Freihand-Bibliothek,
die erste
Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1957 in Berlin entwarf Werner Düttmann den Pavillonbau für die Hansabibliothek. Nach sechs Jahrzehnten Nutzung als Bücherei und zwischenzeitlichen Überlegungen, den Standort zu schließen, wurde ihre Restaurierung im November 2019 fertiggestellt und ihr Fortbestehen gesichert.
Text: Lülfsmann, Ina, Berlin
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Der flache Bibliotheksbau ruht zwischen den Hochhäusern des Hansaviertels. Ein überdachter Gang verbindet ihn mit der U-Bahnstation Hansaplatz.
Foto: Mila Hacke
Der flache Bibliotheksbau ruht zwischen den Hochhäusern des Hansaviertels. Ein überdachter Gang verbindet ihn mit der U-Bahnstation Hansaplatz.
Foto: Mila Hacke
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Der Raum vor dem Gebäude ist nicht nur Vorplatz, sondern auch ebenbürtiger Bestandteil und Aufenthaltsort der Bücherei. Großflächige Verglasungen und überdachte Außenbereiche lassen die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen.
Foto: Mila Hacke
Der Raum vor dem Gebäude ist nicht nur Vorplatz, sondern auch ebenbürtiger Bestandteil und Aufenthaltsort der Bücherei. Großflächige Verglasungen und überdachte Außenbereiche lassen die Grenzen zwischen Innen und Außen verschwimmen.
Foto: Mila Hacke
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Alle Räume ordnen sich um den quadratischen Patio. Ein Wasserbecken bildet den Eckabschluss Richtung Tiergarten.
Foto: Mila Hacke
Alle Räume ordnen sich um den quadratischen Patio. Ein Wasserbecken bildet den Eckabschluss Richtung Tiergarten.
Foto: Mila Hacke
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Durchdachte Situationen wie dieser Leseplatz mit Fenster erwarten den Besucher an verschiedenen Stellen. Besonders der Innenhof bietet Raum und Ruhe zum Lesen und Verweilen.
Foto: Mila Hacke
Durchdachte Situationen wie dieser Leseplatz mit Fenster erwarten den Besucher an verschiedenen Stellen. Besonders der Innenhof bietet Raum und Ruhe zum Lesen und Verweilen.
Foto: Mila Hacke
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Alle Stühle sind verschwunden, der Lesegarten ist geschlossen. Was ausgerechnet zum Zeitpunkt unserer Besichtigung, während der Corona-bedingten Einschränkungen, verwehrt ist, zeichnete in den fünfziger Jahren die Bücherei am Berliner Hansaplatz als Beispiel einer neuen Generation von Bibliotheken aus. Als Ort des öffentlichen Lebens erfreute sie sich von Anbeginn großer Beliebtheit. Die Freihandbibliothek – gänzlich ohne Magazine – mit direktem Zugang zum U-Bahnnetz ermöglichte Besuchern einen schwellenlosen Zugang zu den Büchern. Bei diesem in Deutschland damals neuen Bautyp war Wissen nicht mehr einer bürgerlichen Elite vorbehalten. Menschen aller sozialen Schichten erreichten über einen überdachten Verbindungsgang beinahe zufällig den Lesesaal, die Transparenz des Düttmann-Baus offenbarte ihnen noch vor dem Betreten, was sie erwarten wird.
Die 2019 fertiggestellte Restaurierung durch das auf Denkmalpflege spezialisierte Berliner Architekturbüro adb zusammen mit dem Büro für Gartendenkmalpflege und Landschaftsarchitektur Dr. Jacobs & Hübinger stellt das Erscheinungsbild der fünfziger Jahre originalgetreu wieder her – beinahe. Alle Oberflächen wurden gereinigt, neu gestrichen oder ausgetauscht, um sie auf den ursprünglichen Zustand zurückzuführen. Beispielsweise konnten die filigranen Stahlprofile der raumhohen Glasfassaden erhalten werden, indem sie mit Hilfe einer Hohlraumkonservierung von innenliegendem Rost befreit wurden. In der Kinderabteilung sahen sich die Architekten vor einem Widerspruch: Vor der Sanierung waren die Räume mit grün marmoriertem Linoleum ausgestattet, Düttmann beschrieb in seinen Plänen die Farbe des Bodens jedoch als „Chinesisch Blau“. Wie sich herausstellte, gibt es marmoriertes Linoleum erst seit 1958, weswegen die Planer nun erneut einen blauen Boden verlegen ließen. Das Kiefernholz der Fassadenlamellen, das der Witterung direkt ausgesetzt ist, wurde durch resistentes Robinienholz ersetzt und an das aufgearbeitete und gealterte Kiefernholz der überdachten Bereiche farblich angeglichen. Auch wenn der Beton originalgetreu erscheint, täuscht seine neue Oberfläche das Auge des Betrachters. Der Sichtbeton war bereits zum wiederholten Mal instandgesetzt worden und befand sich in katastrophalem Zustand. Um die Optik des ursprünglichen glatt geschalten Betons von schlierig-wolkiger Farbigkeit mit kleinen Luftporen wiederherzustellen, nutzten die Restauratoren Schwamm-, Tupf- und Sprenkeltechniken für die erneut aufgetragene Spachtelung und Oberflächenschutzschicht, um einen monochromen, an Putz erinnernden Anstrich zu vermeiden. In der angegliederten U-Bahn-Station befindet sich noch ein Stück des originalen Sichtbetons, das den Architekten als Orientierung diente. Ob dieser Trick im Sinne einer behutsamen Denkmalpflege ist, kann wohl bezweifelt werden; gleichwohl dient er der Komplementierung des Originalzustandes.
Da das Bibliothekskonzept seiner Zeit um einiges voraus war und die Präsenz von Lesenden damals wie heute essentieller Bestandteil ist, bedurfte es keiner konzeptionellen Überholung. Einzige Nutzungsänderung ist die Umwandlung der zwei geschlechtergetrennten Toiletten in genderneutrale Räume; vereinzelte Computer und das elektronische Ausleihgerät sind stille Zeugen der Digitalisierung.
Im Zentrum des quadratisch angelegten Baus befindet sich ein Garten, der von jedem Raum eingesehen werden kann, ein Fenster lässt sich mittels Elektromotor über einen Kettenantrieb geräuschlos im Boden versenken, sodass man unmittelbar in die Leseoase gelangt, in der man, über ein Wasserbecken, direkte Sicht in den Tiergarten hat. Die Ursprungssituation ist gut dokumentiert. Dennoch orientierten sich die Landschaftsarchitekten für die Verlegung der Bodenplatten am Reihenverband, der in den Siebzigerjahren den losen Verband mit Fugenbepflanzung ablöste. Die Bronzeskulptur „Vegetative“ von Bernhard Heiliger von 1955 wurde aufgearbeitet und steht nun wieder, wie von Düttmann geplant, bündig auf dem Boden.
Die Hansabücherei ist Herzstück des Wohnquartiers im Berliner Tiergarten, das anlässlich der IBA 1957 entstand. 2012 gelangten Überlegungen zur Schließung des Standorts an die Öffentlichkeit, der Protest von vielen Seiten war groß. Dennoch zog die SPD eine Zusammenlegung der Hansabibliothek mit der Bruno-Lösche-Bibliothek in der Perleberger Straße in Erwägung. Zur selben Zeit wurde eine Bewerbung für die Aufnahme des (West-Berliner) Hansaviertels und der (Ost-Berliner) Karl-Marx-Allee ins UNESCO-Weltkulturerbe eingereicht (der Antrag wurde 2014 nicht berücksichtigt und soll überarbeitet 2022 erneut vorgelegt werden). Der Einsatz des Bürgervereins Hansaviertel e.V. und ein Wechsel in der Bezirksverwaltung gaben schließlich den Ausschlag für das Restaurierungsprojekt: Der neuen Führung gelang es, gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Mittel des Bundesprogramms „Nationale Projekte des Städtebaus 2015“ zu akquirieren und so das Projekt „Hansaviertel Berlin – Stadt von Morgen“ umzusetzen. Im Zuge dessen konnte sich die Hansabücherei fernhalten von der Reihe der durch Sparmaßnahmen geschlossenen Quartiersbibliotheken.
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