Bauwelt

Vollbremsung in letzter Sekunde

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus mittels einer Sonder-AfA für den Wohnungsneubau ist im Juli auf Eis gelegt worden, weil sich die Koalitionspartner nicht über Nachbesserungen am Entwurf einigen konnten. Eine Fehlentscheidung, wie manche beklagen? Ganz im Gegenteil, meint un­ser Autor. Denn die vorgesehene pauschale Förderung hätte – wieder einmal – fatale städtebauliche Auswirkungen haben können.

Text: Rettich, Stefan, Leipzig

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    Ausweitung der Speckgürtelzone (hier im Kölner Westen). Mit der Sonder-AfA wär’s schneller gegangen.
    Foto: picture alliance/Ralph Goldmann

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    Ausweitung der Speckgürtelzone (hier im Kölner Westen). Mit der Sonder-AfA wär’s schneller gegangen.

    Foto: picture alliance/Ralph Goldmann

Vollbremsung in letzter Sekunde

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus mittels einer Sonder-AfA für den Wohnungsneubau ist im Juli auf Eis gelegt worden, weil sich die Koalitionspartner nicht über Nachbesserungen am Entwurf einigen konnten. Eine Fehlentscheidung, wie manche beklagen? Ganz im Gegenteil, meint un­ser Autor. Denn die vorgesehene pauschale Förderung hätte – wieder einmal – fatale städtebauliche Auswirkungen haben können.

Text: Rettich, Stefan, Leipzig

Als im Sommer vergangenen Jahres die Zahl der Zuwanderer drastisch anstieg, verstärkte sich der ohnehin hohe Druck auf den Wohnungsmarkt. Bis heute ungelöst ist die Frage, wie der private Sektor für den Wohnungsneubau aktiviert werden kann und welche Anreize oder Förderprogramme es dazu braucht.
Bauministerin Barbara Hendricks sprach sich auf dem Kongress der Nationalen Stadtentwicklungspolitik im Herbst 2015 für die Einführung einer zeitlich befristeten, degressiven Sonderabschreibung für den Wohnungsneubau aus. Eine solche „Sonder-AfA“ ist ein wirkmächtiger Hebel, der bei der Einkommensteuer ansetzt – und in der Vergangenheit schon mehrfach erheblichen Einfluss auf die Raumentwicklung in Deutschland hatte. So wurde zum Beispiel die Eigenheimzulage, die maßgeblich zur Entstehung der Speckgürtel um unsere Städte beigetragen hat, als erhöhte Absetzung nach §7b des Einkommensteuergesetzes vergeben. Eben jenen 2006 stillgelegten Paragrafen wollte die Bundesregierung nun mit neuer juristischer Definition als Anreiz für den Wohnungsneubau wiederbeleben.
Zum ohnehin bestehenden Grundanreiz der jährlichen „Absetzung für Abnutzung“ (AfA) auf Wohnimmobilien ist eine Sonder-AfA ein Surplus; sie wird in der Regel degressiv festgesetzt. Degressiv heißt: In den ersten Jahren ist die Steuervergünstigung höher als in den darauf folgenden Jahren. Damit will man erreichen, dass die Investitionen so schnell wie möglich getätigt werden. Eine Sonder-AfA hat im Vergleich zu anderen
Anreizen den Vorteil, dass keine bürokratischen Hürden im Wege stehen. Keine Programme, die von den Ministerialverwaltungen aufgelegt werden müssen, keine Anträge, die gestellt, geprüft und bewilligt werden müssen. Alles läuft über die Steuererklärung der Adressaten, die ihr Geld in das System pumpen sollen.

Gute Sonder-AfA, schlechte Sonder-AfA

Eine Sonder-AfA wirkt unmittelbar, vom ersten Tag an. Das macht dieses Instrument effektiv für den Staat und attraktiv für seine Nutznießer. Es ist aber auch ein gefährliches Instrument: Einmal als Gesetz verabschiedet, lässt sich daran nichts mehr ändern. Es kommt also in besonderem Maß auf die Definition und die Steuerungsmechanismen an, die im Gesetzestext verankert sind, um Fehlallokationen, Mitnahmeeffekte oder legale Zweckentfremdung der Mittel auszuschließen.
Gute Erfahrungen hat man mit der Denkmal-AfA gemacht. Zum einen fließen die Mittel zielge­­nau in bestimmte Objekte, sprich Denkmale, die schwieriger zu entwickeln sind als herkömmliche Bauten und für deren Pflege ein Anreiz deshalb angebracht ist. Zum anderen ist die Definition eines Denkmals in den föderalen Denkmalschutzgesetzen festgelegt und die Aufnahme in die Denkmalliste durch einen Verwaltungsakt gesichert, sodass kaum Missbrauch möglich ist.
Weniger gute Erfahrungen hat man dagegen mit der Sonder-AfA-Ost gemacht.Sie wurde eingeführt, um privates Kapital für die Finanzierung des Aufbaus-Ost zu mobilisieren. Dabei hat man weitgehend auf Steuerung verzichtet. So waren weder Lage, Gebäudefunktion, Größe noch Typologie definiert. Falsch eingeschätzt wurde auch die Verfügbarkeit von Innenstadt-Grundstücken, die sich in der Regel in Restitutionsverfahren befanden. Also flossen die Mittel hauptsächlich in die jungfräuliche Peripherie der ostdeutschen Städte. Dort konnte man Grundstücke ohne Restitutionsansprüche erwerben, sie waren zudem günstiger und, da in der Regel keine Bauleitplanung vorlag, ließen sie sich mit einer höheren Grundstücksauslastung und ohne funktionale Vorgaben bebauen. Auch agierten Investoren in der Regel nur als Zwischenhändler, Wohnungsgrößen und -typologien wurden daher weniger am tatsächlichen Bedarf als an der Kaufkraft von Kleinanlegern ausgerichtet.
Bei der Sonder-AfA-Ost kam es zu erheblichen Fehlallokationen mit negativen Auswirkungen auf die Stadtentwicklung, insbesondere durch Schrumpfung in den Kernstädten und Steuerausfälle der Kommunen im Zuge der Funktionsverlagerung ins Umland. Die hohen Leerstände der 90er Jahre im Wohnungs- wie im Bürosektor zeugten davon. Der Bund schließlich musste in Spitzenjahren Steuereinbußen im zweistelligen Milliardenbereich hinnehmen.

Verführung zum Wohnungsbau

Im Februar 2016 wagte man sich an die neue Sonder-AfA. Die Bundesregierung ließ durch das zuständige Finanzministerium den „Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus“ vorlegen – mit einer klaren Zielsetzung: Es sollten Anreize geschaffen werden, damit sich Investoren verstärkt und möglichst zügig im preiswerten (Miet-)Wohnungsneubau engagieren. Zusätzlich zu der jährlichen „Absetzung für Abnutzung“ von zwei Prozent sollten innerhalb von drei Jahren weitere 29 Prozent aller Anschaffungs- und Herstellungskosten abgeschrieben werden können – im Ganzen also 35 Prozent. Dies bis zu einer Summe von 2000 Euro/m2 Wohnfläche und unter der Voraussetzung, dass die Anschaffungs- und Herstellungskosten von 3000 Euro/m2 nicht überschritten und die Wohnungen mindestens zehn Jahre lang vermietet werden.
Die Förderung sollte räumlich auf Gebiete mit angespannter Wohnungslage begrenzt werden. Das sind Gemeinden mit den Mietstufen IV bis VI und Kommunen, in denen die Mietpreisbremse oder eine abgesenkte Kappungsgrenze für Mieten Anwendung findet. Zeitlich sollte die Maßnahme auf Wohngebäude beschränkt bleiben, für die in den Jahren 2016 bis 2018 ein Bauantrag eingereicht wird. Die Gesamtkosten für das Vorhaben bezifferte das Finanzministerium bis zum Jahr 2020 mit 2,1 Milliarden Euro (in Form steuer­licher Mindereinnahmen), was bei der hohen Förderung und der starken Wohnungsnachfrage allerdings reichlich niedrig bemessen scheint.

Ein Gesetzentwurf scheitert

Die Investorenseite gab sich bei einer Anhörung im Bundestag zufrieden. Auf den einschlägigen Immobilienportalen wurden zwar Details bemängelt, aber zwischen den Zeilen war deutlich das Knallen der Champagnerkorken zu hören. Kritik äußerten u.a. Stadtplaner, der Deutsche Städtetag – und der Bundesrat, der eine umfangreiche Stellungnahme mit vielen Kritikpunkten vorlegte: Die Obergrenzen für die Anschaffungs- und Herstellungskosten für preiswerten Wohnungsbau seien zu hoch bemessen, dadurch würden Fehlanreize gesetzt, also Anreize zu teurem statt zu preiswertem Bauen. Da keine Mietpreisobergrenze festgeschrieben wurde, seien Mitnahmeeffekte zu erwarten und günstige Mieten trotz Förderung wenig wahrscheinlich. Das Potenzial von Aufstockung, Dachausbau und Konversion gewerblicher Flächen bleibe zur Lösung der Wohnungsfrage untergenutzt, da sie nicht Fördergegenstand sind.
Auch wurde beanstandet, dass öffentliche Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften – die Garanten für preiswerten Wohnraum – wegen ihrer steuerbefreiten Gemeinnützigkeit nicht an der Sonder-AfA partizipieren könnten. Der Bundesrat forderte deshalb, die Mittel direkt, über einen einmaligen, projektbezogenen Investitionszuschuss zu vergeben. Dann rückte auch die SPD-Bundestagsfraktion von dem Gesetzesentwurf ab, sie konnte gegenüber der CDU die Mietpreisbindung nicht durchsetzen. Am 5. Juli gab die Koalition bekannt, dass der Entwurf nicht weiterverfolgt werde, was von einigen Verbänden harsch kritisiert wurde. Bundesarchitektenkammer-Präsidentin Barbara Ettinger-Brinckmann etwa beklagte eine „wohnungsbaupolitische Fehlentscheidung ersten Ranges, die höchstens Politikverdrossenheit fördert“. Wer das Stimulans der Sonderabschreibung nicht wolle, müsse Alternativen nennen.

Stadträumliche Kollateralschäden

Wie immer bei Pauschalförderungen fürs Bauen hat die Politik vor allem über Zahlen verhandelt. Vorhersehbare raumpolitische Effekte mit negativen Auswirkungen auf Stadt und Umwelt – wie seinerzeit durch die Eigenheimzulage ausgelöst – spielten bei der Beratung keine Rolle. Dabei ist eines sicher: Die hohen steuerlichen Anreize hätten die Grundstückspreise in den inneren Lagen weiter in die Höhe getrieben und die Förderung in den Kernstädten damit verpuffen lassen. Zudem ist davon auszugehen, dass wegen der Grundstückspreise viel in die Stadtränder und in die Peripherie investiert worden wäre. Denn zu den Fördergebieten hätten auch die meisten Umlandgemeinden von Großstädten gehört. Oranienburg, Blankenfelde-Mahlow, Dallgow-Döberitz, Falkensee, Eich­walde, Schönefeld – um nur einige rund um Berlin zu nennen – soll wirklich dort der preiswerte Wohnraum für die sozial schwächer Gestellten der Bundeshauptstadt entstehen? An irgendeine Art von Misch­nutzung wäre dabei gar nicht zu denken gewesen, die bietet Investoren unter den Voraussetzungen des hochgeförderten Wohnungsbaus keine rentable Alternative zur Monostruktur.
Durchaus vorstellbar ist, dass die Fertighausindustrie Leasing-Modelle für Einfamilienhäuser aufgelegt hätte, nach dem Motto „10 Jahre leasen (um die Förderkriterien zu erfüllen) und danach vergünstigt kaufen“, denn gefördert werden sollten alle Gebäudetypologien, die zum Wohnen genutzt werden. Damit hätte sich noch der letzte Acker in Schulzendorf veredeln lassen. Sicher, das ist ­eine Dystopie zur gescheiterten Sonder-Afa. Aber in Niedrigzins-Zeiten ist kaum weit genug auszumalen, mit welchem Ideenreichtum die Märkte auf die großzügige Steuerofferte reagiert hätten.

Keine Sonder-AfA ohne regionale und lokale Steuerung!

Der Stopp der Sonder-AfA war also keineswegs eine Fehlentscheidung ersten Ranges, sondern eine Vollbremsung in letzter Sekunde. Bedauerlich ist nur, dass mit der Diskussion um den Gesetzentwurf so viel wertvolle Zeit vertan wurde.
Nimmt man die Kritik an der Steuerinitiative ernst und zieht Lehren aus zurückliegenden Sonderabschreibungen, wird klar: Es darf keine Sonder-AfA ohne lokale und regionale Steuerung geben. Ein Blick in das Besondere Städtebaurecht lohnt: Sanierungsgebiet und Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme sind Instrumente, mit denen Förderterritorien abgesteckt und mit Entwicklungszielen verknüpft werden können. Die Ziele können bedarfsgerecht aus einem Mix von Neubau, Nachverdichtung und Aufstockung zugeschnitten werden, die städtebauliche Steuerung läge in Händen der Kommunen. Mit dem Wohnungsbau ließen sich strategische Ziele verfolgen wie die Aufwertung marginalisierter Gebiete oder die Nachverdichtung von Großwohnsiedlungen. Dies setzt voraus, dass Bund, Länder und Kommunen koordiniert zusammenarbeiten. Bis das steuerliche Zahlenwerk endgültig verhandelt ist, könnten die Planwerke für die Umsetzung dazu schon vorliegen.

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Rubriken Standards, Steuern und die Rolle der Kommunen

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