Bauwelt

Unbequeme Denkmale

Kernkraftwerke sind nicht nur wegen der heiklen Technik umstritten, mit der in ihnen Energie erzeugt wird. Da bald das letzte KKW vom Netz geht, muss Deutschland Antworten auf den Umgang mit einer schwierigen baulichen Hinterlassenschaft finden.

Text: Rettich, Stefan, Leipzig

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    Wo ein Atomkraftwerk steht, sind Wohnmobile meist nicht weit – die einen wie die anderen setzen sich mit Vorliebe in idyllische Flusslandschaften, wie hier bei Grafenrheinfeld.
    Foto: Nils Stoya

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    Wo ein Atomkraftwerk steht, sind Wohnmobile meist nicht weit – die einen wie die anderen setzen sich mit Vorliebe in idyllische Flusslandschaften, wie hier bei Grafenrheinfeld.

    Foto: Nils Stoya

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    Strahlende Aussichten in Krümmel.
    Foto: Nils Stoya

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    Strahlende Aussichten in Krümmel.

    Foto: Nils Stoya

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    7. Juni 1986, wenige Wochen nach dem Super-GAU in Tschernobyl: 50.000 Menschen demonstrieren in Brokdorf gegen Kernkraft, die Polizei geht massiv vor.
    Foto: Günter Zint

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    7. Juni 1986, wenige Wochen nach dem Super-GAU in Tschernobyl: 50.000 Menschen demonstrieren in Brokdorf gegen Kernkraft, die Polizei geht massiv vor.

    Foto: Günter Zint

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    Wärme für die Menschen: Schafe und Kernkraftwerk an der Unterweser.
    Foto: Nils Stoya

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    Wärme für die Menschen: Schafe und Kernkraftwerk an der Unterweser.

    Foto: Nils Stoya

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    Oben: Nicht zu übersehen – Kühltürme von Atomkraftwerken sind bisweilen größer als der Kölner Dom.
    Grafik: Jasmin Schwerdt­feger

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    Oben: Nicht zu übersehen – Kühltürme von Atomkraftwerken sind bisweilen größer als der Kölner Dom.

    Grafik: Jasmin Schwerdt­feger

Unbequeme Denkmale

Kernkraftwerke sind nicht nur wegen der heiklen Technik umstritten, mit der in ihnen Energie erzeugt wird. Da bald das letzte KKW vom Netz geht, muss Deutschland Antworten auf den Umgang mit einer schwierigen baulichen Hinterlassenschaft finden.

Text: Rettich, Stefan, Leipzig

Kernkraftwerke polarisieren – bis heute. Schon die Lage im Abseits der großen Agglomerationen, teils in den schönsten Abschnitten der deutschen Flusslandschaften, deren Wasser sie zur Kühlung benötigten, ist ein Affront. Es bedurfte schon eines gehörigen Maßes an Brutalität, um dort Industriegebiete hineinzubauen, mit gigantischen Bauwerken, von denen manche so hoch sind wie der Kölner Dom – teils neben Dörfern mit gerade einmal 1000 Einwohnern. Bauwerke, in denen Material verarbeitet wird, das man auch zum Bau von Atombomben braucht, und aus dem Abfall entsteht, der so gefährlich ist, dass er für eine Million Jahre sicher eingelagert werden muss. Auf der anderen Seite sind Kernkraftwerke auch Wahrzeichen – und sie sind Zeugen einer erbitterten gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung über Energie, Wirtschaft und Risiken. Heute, inmitten der Energiekrise, ist dieser Streit aktueller denn je. All das macht Kernkraftwerke zu besonderen Orten, topographisch wie symbolisch.
Der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower prägte den Slogan „Atoms for Peace“, um mit den Kriegsverbrechen von Hiroshima und Nagasaki abzuschließen und dennoch das enorme Potenzial der Kernspaltung für friedliche Zwecke nutzen zu können. Seine gleichnamige Rede von 1953 vor der UN-Vollversammlung hatte die Gründung der International Atomic Energy Agency (IAEA) mit Sitz in Wien zur Folge, die sich weltweit mit der Kontrolle sowohl der militärischen als auch der friedlichen Nutzung von Nukleartechnologien befasst. Weltweit begann man damals mit Forschungen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, auch in Deutschland.
1955 wurde das Bundesministerium für Atomfragen gegründet, kurze Zeit später Forschungszentren in Jülich, München, Berlin, Geesthacht und Leopoldshafen. Die ersten Versuchsreaktoren gingen zwischen 1957 und 1962 in Betrieb; es war wie bei der Raumfahrt ein technologischer Wettlauf der politischen Blöcke: Im Mai 1966 ging der erste deutsche Leistungsreaktor im brandenburgischen Rheinsfeld ans Netz, im Dezember folgte Block A im bayerischen Gundremmingen. Insgesamt entstanden in Deutschland 31 Leistungsreaktoren an 21 Standorten. Zum Vergleich: Weltweit sind derzeit etwa 440 Kernkraftwerke in Betrieb.
Bleibt es dabei, dass Deutschland im April 2023 aus der Kernenergie aussteigt, wird es nach ein bis zwei Generationen keine Spur mehr davon geben, dass hier jemals Kernenergie pro­duziert wurde. Denn geplant ist der Rückbau auf die grüne Wiese. Das wäre nachvollziehbar, wenn eine nukleare Kontamination es erfordern würde – das ist aber nur bedingt der Fall.
Kernkraftwerke werden nach dem umgekehrten Zwiebelprinzip rückgebaut: Zunächst wer­den die Brennelemente entfernt, nach einer Abklingphase in Castoren verpackt und in lokalen Zwischenlagern deponiert. Danach wird der Reaktordruckbehälter zerlegt und mit weiteren kontaminierten Anlagenteilen ebenfalls zwischengelagert. Sofern radioaktive Strahlung in die Baukonstruktion eingedrungen ist, werden diese Teile aus der dicken Betonkonstruktion herausgebrochen, dokumentiert und ebenfalls sicher eingelagert. Zurück bleibt eine dekontaminierte Gebäudehülle. Sobald diese, von den Behörden zertifiziert, frei von radioaktiver Strahlung ist, wird die gesamte Anlage aus dem Atomgesetz entlassen und es setzt ein konventioneller Rückbau ein. Allein der sogenannte Kontrollbereich eines Kernkraftwerks mündet in rund 150.000 Tonnen Bauschutt. Hinzu kommen das Maschinenhaus mit der Turbine sowie ein Kühlturm, wenn die Technologie einen solchen erforderte.
Im Umgang mit obsolet gewordenen Indus­triebauten hat Deutschland bereits einige Erfahrung gesammelt. Bernd Becher, der mit seiner Frau Hilla zu den bedeutendsten deutschen Fotografen des 20. Jahrhunderts zählt, begann seine Auseinandersetzung mit Indus­triebauwerken anhand von Zeichnungen. Erst als er 1957 beim Zeichnen der im Abbruch befind­lichen Grube Eisernhardter Tiefbau bemerkte, dass die Objekte schneller verschwanden, als er sie mit dem Stift festhalten konnte, nutzte er den Fotoapparat. Den einsetzenden Strukturwandel in der deutschen und europäischen Schwerindustrie erkannten die Bechers bereits damals und bemühten sich darum, die Erinnerung an eine Epoche fotografisch festzuhalten.
Bis man den kulturellen Wert dieser Bauten außerhalb der Kunstszene wahrnahm und zum Markenzeichen des Ruhrgebiets ausbaute, dauerte es drei Jahrzehnte. Mit der IBA Emscher Park setzte ab 1989 neben dem Umbau der geschundenen Landschaft auch die Inwertsetzung der verstreut liegenden Industrie- und Zechenanlagen ein, unter anderem der Zeche Zollverein in Essen, die 2001 in die Welterbeliste der UNESCOaufgenommen wurde.
Atomkraftwerken droht nun ein ähnliches Schicksal wie Zechen und Kokereien im ausgehenden 20. Jahrhundert. Ganz gleich, wie sich der politische Diskurs zur Kernkraft im Zeichen der Energiekrise weiter entwickeln wird, viele Kraftwerke haben ihren technischen Zenit längst überschritten, sind stillgelegt oder werden schon abgerissen. Die Frage nach einem möglichen Erhalt oder einer Umnutzung stellt sich schon jetzt für eine ganze Reihe der Bauwerke, obschon sich die Debatte über ihren baukulturellen Wert bislang auf Fachkreise der Denkmalpflege beschränkt. Dort spricht man bei solch umstrittenen oder schwer zu erhaltenden Bauten von „unbequemen Denkmalen“, einem Begriff, der in den 1990er Jahren von Norbert Huse geprägt wurde.
Noch ist Zeit, denn der Rückbau einer Reaktoranlage nimmt etwa zehn bis 15 Jahre in Anspruch. Die Frage einer möglichen Nachnutzung könnte daher als begleitender baukultureller Prozess verstanden werden und müsste ohnehin aus der jeweiligen Region heraus und von den dort involvierten Akteuren beantwortet werden. Um so wichtiger ist es, bereits heute in die Diskussion über eine mögliche Nachnutzung einzusteigen und positive Bilder und Szenarien zu entwickeln. Jeder Standort hat eine eigene, sehr spezifische Geschichte, aus der sich Anknüpfungspunkte ergeben.
Einige der ehemaligen Atomkraftwerke in Deutschland sind besonders erhaltenswert. In Gundremmingen stehen zum Beispiel die größ­ten Kühltürme der Republik. Das Kernkraftwerk Krümmel in Geesthacht war vormals Standort einer Sprengstofffabrik von Alfred Nobel. Dort hat er das Dynamit erfunden und kam dadurch
zu seinem immensen Reichtum, der heute über seine Stiftung der Wissenschaft, der Literatur und nicht zuletzt dem Frieden zu Gute kommt. Brokdorf wiederum steht in mehrfacher Hinsicht für den atomaren Widerstand. Wegen anhaltender Großdemonstrationen wurden während der Bauzeit zwei Wassergräben angelegt, die technisch gar nicht erforderlich waren: Wie eine mittelalterliche Burg sollte es vor den Angreifern geschützt werden. Und, aus dem jah­relangen Rechtsstreit gegen ein Versammlungsverbot ging 1985 der sogenannte Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hervor. In dessen Folge kam es zu einer Würdigung Neuer Sozialer Bewegungen – wie etwa auch der Studentenbewegung – und zu einer Änderung des Grundgesetzes, die Mitbestimmung und friedliche Proteste in den Verfassungsrahmen integrierte. Diese Novelle ist für die deutsche Rechts- und Gesellschaftsordnung so weitreichend, dass sich allein daraus eine Schutzwürdigkeit des Kraftwerks ableiten ließe.
Kernkraftwerke müssen nicht zwingend zurückgebaut werden. Im Gegenteil: Es wäre ein Fehler, wenn kein bauliches Zeugnis dieser faszinierenden wie umstrittenen Technik übrigbliebe. Die Kraftwerke blieben dann auch sichtbare Zeichen für die unsichtbaren Abfälle, die ab 2050 für eine Million Jahre eingelagert werden sollen. Sie wären ein Medium der Verständigung mit nachfolgenden Generationen, die in der Verantwortung einer Gefahr stehen werden, die sie nicht verantwortet haben.

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