Museum Friedland
Gegenwart und Vergangenheit: Parallel zum aktuellen Aufnahmebetrieb wird im Bahnhof Friedland ein Museum zu Flucht, Vertreibung, Migration und Integration eingerichtet
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Museum Friedland
Gegenwart und Vergangenheit: Parallel zum aktuellen Aufnahmebetrieb wird im Bahnhof Friedland ein Museum zu Flucht, Vertreibung, Migration und Integration eingerichtet
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Das Thema Migration, wirtschaftlich, religiös oder politisch motiviert, ist in Deutschland bislang unter dem Aspekt eines Massenexodus, etwa nach Nord- und Südamerika, museal kanonisiert. Den Auswandererschicksalen widmen sich Themenhäuser in Bremerhaven oder Hamburg.
Flucht und Vertreibung mit Ende des Zweiten Weltkrieges indes boten jahrzehntelang Anlass zu kontroverser Diskussion. Rund 12,5 Millionen Deutsche aus dem vormaligen Osten des Deutschen Reiches und Siedlungsgebieten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa sahen sich gezwungen, in West- und Ostdeutschland eine neue Heimat zu finden.
Museum an historischem Ort
Ein Ort symbolischer Bedeutung des Neubeginns wie auch des verlustreichen Abschieds wurde das Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen. Ein intakter Gleisanschluss und die Lage im Dreiländereck von britischer, sowjetischer und amerikanischer Besatzungszone begünstigten im September 1945 seine Einrichtung durch die britische Besatzungsmacht. Bis Ende 1945 durchliefen eine halbe Million Deutsche das Lager. Ab den fünfziger Jahren fanden dann auch internationale Flüchtlinge hier ihre Erstaufnahme, so aus Ungarn, später der Tschechoslowakei oder Chile, Boatpeople kamen aus Vietnam, jüdische Zuwanderer und Spätaussiedler aus der UdSSR. Allein bis 2005 wurde Friedland für über 4 Millionen Menschen das gern so titulierte Tor zur Freiheit, seit 2011 ist das Lager einer von drei Standorten der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen. Derzeit werden rund 2500 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea betreut – fast doppelt so viel Menschen, wie der kleine Ort Einwohner zählt.
Im Oktober 2006 beauftragten alle Landtagsfraktionen die Niedersächsische Landesregierung, parallel zum Aufnahmebetrieb ein zeitgeschichtliches Museum zu Flucht, Vertreibung, Migration und Integration am historischen Ort in Friedland zu konzipieren und in Einbeziehung geschichtsrelevanter Gebäude umzusetzen. Das Museum wird das erste seiner Art in Deutschland sein. Projekt und Kosten – rund 20 Millionen Euro, die Hälfte davon trägt der Bund – konkretisierten sich bis 2010. Die Federführung liegt seitdem beim Innenministerium, das Team der Exponauten aus Berlin, Katrin Pieper und Joachim Baur, ist für die inhaltlich wissenschaftliche Konzipierung verantwortlich.
Als initiativer Realisierungsabschnitt wird bis März 2016 eine Dauerausstellung in dem ab 2014 nach Plänen von Kleineberg Architekten, Braunschweig, denkmalgerecht ertüchtigten Bahnhof Friedland eingerichtet. Seine kleine, pittoresk komponierte Gebäudegruppe wurde 1890 als Massivbau in roten Klinkern mit Werksteinelementen erbaut, akzentuiert von einem Treppen- und Uhrenturm unter steilem Dachhelm. Der ehemalige Güterschuppen dient zukünftig als Eingangsbereich des Museums, ein notwendiges Treppen- und Aufzugselement ist als zeichenhafte Gangway zur Gleisseite in den Bestand eingefügt. Fundamente wurden verstärkt, Unterkellerungen für Nebennutzflächen vertieft. Gebäudefeste Ausstattungsstücke wie Fliesenboden und Zierdecken aber auch Luftschutzeinrichtungen aus dem Zweiten Weltkrieg im ausgebauten Keller werden als Exponate in situ zugänglich gemacht. Auf 400 m2 Ausstellungsfläche zeigt ein chronologisch angelegter Rundgang in sieben Kapiteln die Entwicklung des Grenzdurchgangslagers von 1945 bis heute, die Ausstellungsgestaltung liefern Ursula Gillmann, atelier gillmann+co, und Matthias Schnegg,
groenlandbasel.
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Vom Bahnhof aus wird ein landschaftsarchitektonisch gestalteter Museumspfad über das östliche Gelände des Grenzdurchgangslagers Friedland zu weiteren historischen Bauten und Denkmalen führen: einer Nissenhütte, der evangelischen Lagerkapelle, der katholischen St. Norbert-Kirche und der Friedland-Glocke.
Im zweiten Realisierungsabschnitt soll in den nächsten drei Jahren der Neubau eines Besucher-, Medien- und Dokumentationszentrums, unter anderem mit Videoporträts von Zeitzeugen, auf ca. 1700 m² Nutzfläche folgen, als dritter ist eine Jugendbegegnungs- und Forschungsstätte geplant. Das Museum wird außerschulischer Lernort und außeruniversitäre Forschungseinrichtung.
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