Bauwelt

Kairo: Neue Verwaltungshauptstadt

Ägypten errichtet sich eine neue Hauptstadt in der Wüste. Über die Machenschaften hinter dem gigantischen Projekt, an dem auch deutsche Firmen verdienen, wurde im Juni diesen Jahres unter einem Pseudonym ein umfassender Bericht veröffentlicht. Unterstützung bei der Recherche erhielt die Autorin von der in Washington ansässigen Non-Profit-Organisation Project on Middle East Democracy.

Text: Taweel, Sarah

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Eine Mobilfunkantenne als künstliche Palme. Dahinter entsteht eine neue Wohn- anlage in Ägyptens neuer Verwaltungshauptstadt NAC.
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    Eine Mobilfunkantenne als künstliche Palme. Dahinter entsteht eine neue Wohn- anlage in Ägyptens neuer Verwaltungshauptstadt NAC.

    Foto: Nick Hannes

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Werbetafel mit Präsident ­al-Sisi an einem Kreisverkehr in NAC; im Hintergrund die Türme eines Wohnviertels.
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    Werbetafel mit Präsident ­al-Sisi an einem Kreisverkehr in NAC; im Hintergrund die Türme eines Wohnviertels.

    Foto: Nick Hannes

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Ein Arbeiter in der Nähe des neuen zentralen Geschäftsviertels
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    Ein Arbeiter in der Nähe des neuen zentralen Geschäftsviertels

    Foto: Nick Hannes

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Arbeiter füllen die Fugen zwischen den Fliesen am neu errichteten Arc de Triomphe in Ägyptens neuer Verwaltungshauptstadt.
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    Arbeiter füllen die Fugen zwischen den Fliesen am neu errichteten Arc de Triomphe in Ägyptens neuer Verwaltungshauptstadt.

    Foto: Nick Hannes

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Imbissstand in der Nähe der neu erbauten Kathedrale „Cathedral of the Nativity of Christ“.
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    Imbissstand in der Nähe der neu erbauten Kathedrale „Cathedral of the Nativity of Christ“.

    Foto: Nick Hannes

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Arbeiter kommen auf dem Heimweg an der neu errichteten Misr-Moschee vorbei.
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    Arbeiter kommen auf dem Heimweg an der neu errichteten Misr-Moschee vorbei.

    Foto: Nick Hannes

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Die Infrastruktur wurde weitgehend fertiggestellt.
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    Die Infrastruktur wurde weitgehend fertiggestellt.

    Foto: Nick Hannes

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Ein junger Arbeiter platziert Gehwegplatten auf einem Platz im dritten Wohnviertel (R3).
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    Ein junger Arbeiter platziert Gehwegplatten auf einem Platz im dritten Wohnviertel (R3).

    Foto: Nick Hannes

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Wanderarbeiter aus dem Südsudan vor den Türmen des Central Business Distric, ...
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    Wanderarbeiter aus dem Südsudan vor den Türmen des Central Business Distric, ...

    Foto: Nick Hannes

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    ... das sich derzeit im Bau befindet.
    Foto: Nick Hannes

    • Social Media Items Social Media Items
    ... das sich derzeit im Bau befindet.

    Foto: Nick Hannes

Kairo: Neue Verwaltungshauptstadt

Ägypten errichtet sich eine neue Hauptstadt in der Wüste. Über die Machenschaften hinter dem gigantischen Projekt, an dem auch deutsche Firmen verdienen, wurde im Juni diesen Jahres unter einem Pseudonym ein umfassender Bericht veröffentlicht. Unterstützung bei der Recherche erhielt die Autorin von der in Washington ansässigen Non-Profit-Organisation Project on Middle East Democracy.

Text: Taweel, Sarah

Im März 2015 begutachteten drei Männer in Sharm el Sheikh das Modell eines Jahrhundertprojekts: der emiratische Immobilienmogul Mohammed Alabbar, der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi und der Premierminister der Emirate Mohammed bin Rashid al-Maktoum. Alabbar hatte Anfang des Jahres einen Immobilien-Investmentfonds, Capital City Partners, gegründet, um außerhalb von Kairo siebenhundert Quadratkilometer Wüstenland zu erschließen – ein Grundstück „von der Größe Singapurs“, wie ägyptische Beamte nicht müde werden zu wiederholen. Erwartet wurde, dass Maktoums Vereinigte Arabische Emirate zusammen mit Verbündeten am Persischen Golf die Mittel bereitstellen würden. Das gewaltige Unterfangen sollte in wenigen Jahren rund sieben Millionen Einwohnern Platz bieten, die Überlastung Kairos verringern und Ägypten ein glänzendes neues Gesicht geben, das es der Welt präsentieren könnte. Die Rede war von nicht weni-ger als einem neuen Kairo, genannt New Administrative Capital, kurz NAC.
Heute, acht Jahre nach dem aufsehenerregenden Debüt der Miniatur-Modellstadt, ist der Großteil des Projekts eine trostlose Baustelle. Die neue Verwaltungshauptstadt Ägyptens ist das sehr teure Juwel in al-Sisis Krone etlicher Megaprojekte. Es ist das größte seiner nationalen Unternehmungen, die – wie die meisten anderen – von den Streitkräften angeführt werden, deren wirtschaftliche Rolle unter seiner Herrschaft dramatisch zugenommen hat. Wer aber zahlt für all die großen Vorhaben? Trotz al-Sisis Beharren darauf, dass „der Staat keinen Cent“ für die neue Hauptstadt ausgeben werden, stammen die meisten der Zigmilliarden Dollar tatsächlich aus der öffentlichen Hand. Sei es in Form von Staatsschulden, dem Verkauf von staatseigenem Land (oft zurück an den Staat), direkten Haushaltszuweisungen, Krediten, die von der ägyptischen Zentralbank subventioniert werden, seien es andere kreative Wege, um öffentliche Mittel für das Projekt umzuleiten.
2013 war al-Sisi nach einem blutigen Putsch und Sturz der demokratisch gewählten Regierung der Muslimbruderschaft an die Macht gekommen. Um seine „Neue Republik“ aufzubauen, forderte er einen entsprechenden Sitz. Das in Chicago ansässige Stadtplanungs- und Architekturbüro Skidmore, Owings & Merrill, das für Mohammed Alabbar auch den Burj Khalifa in Dubai entworfen hatte, wurde beauftragt, den Masterplan für eine neue Hauptstadt zu entwickeln. Animierte Renderings verwandelten ein Sandgrundstück fünfzig Kilometer östlich von Kairo in üppiges Grün, gehobene Villen und glitzernde Wolkenkratzer. Nach der Konferenz von Sharm el Sheikh bezeichneten Nachrichtenagenturen weltweit die NAC als ein 45-Milliarden-Dollar-Projekt. Diese Schätzung, die ihrerseits durch unklare Berechnungen zustande kam, bezog sich jedoch auf die erste Phase der neuen Hauptstadt, die nur 25.000 Feddan umfassen sollte und später auf 40.000 Feddan erweitert wurde (ein Feddan entspricht in etwa einem halben Hektar). Phase eins, deren Bau Anfang 2016 begann, sollte in fünf bis sieben Jahren abgeschlossen sein, mit Hauptkomponenten wie dem Regierungsviertel, dem zentralen Geschäftsviertel, dem Diplomatenviertel, der „Knowledge City“ (oder Ägyptens Silicon Valley), einem riesigen zentralen Park (dem „Green River“) und acht Wohnvierteln, die R1 bis R8 („für alle Schichten des ägyptischen Volkes“) genannt werden. Unternehmer Alabbar schätzte die Gesamtkosten auf 300 Milliarden US-Dollar. Dieser Text fokussiert sich auf die erste Phase der NAC (die 40.000 Feddan, die sich derzeit im Bau befinden). Die 130.000 Feddan, die im Rahmen der geplanten Phasen zwei und drei erschlossen werden sollen – plus weitere 45.500 Feddan, die dem Projekt im Juni 2022 für diese späteren Phasen zugewiesen wurden – sind und bleiben wohl noch länger unberührtes Wüstenland.
Wiederkehrende Träume
Die neue Verwaltungshauptstadt ist keine neue Idee. Vorgänger al-Sisis versuchten sich an ähnlichen Plänen und scheiterten. Präsident Anwar al-Sadat zum Beispiel schuf in den 1970er Jahren El Sadat City, ein früher Versuch, der Republik eine neue Verwaltungshauptstadt zu geben. Mehr als vierzig Jahre später dominiert immer noch Sand diese Siedlung – sie ist teils ländlich, teils industriell, aber keine Hauptstadt.
Trotz der schlechten Erfolgsbilanz ägyptischer Megaprojekte verlangte al-Sisi, dass die NAC in Rekordzeit, am besten gestern, gebaut werden solle. Die präsidiale Besessenheit von Superlativen – der „höchste Turm Afrikas“, der „größte Gelddrucker im Nahen Osten“, der „höchste Fahnenmast der Welt“ – macht es schwer, den psychologischen Rahmen zu ignorieren, der die Idee einer neuen Hauptstadt antreibt. Wie viele Berichte und Analysen des NAC-Projekts belegen, entstammt der Wunsch, den Regierungssitz in die Wüste zu verlegen, zweifellos dem Bedürfnis nach eigener Sicherheit. Die Tatsache, dass das Epizentrum der Volksrevolte im Januar 2011 gegen den damaligen Präsidenten Hosni Mubarak der Tahrir-Platz in der Innenstadt von Kairo war, hat sich in das Gedächtnis des Präsidenten und seiner Regierung eingebrannt. Sie wollen, dass sich die ägyptischen Bürgerinnen und Bürger nie wieder so nahe am Sitz der Macht massenhaft gegen das Regime versammeln können. Aber ein noch wichtigerer Treiber ist in al-Sisis Psychologie zu finden, in der sich Größenwahn mit einem nationalistisch ausgerichteten Napoleon-Komplex vermengen. Auf der ägyptischen Jugendkonferenz 2019, einer staatlich geförderten Versammlung regimetreuer Ägypter, erklärte al-Sisi: „Ich baue in der neuen Hauptstadt einen Staat auf, den die ganze Welt bemerken wird. Ist Ägypten etwa unwürdig? Ich baue eine Kunst- und Kulturstadt – sie wird die größte der Welt.“ Ein Herzstück dieser Kunst- und Kulturstadt ist ein weitläufiges Museum, das den Hauptstädten Ägyptens gewidmet ist und in dem al-Sisi zusammen mit Alexander dem Großen und Pharao Menes, dem ersten Einiger des ägyptischen Königreichs, für ihr außergewöhnliches Vermächtnis gedacht wird.
Sich eine neue Hauptstadt zu wünschen, ist das eine, sie umzusetzen das andere. Während al-Sisi sich eine futuristische, Dubai-artige Stadt in der ägyptischen Wüste vorstellte, hat die Tatsache, dass das Militär den größten Teil des Projekts entwickelt, zu einer entschieden anderen Ästhetik geführt. Selbst die Wohnviertel, die für die obere Mittelschicht vermarktet (und bepreist) werden, ähneln den vom Militär im ganzen Land beaufsichtigten Sozialwohnungsbauprojekten. Und auch die gehobenen Hotels und Kulturzentren, die von den Streitkräften verwaltet werden, tragen den unverkennbaren ägyptischen Militärtouch – eine Art Rokoko trifft auf die 1980er Jahre, gelegentlich mit einer Anspielung auf islamische und pharaonische Motive, und eine beigefarbene Farbpalette dominiert.
Wer baut die Hauptstadt, wer profitiert?
Im April 2016 gründete das Regime eine Aktiengesellschaft, die Gesellschaftder „Verwaltungshauptstadt für Stadtentwicklung“ (Administrative Capi-tal for Urban Development, ACUD), um geplante Multimilliarden-Dollar-Geschäfte mit China zu verwalten. Seitdem fungiert die ACUD als Hauptentwickler der neuen Hauptstadt. Die Gesellschaft befindet sich zu 51 Prozent im Besitz des ägyptischen Verteidigungsministeriums und zu 49 Prozent des Wohnungsbauministeriums, genauer im Besitz der New Urban Communities Authority (NUCA). Das Mandat der ACUD umfasst die Verwaltung von Grundstücksverkäufen und deren Gewinnen, die Vergabe von Aufträgen an Bau-, Technologie- und Dienstleistungsunternehmen sowie die Beaufsichtigung von Subentwicklern.
Den Weg für das Hauptstadtprojekt ebneten zwei Präsidialdekrete. Das erste Dekret verlieh der Behörde Armed Forces Land Projects Agency (AFLPA) das Recht, mit anderen nationalen und internationalen Akteuren Aktiengesellschaften zu gründen, was ihre Gewinnmöglichkeiten erheblich erweiterte. Das zweite Dekret stellte der Agentur AFLPA eine Fläche von 170.000 Feddan für den Bau der neuen Hauptstadt zur Verfügung. Der Umstand, dass sich die überwiegende Mehrheit des Landes in staatlichem Besitz befindet, ist seit langem eine Quelle von Reichtum und Macht für die Präsidenten und Regierungskoalitionen des Landes. Al-Sisi tritt in die Fußstapfen seiner Vorgänger und verteilt das öffentliche Gut politisch motiviert, um sein eigenes Regime zu stärken.
Der ursprüngliche Plan lautete, im Idealfall einen einzigen emiratischen Immobilienmagnaten an die Spitze der Entwicklung zu setzen, womit eine 100-prozentige externe Finanzierung erreicht worden wäre. Plan B bestanddarin, sich auf Chinas Regierung und ihre Baufreudigkeit im Ausland zu verlassen. Doch beide Akteure – der emiratische Investor Alabaar und die chinesische Regierung – zogen sich aus dem Vorhaben zurück. Die Verantwortung für die Entwicklung der neuen Hauptstadt wird seitdem zwischen den beiden Eigentümern der Gesellschaft ACUD, der NUCA und dem Verteidigungsministerium, aufgeteilt. Die NUCA entwickelt den Central Business District, den Green River, zwei Wohnbezirke (R3 und R5) sowie die meisten Straßen und Versorgungseinrichtungen, einschließlich Was-ser, Strom und Abwasser. Diese Arbeit erforderte enorme Ausgaben der zivilen Regierungsbehörde – Geld, das sie aus ihrem wachsenden Budget und ihrer wachsenden Verschuldung bezieht.
Derweil ist das Verteidigungsministerium verantwortlich für die Überwachung des Baus des Regierungsviertels, des Diplomatenviertels, der Wissensstadt, der Kunst- und Kulturstadt, der Sportstadt, der Olympischen Stadt, der übrigen Straßen und Versorgungseinrichtungen, die nicht von der NUCA fertiggestellt wurden, under vier Wohnbezirke (R1, R2, R4 und R6). Im Gegensatz zur zivilen NUCA wird die Ingenieurbehörde für ihre Arbeit bei der Überwachung von Projekten in der NAC bezahlt (durch Verwaltungsgebühren), während die Finanzierung in der Regel von anderswo kommt – oft von anderen Ministerien. Die Hauptentwickler, unteranderem die NUCA, beauftragen wiederum Dutzende Firmen mit dem eigentlichen Bau der verschiedenen Bezirke. Sie vergeben Projekte direkt, ohne Ausschreibung, mit wenig bis gar keiner Transparenz und oft an langjährige Partner des Militärs. Viele dieser Auftragnehmerinnen haben Tochtergesellschaften, um Baumaterial zu liefern, oder sie kaufen anderweitig von Versorgungsunternehmen ein, die langjährige Verbindungen zum Militär haben. Kleinere Immobilienentwickler, Unternehmen des öffentlichen Sektors und eine obskure Behörde, die von pensionierten Militärgenerälen des Ministeriums für Wohnungsbau geleitet wird – die General Authority of Construction and Housing Cooperatives – kaufen Land von der ACUD und bauen die meisten Wohnviertel R7 und R8 sowie das benachbarte Investorengebiet.
Ausländische Beteiligung – auch aus Deutschland
Weitere Firmen, die von der NAC profitieren, sind neben in der Golfregion ansässige Auftragnehmern auch westliche Unternehmen. Die meisten High-End-Immobilienentwicklerinnen am Golf haben sich vom Projekt ferngehalten. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sind mit der wachsenden wirtschaftlichen Rolle des Militärs nicht zufrieden. Ägyptens Militärakteure verlangen in der Regel übermäßige Kürzungen bei Gewinnbeteiligungsvereinbarungen und stehen oft über dem Gesetz – was zu weniger idealen Partnern führt. Die mit Abstand größte westliche Partnerin stammt aus Deutschland: Siemens. Der Anteil des Konzerns am Gas- und Dampfturbinenkraftwerk der neuen Hauptstadt machte den größten Teil des 2,34-Milliarden-Dollar-Deals aus, gefolgt von weiteren 352 Millionen US-Dollar für die Verwaltung und den Betrieb des Kraftwerks. Siemens unterzeichnete außerdem einen Vertrag über drei Milliarden US-Dollar für den Bau eines Hochgeschwindigkeitszugs, der die Hauptstadt mit dem Roten Meer und dem Mittelmeer verbinden soll. Ein „kleinerer“ Vertragüber 53,61 Millionen US-Dollar erteilt Siemens den Auftrag zum Bau des National Energy Control Center, eines Kontrollzentrums für Stromnetze zur Verwaltung von Übertragungsnetzen und Kraftwerken im ganzen Land. Andere Verträge des Konzerns sind in Arbeit, darunter einer zur Lieferung von Stromsystemen für den Iconic Tower.
Das US-Unternehmen Mastercard unterzeichnete eine 10-jährige strategische Partnerschaft, um die neue Hauptstadt zur „ersten Stadt der Welt, in der kein Bargeld zirkuliert“ zu machen. Nach den ursprünglichen Plänen wird jeder Einwohner und jede Einwohnerin der NAC verpflichtet sein, eine Mastercard-Smartcard für elektronische Zahlungen zu verwenden. Ironischerweise wird diese bargeldlose Stadt auch „die größte Gelddruckerei im Nahen Osten“ beherbergen, deren Technologie und Infrastruktur von der deutschen Firma Giesecke+Devrient im Rahmen eines 260- Millionen-Euro-Vertrags mit der ägyptischen Zentralbank zur Verfügung gestellt wird. Bemerkenswert ist, dass das amerikanische Verteidigungs- und Technologieunternehmen Honeywell im Jahr 2019 einen Vertrag mit der Entwicklungsgesellschaft ACUD im Wert von mindestens 65 Millionen US-Dollar unterzeichnete, um ein Überwachungssystem und das integrierte Kommando- und Kontrollzentrum einzurichten. Alle Aktivitäten in der neuen Hauptstadt sollen hier verfolgt werden können, unter anderem durch Live-Videoübertragungen von 6000 Kameras.
Was wurde erreicht?
Ursprünglich sollten Ministerien und andere staatliche Institutionen ab 2018 in die neue Hauptstadt umziehen. 2018 wurde dies auf „Mitte 2019“ und dann immer und immer weiter verschoben. Im März 2023 leitete die Regierung schließlich die erste Phase der Versetzung einiger Ministeriumsmit-arbeiter an ihre neuen Arbeitsplätze in der NAC ein, wobei die zweite Phase bis „Mitte 2023“ abgeschlossen sein soll. Natürlich wurde COVID-19 für die Verzögerungen verantwortlich gemacht. Auf die Frage im Jahr 2021 – zwei Jahre nach dem versprochenen Fertigstellungstermin – angesprochen, sagte ACUD-Sprecher Brigadier Husseini, er erwarte nicht, dass die erste Phase vor 2025 abgeschlossen sein werde, und erst dann werde die Arbeit an den beiden folgenden Phasen beginnen. Als ich die neue Hauptstadt im Mai 2023 besuchte, waren die Innenstadt und einer der Wohn-bezirk R4 nicht von der leeren Wüste zu unterscheiden. Die Medical City hatte ein Krankenhaus; das Wohnquartier R8 war größtenteils leer; nur wenige Bauten in R7 waren über das Stadium von Betonskeletten hinausgekommen. Das Diplomatenviertel hatte kaum mehr als eine Reihe unscheinbarer Musterbotschaften. Und der „Grüne Fluss“ sah eher wie ein ausgedörrtes Wüstental aus, mit kleinen Flecken braunen Grases, einigen Reihen von Setzlingen und kilometerlangem Sand.
Sogar der Central Business District – bestehend aus zwanzig Türmen –, der von China finanziert und gebaut wird, hat seinen Fertigstellungster-min überschritten. Dies hielt die Regierung jedoch nicht davon ab, im Mai 2022 eine „Fertigstellungsfeier“ auf dem Gelände zu veranstalten. Andere große Teile der neuen Hauptstadt wurden auf unbestimmte Zeit verschoben – wie der Themenpark, der 6,5 mal so groß wie Disneyland werden, und die Expo City, die mit Dubais „zukunftszentrierter Mini-City“ konkurrieren soll, in der 2021/22 die Weltausstellung stattfand.
Überangebot an teuren Wohnungen
Bei der Enthüllung des NAC-Projekts im März 2015 erklärte der damalige Bauminister Mustafa Madbouly der Menge: „Wir wollten einen Ort schaffen, der alle Schichten der ägyptischen Gesellschaft zusammenbringt, angefangen bei der Jugend über die Gering- und Mittelverdiener bis hin zu den Aufwärtsverdienern.“ Aber die wirtschaftlichen Interessen der ACUD in der neuen Hauptstadt haben frühe Pläne für die Stadt, erschwinglichen Wohnraum für alle zu schaffen, so gut wie zunichte gemacht. Das vom Militär geführte Unternehmen ACUD, das den größten Teil seiner Gewinne aus Landverkäufen bezieht, verkauft lieber an den Meistbietenden. Soziale Wohnungsbauprojekte wurden nach außerhalb der neuen Hauptstadtgrenzen verdrängt. Das Durchschnittsgehalt der Ägypter und Ägypterinnen liegt bei sechstausend EGP pro Monat (umgerechnet 180 Euro); Durchschnittsverdiener würden mehr als 64 Jahre brauchen, um die billigste Wohnungsoption zu bezahlen – vorausgesetzt, die Hälfte ihres Gehalts wurde für die Ratenzahlung verwendet. Diese Preise reichen aus, um die wiederholten Behauptungen von offizieller Seite zu diskreditieren, dass die NAC dazu gedacht sei, den Bevölkerungsdruck auf Kairo zu verringern. Nur wenige der rund zwanzig Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Kairos könnten überhaupt davon träumen, in der neuen Hauptstadt zu kaufen. Und nur wenige, die das Geld haben, träumen davon – was die Frage aufwirft: Wer wird dort eigentlich leben? Die Antwort: weit weniger als die geschätzten 1,5 Millionen Menschen, die die in Phase 1 fertiggestellten Gebiete bevölkern sollen (ganz zu schweigen von den sechs bis sieben Millionen Menschen der anvisierten Gesamtstadt). Die Pläne für die erste Phase sehen die Fertigstellung von 240.000 Wohnungen bis 2023 vor. Schon bevor die Flut neuer, als Kapitalanlagen konzipierten Wohnungen auf den Markt strömte,litt Ägypten unter einem Überangebot an unbezahlbarem Wohnraum.
Auf der Titelseite der Ausgabe der staatlichen Zeitung Al-Gomhuria vom 15. Juli 2021 warnte die ACUD, dass „die Reservierung einer Immobilieneinheit eine bilaterale Beziehung zwischen dem Bürger und dem Bauträgern ist und die ACUD dabei keine Rolle spielt“, und fügte hinzu, dass „der Immobilienmarkt in der neuen Hauptstadt für alle offen ist“. Die Ankündigung erfolgte als Reaktion auf den Ausfall mehrerer NAC-Entwickler, die bereits Anzahlungen und Raten von Kundinnen akzeptiert hatten. Die Käufer wollten ihr Geld zurück – doch die ACUD wollte nichts damit zu tun haben.
Das am weitesten verbreitete Finanzierungsmodell im ägyptischen Immobiliensektor ist das „Off-Plan“-Modell. Bei dieser Vereinbarung leisten Käufer Anzahlungen auf noch zu bauende Einheiten mit einer Vereinbarung zur Ratenzahlung. Die Entwicklerinnen verwenden dieses Vorabgeld, um mit dem Bau zu beginnen. Aber wie bei einem klassischen Schneeballsystem werden die Entwickler, wenn es ihnen nicht gelingt, neue Investoren zu gewinnen, nicht in der Lage sein, früheren Investoren Renditen (in diesem Fall Häuser) zu liefern. Ohne neue Geldzuflüsse, kommt es zu Baustopps, und das Projekt muss aufgegeben werden. Das ist in Ägypten in den letzten Jahrzehnten immer wieder geschehen. Überreste gescheiter-ter Entwicklungsprojekte gibt es über das ganze Land verstreut – staubverkrustete schier endlose Betonskelette entlang der Wüstenstraßen. Die Bedingungen in der neuen Hauptstadt deuten darauf hin, dass das Risiko dieses Ergebnisses dort noch höher ist als anderswo.
Das bedeutet, dass das Projekt als Ganzes zweifellos einen Nettoverlust verursachen wird, die NAC jedoch für wichtige Akteure Ägyptens äußerst lukrativ war. Viele Milliarden Dollar an öffentlichen Ausgaben machen den Aufbau der neuen Hauptstadt möglich. Diese Vereinbarung lenkt Kapital von anderen potenziellen produktiven Aktivitäten ab und belastet die Staatskasse mit Schulden, die die Ägypter und Ägypterinnen über Gene-rationen plagen werden. Währenddessen schicken die neuen Kapitalprojekte Bargeld an al-Sisis wichtigste Patronage-Netzwerke. All dies geschieht ohne Rechenschaftspflicht.
Während demokratische Staaten über die Wirtschaftlichkeit der Ausrichtung der Olympischen Spiele debattieren – denn die Milliarden, die für neue Stadien und Infrastruktur ausgegeben werden, können nur selten durch die Einnahmen wieder hereingeholt werden –, baut al-Sisi eine gan-ze Olympic City in der neuen Hauptstadt, bevor er überhaupt weiß, ob Ägypten als Austragungsort der Spiele ausgewählt wird. Informationen darüber, welche Firmen Aufträge erhalten und wie viel sie aus staatlichen Mitteln erhalten, sind der Öffentlichkeit nur durch eine bruchstückhafte Berichterstattung zugänglich. Kritik am neuen Hauptstadtprojekt wird unterdrückt oder als Ignoranz abgetan.
Die neue Hauptstadt wird auf Kosten des ägyptischen Volkes gebaut, das gezwungen ist, auf Wesentliches zu verzichten, um den Traum des Autokraten zu verwirklichen. Allerdings bringt die Tatsache, dass die NAC ein „Projekt des Präsidenten“ ist, auch al-Sisi in eine prekäre Lage. Allein die Kosten der Verwaltungshauptstadt sind angesichts der mehr als vierhundert Milliarden US-Dollar an Staatsschulden, die weiter steigen, beängstigend. Hinzu kommen die Kosten der „neuen Sommerhauptstadt“ in New Alamein und die der rund zwanzig anderen neuen „Smart Cities“. Wenn all diese Projekte Unsummen verschlingen, aber nicht erfolgreich realisiert werden, mündet dies in einer Katastrophe für den Präsidenten. Die Hauptstadt von al-Sisis „Neuer Republik“ wird sodann auch die wahre Natur des Unterfangens widerspiegeln: voller Superlative, High-Tech-Überwachung und geordneter Straßen, aber ohne Leben.
Aus dem Englischen von Benedikt Crone

0 Kommentare


loading
x
loading

26.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.