Bauwelt

Subtile Strukturen der Macht

Die raumgreifenden Werke der Künstlerin Kapwani Kiwanga verbinden sich in einer Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg zu einer einmaligen ästhetischen und erkenntnisreichen Erfahrung.

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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    Flowers for Africa, 2012, fortlaufend, Protokolle von der Zusammenstellung und Ausstellung der Blumenarrangements aus Schnittblumen einschließlich der archivarischen Ikonografie als Anleitung für die Rekonstruktion, Ausstellungsansicht
    Goodman Gallery/Galerie Poggi/Galerie Tanja Wagner, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Marc Domage

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    Flowers for Africa, 2012, fortlaufend, Protokolle von der Zusammenstellung und Ausstellung der Blumenarrangements aus Schnittblumen einschließlich der archivarischen Ikonografie als Anleitung für die Rekonstruktion, Ausstellungsansicht

    Goodman Gallery/Galerie Poggi/Galerie Tanja Wagner, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Marc Domage

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    The Marias, 2020, Papierblumen, individuelle Sockel, Farbe, Maße variabel, Leihgabe der IAC Collection
    Goodman Gallery/Galerie Poggi/Galerie Tanja Wagner, Collection Institut d’art contemporain, Villeurbanne/Rhône-Alpes Remai Modern Collection Fondation LUMA Collection © VG Bild-Kunst, Bonn 2023 Foto: Marek Kruszewski_

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    The Marias, 2020, Papierblumen, individuelle Sockel, Farbe, Maße variabel, Leihgabe der IAC Collection

    Goodman Gallery/Galerie Poggi/Galerie Tanja Wagner, Collection Institut d’art contemporain, Villeurbanne/Rhône-Alpes Remai Modern Collection Fondation LUMA Collection © VG Bild-Kunst, Bonn 2023 Foto: Marek Kruszewski_

Subtile Strukturen der Macht

Die raumgreifenden Werke der Künstlerin Kapwani Kiwanga verbinden sich in einer Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg zu einer einmaligen ästhetischen und erkenntnisreichen Erfahrung.

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Kenntnisse über Geschichte und Profession des Pflanzenjägers, englisch Plant Hunter, der nicht erst während des britischen Empire eine weltumspannende, ökologische wie ökonomische Wirkung entfaltete: diese müssten die Besucherinnen und Besucher eigentlich mitbringen, wenn sie sich auf die Ausstellung „Die Länge des Horizonts“ der kanadischen Künst-lerin Kapwani Kiwanga einlassen möchten, die derzeit im Kunstmuseum Wolfsburg gezeigt wird. Denn Kolonisation, vegetabile Migration und
die anhaltenden Folgen für Zivilisation und Natur sind ein zentrales Thema ihrer Präsentation. Gleichwohl möchte Kiwanga nicht in die Schublade allgegenwärtig postkolonialer Diskurse einsortiert werden. Man kann sich allerdings auch einzig auf den Genuss ihrer hochästhetischen Werke beschränken, besonders wenn sie mit Pflanzen operieren. Da wären etwa das eindrucksvolle Portal aus üppigem Laubwerk sowie vier edle Blumenarrangements. Schön anzu-sehen, zweifelsohne. Allerdings will die offene Reihe „Flowers for Africa“ auf historisch bedeutsame Daten des Kontinents hinweisen. Solch ein grüner Bogen etwa schmückte die Feierlichkei-ten zur Unabhängigkeit Rwandas, bis 1916 deutsche Kolonie, später Mandatsgebiet des Völkerbunds und der Vereinten Nationen. Die Blumengestecke wiederum begleiteten ähnliche Festakte: 1961 in Tanganyika, 1962 in Algerien, 1990 in Namibia. Sie sind freie Rekonstruktionen durch eine lokale Floristin, versinnbildlichen einen Moment voller Kraft sowie, in ihrer Vergänglichkeit, die fortwährend zu leistende Anstrengung im Dienste staatlicher Souveränität und Integrität.
Auf den deutschen Pflanzenjäger, Agrarwissenschaftler und Tropenbotaniker Richard Hindorf (1863–1954) geht der Anbau von Sisal in Tansania zurück. Diese Pflanze, eine Agavenart, stammt aus Mexiko, Hindorf brachte sie in den Süden Afrikas, trieb ihre Plantagenbewirtschaftung voran und legte so eine wirtschaftliche Basis der Region. Kiwanga widmet diesem Migrationsphänomen zwei große Stahlgestelle, behängt mit unverarbeitetem Sisal, ähnlich den traditionellen Trocknungsvorrichtungen.
Es gab aber auch die subversive Verschleppung einer Agrarpflanze, darauf verweisen gleich zwei Arbeiten: die Hydrokultur Oryza, zu Deutsch Reis, sowie die minimalistische Bodenarbeit Semence, Saatgut: jeweils sieben in Keramik nachgebildete Reiskörner einer westafrikanischen Sorte sind in exaktem Abstand zu kleinen Gruppen zusammengeschoben. Sklavinnen sollen Reiskörner in den Nordosten Südamerikas eingeschmuggelt haben, versteckt in ihr Haargeflecht. Nachfahren, die Gemeinschaft der Maroons, die sich der Sklaverei in den britischen, französischen und niederländischen Kolonien Amerikas widersetzen konnten, bauen die Reissorte noch immer in Suriname an.
Kapwani Kiwanga, 1978 in der kanadischen Provinz Ontario geboren, hat Anthropologie und Vergleichende Religionswissenschaften in Montreal studiert und arbeitete als Dokumentarfilmerin für das britische Fernsehen, bevor sich in Paris künstlerisch weiterbildete. 2024 wird sie den kanadischen Pavillon auf der 60. Kunst-biennale Venedig bespielen. Die sogenannte „Mid-Career-Retrospektive“ in Wolfsburg, die im Anschluss ins Copenhagen Contemporary gehen wird, gestattet mit 61 Werken aus einer Schaffensphase von 2009 bis 2023 den Einblick in ein sehr weites, wissenschaftlich basiertes künst-lerisches Interessensspektrum zu subtilen Strukturen der Macht. Dazu zählt auch die Disziplinierung durch Architektur, Farbe und Licht. Ein Überwältigungserlebnis bereitet gleich der Zutritt zur Ausstellung: Der 16 Meter lange Lichttunnel „pink-blue“. Er bedient sich sowohl der, durchaus ja angezweifelten, aggressionshemmenden, gar blutdrucksenkenden Wirkung eines intensiven Rosa als auch eines fluoreszierenden Blau, das, in öffentlichen Toiletten oder Unterführungen eingesetzt, Junkies das Finden ihrer Venen erschweren soll. Dies sei eine ihrer autoritativeren Arbeiten, so Kiwanga, die mittels Kunst zu entgrenztem Denken auffordern möchte.

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