Krematorium am Ostfriedhof in München
In München sind 70 Prozent der Beisetzungen Feuerbestattungen. Am Ostfriedhof, wo es seit 1929 ein Krematorium gibt, haben Beer Bembé Dellinger einen Neubau fertiggestellt, der die Kremierung enttabuisiert.
Text: Kraft, Caroline, Berlin
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Der Ostfriedhof ist einer der vier größten in München. 1907 von Hans Grässel angelegt, fand hier 1912 die erste Einäscherung statt. Die Bronzeplastik „Phönix“ auf dem Vorplatz ist von Josef Alexander Henselmann.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Der Ostfriedhof ist einer der vier größten in München. 1907 von Hans Grässel angelegt, fand hier 1912 die erste Einäscherung statt. Die Bronzeplastik „Phönix“ auf dem Vorplatz ist von Josef Alexander Henselmann.
Foto: Stefan Müller-Naumann
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In der denkmalgeschützten Trauerhalle war das erste Krematorium mit zwei Schornsteinen integriert.
Foto: Beer Bembé Dellinger
In der denkmalgeschützten Trauerhalle war das erste Krematorium mit zwei Schornsteinen integriert.
Foto: Beer Bembé Dellinger
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BBD orientierten die Attika ihres Klinker-Neubaus an der etwas weiter nordwestlich liegenden Urnenhalle.
Foto: Stefan Müller-Naumann
BBD orientierten die Attika ihres Klinker-Neubaus an der etwas weiter nordwestlich liegenden Urnenhalle.
Foto: Stefan Müller-Naumann
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Oben: Der Laubengang an der Südseite des Platzes zwischen Trauerhalle und Krematorium führt zu den Abschiedsbereichen und der Sargeinfahrt.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Oben: Der Laubengang an der Südseite des Platzes zwischen Trauerhalle und Krematorium führt zu den Abschiedsbereichen und der Sargeinfahrt.
Foto: Stefan Müller-Naumann
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Das öffentliche Programm macht nur etwa 10% der Fläche aus. Das Foyer liegt im Gelenk zwischen Alt- und Neubau. An der langen Gebäudeseite Richtung Straße befindet sich die Einfahrt für die Leichenwagen.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Das öffentliche Programm macht nur etwa 10% der Fläche aus. Das Foyer liegt im Gelenk zwischen Alt- und Neubau. An der langen Gebäudeseite Richtung Straße befindet sich die Einfahrt für die Leichenwagen.
Foto: Stefan Müller-Naumann
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Dass es nur eine Ofenhalle und entsprechend nur ein Sichtfenster für alle Kremierungen gibt, war eine Vor-gabe von Nutzerseite.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Dass es nur eine Ofenhalle und entsprechend nur ein Sichtfenster für alle Kremierungen gibt
, war eine Vor-gabe von Nutzerseite.
Foto: Stefan Müller-Naumann
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Jährlich sind im Neubau, der an Strom- und Energiebedarf seinen Vorgänger um 75% unterbietet, 11.000 Kremierungen möglich.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Jährlich sind im Neubau, der an Strom- und Energiebedarf seinen Vorgänger um 75% unterbietet, 11.000 Kremierungen möglich.
Foto: Stefan Müller-Naumann
Er bringt Gleichzeitigkeiten mit sich, die manchmal nicht zum Aushalten sind; der Tod, lässt uns an die eigene Endlichkeit denken und an das, was noch kommen soll. Das Lebensende eines Menschen ist auch ein Neustart für die Nahestehenden. Diese Parallelität gibt es auch auf dem Münchner Ostfriedhof. Die über 200 Jahre alte Anlage ist Ruhestätte der Gastronomie-Familie Käfer, von Fußballern, Schlagersängern, Modeschöpfern, Schauspielerinnen – so ein kleiner Auszug aus der Wikipedia-Liste. Auch Hans Döllgast, der am Wiederaufbau von Würzburg und München mitwirkte und 1957 das Große Bundesverdienstkreuz erhielt, ist hier bestattet. Neben Schickeria-Gräbern besteht das Mosaik auch aus namenlosen Urnen und der Öffentlichkeit unbekannten Menschen. Während des NS politisch Verfolgten ist ein Grabfeld gewidmet.
Der Ostfriedhof ist aber wie jeder Friedhof nicht nur ein Ort der Geschichtserzählung, sondern er bündelt mit Aussegnungshalle, Krematorium, und – seit diesem Sommer einem überkonfessionellen „trauerpastoralen Zentrum“ – allenach einem Sterbefall nötigen Funktionen. Mit dem Wandel der Trauerkultur verändert er sich, muss es auch. Der Stadtbaumeister Hans Grässel entwarf ab 1890 ein neues Konzept für den Ostfriedhof als Gesamtkunstwerk. In seine Trauerhalle integrierte er ein Krematorium mit zwei Kaminen, die sich symmetrisch in die Bautypologie einfügen. Sie durfte deshalb nicht mit reli-giösen Elementen ausgestattet werden – die Kirche lehnte Feuerbestattungen damals ab. Dass es dennoch ein Krematorium gab, bestimmt die Geschichte des Friedhofs.
1919 wurde der Anführer der Novemberrevolution Kurt Eisner nach seiner Ermordung am Ostfriedhof eingeäschert. 1934 inszenierte die nationalsozialistische Regierung den „Röhm-Putsch“, bei dem auf Befehl Hitlers aufgrund interner Differenzen SA-Führungskräfte ermordet und sich anschließend im Krematorium auf dem Ostfriedhof heimlich ihrer entledigt wurde. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Leichen von fast 4000 Menschen hier eingeäschert. Die meisten von ihnen waren Häftlinge aus Dachau, Auschwitz und Buchenwald. 1946 wurden nach den Nürnberger Prozessen elf der hingerichteten Hauptverbrecher unter Geheimhaltung durch die US-Amerikanische Armee am Ostfriedhof kremiert, unter ihnen Hermann Göring. Man wollte so einem Totenkult vorbeugen.
Das ist die Ambivalenz, der man sich nicht entziehen kann. Krematorien bedeuten eine Mechanisierung des Bestattens. Nachdem ein zweites Krematorium, ein technischer Bau von 1979 hinter der Grässel’schen Trauerhalle, dem Bedarf nicht mehr gerecht wurde, entschied sich die Landeshauptstadt zu einem weiteren Neubau. Es folgte die Standortsuche, andere Fried-höfe wurden genauso wie eine Auslagerung erwogen. Das Baudenkmal von Grässel aber wäre ohne Krematorium obsolet geworden – es gibt am Haupteingang noch eine große Trauerhalle – und so entschieden sich Stadt und Friedhofsbetrieb für einen Neubau neben dem Bestand.
„Die Friedhöfe der Landeshauptstadt München“, erzählt Architektin Anne Beer, „sind sowas wie Tafelsilber.“ Die gut eingewachsenen Anlagen dienen auch der Naherholung und sind, wie in jeder Stadt, kleine Biotope. Damit geht Verantwortung einher, es gibt viele Beteiligte – und so war das Projekt, dass die Münchner aus dem Architekturbüro Beer Bembé Dellinger Architekten (BBD) realisieren durften, streckenweise sicherlich ein Tauziehen. Nach dem Beschluss, das neue Krematorium in die denkmalgeschützte, wohl komponierte Struktur in München-Obergiesing zu integrieren, gab es ein VgV-Verfahren mit eingebettetem Wettbewerb, den BBD gewannen. Schlussendlich entschied sich die Stadt, das Verfahren abzubrechen und einen Generalübernehmer zu beauftragen – zum Fixpreis. Der Entwurf, mit dem BBD überzeugt hatten, war deutlich repräsentativer und hatte einen größeren Anteil an öffentlichen Flächen als der realisierte Bau. Mit dem Bauunternehmen Reisch fandsich immerhin ein Partner, mit dem das Büro das Projekt bestmöglich realisieren konnte.
Das dreieckige Baugrundstück machte es den Planenden nicht leicht. Für die Technik eines Krematoriums wäre eine rechteckige Kubatur naheliegend; es war aber schlicht das einzig freie Baufeld. Dass der Neubau nicht ausgelagert wurde, ist trotzdem richtig. Es gibt aktuell in Deutschland etwa 160 Krematorien, die Feuerbestattung ist mit 80 Prozent die am meisten nachgefragte. Das muss sichtbar sein, Krematorien müssen als Bautypologie enttabuisiert werden. So platzierten BBD den Kamin, der so schlank wie technisch möglich umgesetzt wurde, mittig im Funktionsbereich des Gebäudes. Er verschwindet nicht in einer Dachkonstruktion oder geht als Schmuckelement durch. Das Krematorium ist als solches zu erkennen, einsehbar von der benachbarten, hochgelegten S-Bahnstation. Dieser Umgang mit der Bauaufgabe ist ein völlig anderer als bei seinen Vorgängerbauten.
Aus Denkmalschutzgründen durfte der helle Klinkerbau nicht bündig an die Trauerhalle anschließen, wenn es ihn vermutlich auch gestärkt hätte. Die Umgebung diktierte Höhen, Kubatur und Platzierung und wie Beer es erklärt, klingt das ausgetüftelte Ergebnis absolut schlüssig. Das Team organisierte die Technik über zwei Geschosse in der Spitze des Dreiecks, die öffentlichen Zonen sitzen, mit Ausnahme eines Aufbahrungsraums im Kern, an den Gebäudeflanken.
Der Ziegel ist für ein „dienendes Haus“ ein stimmiger Werkstoff. Durch Aussparungen im Mauerwerk entsteht an ausgewählten Stellen eine Durchlässigkeit, die dem Zweck guttut. An den Vorplatz zwischen Trauerhalle und Krematorium grenzen sechs hinter Glas liegende Räume, in denen die Särge vor der Kremierung verabschiedet werden können – Unterteilungen in der Verabschiedungszone wären für Trauernde vermutlich angenehmer gewesen. Der Bereich ist aber mit Code rund um die Uhr zugänglich. In der Ziegelfassade hinter den bodentiefen Glasfenstern gibt es Auslassungen. Es hilft, dass der Raum seine Außenwelt nicht völlig ausblendet. BBD setzten, wo es ging, auf Transparenz, planten an den Schnittstellen von Technik und Öffentlichkeit. Angehörigen ist das Beobachten der Sargeinfahrt in den Kremierungsofen von einem Nebenraum aus möglich; zumindest in München ein Novum. Die Innenausstattung ist bewusst so anspruchsvoll wie möglich gehalten, die Böden in den Ofenräumen sind hell. Das bringt einen Pflegebedarf mit sich. „Ich finde, das entspricht der Aufgabe“, sagt Beer.
Fakten
Architekten
Beer Bembé Dellinger Architekten und Stadtplaner, München
Adresse
St.-Martin-Straße 41, 81541 München
aus
Bauwelt 25.2024
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