architektonisch auf Abstand, während die letzte Vergrößerung zwar wieder an den Altbau anschloss und sogar um Raumbildung bemüht war, formal aber ebenfalls auf Distanz blieb und in ihrer modischen Attitüde schon zur Fertigstellung fragwürdig erschien, heute aber völlig aus der Zeit gefallen wirkt. Nun steht abermals eine Erweiterung bevor, und zwar, wie 1976, um Archivflächen.
Die Fläche für den Neubau schließt im Südosten, rechts der Hauptfassade, an und erstreckt sich entlang der Curie- bis zur Philipp-Rosenthal-Straße. Oskar Pusch hatte hier bereits eine Erweiterung vorgesehen; sein Anbau legte sich mit einer geschwungenen Fassade entlang der Querstraße bis zu einem achtgeschossigen, von einem gewaltigen Walmdach bekrönten Rasterfassadenbau an der Rosenthal-Straße. Auf Derartiges war nun nicht zu hoffen: Die Auslobung untersagte Öffnungen für das Magazin, was eine formale Verwandschaft mit dem DDR-Archiv-Turm erwarten ließ. Eine weitere Höhendominante aber untersagte die Auslobung ebenso: Die Traufhöhe des Altbaus sollte aufgegriffen, seine Firsthöhe nicht überschritten werden.
Diese Erwartung befriedigt das Ergebnis des im September entschiedenen Wettbewerbs (Vorsitz: Jörg Springer, Berlin) zu vollster Zufriedenheit. Der prämierte Entwurf vom Dresdner Büro Code Unique ist eine Art ausgezogener Teleskopwürfel, der sich in Höhe und Breite staffelt und auf maximale Abstraktion zielt: Er hat kein Oben und kein Unten, kein Vorne und kein Hinten; man könnte das Modell auch hochkant stellen. Auch die vorgeschlagene Ziegelhaut lässt keine Gestaltungsabsicht erkennen, wie sie sich mit dem Baustoff ja mühelos entwickeln lässt, sei es mit Mustern in der Fläche oder einer Reliefierung: Es herrscht eine totale Sprachlosigkeit, die im Kontext „Literatur“ befremdet. Man verweise nicht auf die Anforderung, das Archiv vor Tageslicht zu schützen – die Architekturgeschichte bietet genügend Beispiele, wie auch geschlossene Wände gestaltet werden können.
Zum Altbau wahrt der Entwurf Abstand, eine Brücke aber bindet ihn in funktional optimaler Position an den Altbau an. „Die extrem zurückhaltende, komplett geschlossene Ziegelfassade, die in ihrer Flächigkeit keinen Zweifel an der Funktion des Archivs aufkommen lässt, stellt keinerlei Konkurrenz zum Gründungsbau dar“, zeigt sich das Juryprotokoll erleichtert. Ein Scheitern an der eigenen Ambition, wie es Architektin Glöckler mit dem vorigen Anbau widerfuhr, ist mit diesem Projekt auszuschließen.
Nicht offener Realisierungswettbewerb
1. Preis (32.000 Euro) CODE UNIQUE Architekten, Dresden
2. Preis (20.000 Euro) AV1 Architekten, Kaiserslautern
3. Preis (12.000 Euro) Heinle Wischer Partnerschaft freier Architekten, Dresden
1. Anerkennung (10.000 Euro) Waechter + Waechter Architekten, Darmstadt
2. Anerkennung (6000 Euro) Scheidt Kasprusch Architekten, Berlin
1. Preis (32.000 Euro) CODE UNIQUE Architekten, Dresden
2. Preis (20.000 Euro) AV1 Architekten, Kaiserslautern
3. Preis (12.000 Euro) Heinle Wischer Partnerschaft freier Architekten, Dresden
1. Anerkennung (10.000 Euro) Waechter + Waechter Architekten, Darmstadt
2. Anerkennung (6000 Euro) Scheidt Kasprusch Architekten, Berlin
Ausloberin
Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt, vertreten durchSächsisches Staatsministerium der Finanzen, Staats-
betrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement – SIB, Leipzig
Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt, vertreten durchSächsisches Staatsministerium der Finanzen, Staats-
betrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement – SIB, Leipzig
Fachpreisjury
Dorothea Becker, Canan Rohde-Can, Eike Roswag-Klinge, Jörg Springer (Vorsitz), Matthias Vollmer, Architekt, Brigitta Ziegenbein
Dorothea Becker, Canan Rohde-Can, Eike Roswag-Klinge, Jörg Springer (Vorsitz), Matthias Vollmer, Architekt, Brigitta Ziegenbein
Koordination
Büro für urbane Projekte, Leipzig
Büro für urbane Projekte, Leipzig
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