Bauwelt

Unmoralische Angebote – im Dschungel des Vergaberechts

Was tun, wenn eine gute Planung an einer schlechten Ausführung scheitert? Wie lassen sich in Zukunft bessere Firmen beauftragen? Unser Autor, einer der drei Partner des Büros Hild und K, schildert aus eigener Erfahrung die Tücken des Vergaberechts, weiß aber auch um seine verkannten Möglichkeiten.

Text: Haber, Matthias, Berlin

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Nicht jede öffentliche Vergabe endet mit Schrecken: Sanierte Fassade des Abgeordnetenhauses Ismaninger Straße (Hild und K, 2013).
Foto: Michael Heinrich

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Nicht jede öffentliche Vergabe endet mit Schrecken: Sanierte Fassade des Abgeordnetenhauses Ismaninger Straße (Hild und K, 2013).

Foto: Michael Heinrich


Unmoralische Angebote – im Dschungel des Vergaberechts

Was tun, wenn eine gute Planung an einer schlechten Ausführung scheitert? Wie lassen sich in Zukunft bessere Firmen beauftragen? Unser Autor, einer der drei Partner des Büros Hild und K, schildert aus eigener Erfahrung die Tücken des Vergaberechts, weiß aber auch um seine verkannten Möglichkeiten.

Text: Haber, Matthias, Berlin

Am Beginn meiner Ausführungen zum Vergaberecht möchte ich Sie zu einer Fantasiereise einladen. Stellen Sie sich vor: Es läuft ein größeres Neubauprojekt für die öffentliche Hand. Die Fassadenarbeiten – es handelt sich um eine vorgehängte Klinkerschale – sind europaweit ausgeschrieben. Daraufhin bewerben sich zwei gleichermaßen hervorragend qualifizierte regionale Unternehmen, der günstigste Anbieter erhält den Auftrag. In unserer Märchenwelt wäre die Geschichte damit schon wieder zu Ende.
In der Realität ist es leider nicht immer so einfach. So soll es vorkommen, dass die zweitplatzierte Firma die Entscheidung anficht. Aus Gründen, die vielleicht nicht auf den ersten Blick einleuchten, denen aber im Sinne eines fairen Wettbewerbs nachzugehen ist. Also macht man sich an die Überprüfung. Die betreffenden Unternehmen sind präqualifiziert, hatten aber dennoch freiwillig Referenzen eingereicht, die bisher nicht eingehend betrachtet wurden. Nun aber stellt sich heraus, dass in beiden Fällen Formfehler vorliegen. Das Verfahren wird gestoppt, die Baustelle steht. Und wenn Bauherrn, Planerinnen und Unternehmer nicht gestorben (oder insolvent gegangen) sind, dann ringen sie noch heute um eine Lösung.
Noch ein fiktives, aber sehr lebensnahes Beispiel: Drei Trockenbaufirmen bewerben sich um einen Auftrag. Zwei von ihnen sehr günstig, die dritte relativ teuer. Leider müssen die günstigen Anbieter – wieder aufgrund von Formfehlern – ausgeschlossen werden. Der dritte erhält den Zuschlag. Erst später, nachdem auch diesem Unternehmen aufgrund eines Lieferverzugs gekündigt wurde, stellt sich heraus, dass die Inhaber aller drei Firmen eng miteinander verwandt sind. Die Vermutung, dass den Erst- und Zweitplazierten ihre Formfehler nicht ganz unabsichtlich unterliefen, drängt sich auf.
Auf der Website des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz heißt es zum Thema Vergaberecht: „Vorrangiges Ziel (…) ist es, durch die wirtschaftliche und sparsame Verwendung von Haushaltsmitteln den Beschaffungsbedarf der öffentlichen Hand zu decken. Durch die Gebote der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz soll es einen fairen Wettbewerb zwischen den bietenden Unternehmen sicherstellen und Korruption und Vetternwirtschaft wirksam verhindern.“ Wer wollte dagegen etwas einwenden? Leider aber müssen wir als planendes und ausführendes Büro immer wieder feststellen, dass das Verfahren selbst sehr anfällig ist für Bewerbungsstrategien, die mit einem fairen Wettbewerb nichts zu tun haben. Ironischerweise führt das gerade zu den explodierenden Ausgaben, die es eigentlich verhindern sollte. Vermeintlich günstige Angebote ziehen nach Beauftragung häufig hohe Folgekosten durch Nachtragsforderungen, Verzug, Mangelleistungen, Unternehmensinsolvenzen etc. nach sich.
Was tun? Zunächst einmal ist ein gewisses detektivisches Talent von großem Vorteil, um Firmen, die den Bürokratismus der Vergabe für ihre Zwecke ausnutzen, mit den eigenen Mitteln zu schlagen. Ist der Zuschlag einmal erteilt, ist es nämlich nur schwer möglich, bei auf der Baustelle zu Tage tretenden Mängeln rein fachlich nachzusteuern. In manchen Fällen aber können Nachforschungen im Internet oder auch der informelle Austausch mit anderen betroffenen Büros Unstimmigkeiten in den Einreichungen zu Tage treten lassen, die einen nachträglichen Ausschluss ermöglichen. Es soll beispielsweise schon Bewerber gegeben haben, deren Referenzen ausnahmslos von eigenen Tochterunternehmen ausgestellt waren. Oder die einen Jahresumsatz nannten, der den im Handelsregister eingetragenen um ein Vielfaches überschritt. Der geforderten Aufklärung kam der angefragte Steuerberater nicht fristgerecht nach. Ein Formfehler, der den Ausschluss rechtfertigte.
Doch auch das Vergaberecht selbst bietet durchaus Möglichkeiten, geeignete Bewerberinnen und Bewerber ausfindig zu machen. Wie die Praxisbeispiele zeigen, kann es die Bauherrnschaft teuer zu stehen kommen, den billigsten Bieter zu beauftragen. Trotzdem ist das „Wertungskriterium Preis“ unserer Erfahrung nach in den allermeisten Fällen allein ausschlaggebend. Das individuelle Punktesystem, nach dem sich die Verfahren richten, wird dafür so angelegt, dass ein günstiges Angebot alle anderen Wertungskriterien „aussticht“. Dabei spricht die VOB selbst (im §16d VOB/A Wertung) ausdrücklich nicht vom billigsten, sondern vom „wirtschaft­-lichs­te(n) Angebot“ mit dem „besten Preis-Leistungs-Verhältnis“, für das der Zuschlag zu erteilen sei. „Zu dessen Ermittlung können neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden.“ Theoretisch ist es also möglich, Kriterien maßgeblich zur Bewertung heranzuziehen, die Rückschlüsse auf die zu erwartende Leistung erlauben (ähnlich wie in den VGV-Verfahren, denen sich Planungsbüros unterziehen müssen): Da wäre beispielsweise die Frage nach der Qualifikation (nicht nur der Zahl) der Mitarbeitenden. Oder die Forderung nach Referenzen hinsichtlich genau definierter Teilleistungen. Die Referenzen müssten dann natürlich nicht nur abgegeben, sondern auch entsprechend bewertet werden. Hier nur am Rande erwähnt: Selbst negative (grottenschlechte) Referenzen, die eine Firma vorlegt, stellen nach gültigem Recht kein Ausschlusskriterium dar!
Die Qualität eines Angebots mindestens gleichberechtigt mit dem Preis zu betrachten, lohnt sich am Ende nicht nur wirtschaftlich. Gerade Bauvorhaben der öffentlichen Hand sind übergeordneten Zielen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit grundsätzlich verpflichtet. Auch zu deren Umsetzung bietet die VOB Ansätze. Um erneut § 16d zu zitieren: „Zuschlagskriterien können neben dem Preis oder den Kosten insbesondere sein: Qualität einschließlich technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Zugänglichkeit, „Design für alle“, soziale, umweltbezogene und innovative Eigenschaften…“ Das Vergaberecht bietet also durchaus Möglichkeiten, von der derzeit gelebten Fixierung auf den Preis wegzukommen. Warum diese nicht stärker ausgeschöpft werden, darüber kann ich nur spekulieren: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es vor allem darum geht, Sparwillen zu demonstrieren. Dass man damit eine umfassende Wirtschaftlichkeit ebenso wie die Interessen kommender Generationen vernachlässigt, wird wohl politisch in Kauf genommen. Schließlich machen sich die Konsequenzen oft erst weit jenseits der aktuellen Legislaturperiode bemerkbar. Natürlich haben wir als Architektinnen und Architekten keinen direkten Einfluss auf die den konkreten Vergaben zugrundeliegenden Strukturen, können aber sehr wohl Gelegenheiten nutzen, dazu (auch öffentlich) unsere Stimme zu erheben.
Klar, die Zeiten, in denen „das Wünschen noch geholfen hat“, sind vergangen. Möglicherweise aber ließe sich erreichen, dass die Praxis sich den edlen Zielen des Vergaberechts wenigstens annähert. Wir zumindest haben uns fest vorgenommen, unsere Bauherren in Zukunft auf die Möglichkeiten hinzuweisen, die sich hinsichtlich einer Erweiterung und Umgewichtung der Wertungskriterien ergeben. Natürlich entsteht dadurch Mehrarbeit. Die sollte aber aufgewogen werden durch Arbeits- und vor allem Kostenersparnisse in späteren Leistungsphasen. Den Versuch ist es wert – denn viel schlimmer kann es eigentlich kaum mehr kommen.

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