Bauwelt

Korridor zur Weltkultur in Brescia


In Brescia hat das Architekturbüro ARW einen Pfad durch die Altstadt zu fünf Orten des römischen und langobardischen Erbes der Stadt gebahnt.


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Große Platten aus Adamello-Diorit führen die Besucherinnen und Besucher von einer Unesco-Stätte zur nächsten.
    Foto: © mit freundlicher Genehmigung von ARW

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    Große Platten aus Adamello-Diorit führen die Besucherinnen und Besucher von einer Unesco-Stätte zur nächsten.

    Foto: © mit freundlicher Genehmigung von ARW

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    Blick von Osten über die Altstadt von Brescia. Im Vordergrund die Basilika San Salvatore, dahinter die Reste des Amphitheaters und das Forum.
    Foto: © mit freundlicher Genehmigung von ARW

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    Blick von Osten über die Altstadt von Brescia. Im Vordergrund die Basilika San Salvatore, dahinter die Reste des Amphitheaters und das Forum.

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    Im Hintergrund die Kuppel des Doms Santa Assunta, dahinter das Hochhaus von Piacentini an der Piazza Vittoria aus der Zeit des Faschismus. Rechts vom Dom der Turm des Broletto und der Palazzo della Loggia.
    Foto: © mit freundlicher Genehmigung von ARW

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    Im Hintergrund die Kuppel des Doms Santa Assunta, dahinter das Hochhaus von Piacentini an der Piazza Vittoria aus der Zeit des Faschismus. Rechts vom Dom der Turm des Broletto und der Palazzo della Loggia.

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    Mit dem neuen Bodenbelag gestalteten die Architekten einen Vorplatz vor dem Tor des Museumskomplexes im Kloster Santa Giulia.
    Foto: © mit freundlicher Genehmigung von ARW

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    Mit dem neuen Bodenbelag gestalteten die Architekten einen Vorplatz vor dem Tor des Museumskomplexes im Kloster Santa Giulia.

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    Eine Rundbank umfasst den Ort der neu gepflanzten Linde im zweiten Klosterhof, ...
    Foto: © mit freundlicher Genehmigung von ARW

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    Eine Rundbank umfasst den Ort der neu gepflanzten Linde im zweiten Klosterhof, ...

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    ... die an die Legende der Langobarden-Königstochter Desiderata erinnert.
    Foto: © mit freundlicher Genehmigung von ARW

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    ... die an die Legende der Langobarden-Königstochter Desiderata erinnert.

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    Der Eingangshof in den Museumskomplex und der erste Kreuzgang.
    Foto: © mit freundlicher Genehmigung von ARW

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    Der Eingangshof in den Museumskomplex und der erste Kreuzgang.

    Foto: © mit freundlicher Genehmigung von ARW

Wo ist das Zentrum der Stadt? Welcher Platz ist die wichtigste Bühne ihres täglichen Lebens? Welches Gebäude verbindet man als erstes mit ihr? In vielen Städten, auch italienischen, ist diese Frage recht einfach zu beantworten: In Venedig wird niemand dem Markus-Platz seine herausragende Stellung absprechen, in Bologna nicht der Piazza Maggiore, in Verona nicht der Piazza delle Erbe; in Mailand, Florenz und Siena dürfte niemand den Dom als wichtigstes Gebäude infrage stellen, in Verona kaum jemand die römische Arena. In Rom ist die Sache schwieriger, weil die Stadt in mehreren Epochen von größter Bedeutung war und sich die Lage ihres Zentrums über die Jahrhunderte verschoben hat.
Ähnlich verhält es sich in Brescia. Die knapp 200.000 Einwohner zählende Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, gelegen auf halbem Weg zwischen Mailand und Verona, besitzt gleich mehrere wichtige Plätze und Gebäude. Das liegt wie in Rom vermutlich daran, dass der Ort ihres antiken Forums nicht auch zentraler Ort der mittelalterlichen Stadt wurde, dieser wiederum in der Renaissance von einer neuen Piazza Konkurrenz bekam und schließlich auch das 20. Jahrhundert eine gewaltige Spur zog mit einem der monumentalsten Ensembles faschistischer Architektur, das sich in einer italienischen Altstadt finden lässt. Entsprechend schwer fällt es, das wichtigste Gebäude zu benennen: Ist es das römische Amphitheater oder die langobardische Basilika? Der romanische oder der klassizistischeDom? Der Renaissance-Palazzo della Loggia? Oder gar das faschistische Hauptpostamt? So viel lässt sich festhalten: Das Herz von Brescia hat im Lauf der Jahrhunderte an verschiedenen Orten geschlagen.
Im Osten der Altstadt ist es heute ruhig. Das überrascht umso mehr, als sich hier die Weltkulturerbestätten ballen, die Brescia zu bieten hat: das römische Forum mit dem Tempio Capito-lino, das besagte Amphitheater und die eben-falls schon genannte Basilika San Salvatore im ehemaligen Kloster- und heutigen Museumskomplex Santa Giulia. Seit 2011 tragen sie die Auszeichnung der Unesco, und seit letztem Jahr verbindet diese Orte ein neu gestalteter Pfad, der „Corridoio Unesco“, gestaltet vom ortsansässigen Architekturbüro Architectural Research Workshop, kurz ARW. Da die Faszination dieses Weges sich auch aus dem Rang der Stätten speist, die er verknüpft, seien diese kurz genannt.
Die meisten werden den Unesco-Korridor wohl am Forum beginnen, da dieses dem heutigen städtischen Treiben am nächsten liegt: Fünfhundert Meter sind es von der Piazza della Loggia. Der Weg führt über die Via dei Musei, die etwa dem Decumanus des römischen Brixia entspricht. Auf dem Forum kreuzte dieser den Cardo. Die heutige Piazza del Foro nimmt allerdings nur einen kleinen Teil des antiken Forums ein; dieses erstreckte sich im Süden bis zu einer Basilika, von der noch Fragmente an der Piazzetta Giovanni Labus in einer Fassade erkennbar sind, und war auch in der Querrichtung ausgedehnter. Der nördliche Bereich mit der Tempel-anlage zu Füßen des Hügels wurde ab dem Jahr 1823 ausgegraben, der Tempel aus den herum-liegenden Resten 1942 teilweise rekonstruiert – antik sind die weißen Steinblöcke, modern die roten Ziegel, die die Fehlstellen füllen.
Die Cella des Tempels wurde nach der Ausgrabung als Museum aufgebaut, der östliche der drei Räume 2020 vom spanischen Architekten Juan Navarro Baldeweg neu gestaltet – die antike, 1827 gefundene Statue der Vittoria darin ist das „Pezzo forte“ des Museums und begegnet dem Besucher des öfteren in der Stadt, und sei es als Aufdruck auf den Servietten einer Trattoria. Der Besuch des Museums lohnt sich aber noch aus einem anderen Grund: Als im Jahr 73 n. Chr. der Tempel geweiht wurde, war dies der Nachfolgebau einer Tempelanlage aus dem 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Da der neue Tempel aber nicht die ganze Breite dieses älteren Komplexes einnahm, blieb deren westlicher Raum unter einer Schicht aus Schutt bis auf eine Höhe von etwa achtzig Zentimeter erhalten. Unter einer Überbauung vor der Witterung geschützt, überrascht die Ruine mit der Kraft ihrer Bemalungen, zudem wird in einer Präsentation die Entwicklung des Forums über den Lauf der Jahrhunderte vor Augen geführt.
Vom Tempel führt der Unesco-Weg nach Osten, zum Amphitheater, mit dem sich derzeit das Architekturbüro Chipperfield beschäftigt, und von dort weiter durch den Vicolo del Fontanone zum Santa Giulia-Kloster, das im 8. Jahrhundert vom letzten Langobarden-König Desiderius gegründet wurde. Mit großen Platten aus Adamello-Diorit, rutschfest behandelt, haben ARW den Corridoio vom übrigen städtischen Bodenbelag abgesetzt. Dennoch ist der Kontrast subtil, da gleichzeitig die Via dei Musei erneuert wurde, wobei, in Abstimmung mit ARW, ein ähnlicher Bodenbelag verwendet wurde. Die Wegeführung passt sich mit variierenden Breiten dem Maßstabder jeweiligen Situation an, was angesichts der sehr verschiedenen Raumcharaktere und des großen Formats der Platten keine einfache Übung war. Vor dem Tor des Santa Giulia-Klosters in der Via Giovanni Piamarta etwa haben ARW eine Fläche geschaffen, die als Vorplatz der weitläufigen Anlage, als artikulierte Schnittstelle zum städtischen Raum, wirkt, eingelassen in den Straßenraum wie eine Intarsie. Die bei diesen Erweiterungen des eigentlichen Wegebands vorgenommene Verlegung der Platten nach dem Prinzip der Kreuzfuge betont die Funktion als Verweilort gegenüber der des Bewegungsraums, erzeugt gegenüber einer Anordnung im Verband aber auch den Eindruck einer gewissen Instabilität, die dem ephemeren Geschehen im öffentlichen Raum angemessen sein mag. Dazu passt, dass die Platten trocken und ohne Fundament verlegt wurden – der Auftraggeber wünschte eine einfache Reversibilität.
Hinter der Klosterpforte entfaltet sich das Projekt in weiteren Bestandteilen: die breite Rampe, die vom Portal hinab führt auf das Niveau des Kreuzgangs San Salvatore ist noch Weg, die langgestreckte Sitzbank, ebenfalls aus Stein, die die westliche Kante des Kreuzgangs bildet, und die runde Sitzbank zu Füßen einer neu gepflanzten Linde im zweiten Kreuzgang dagegen sind schon Objekte an der Grenze zur Architektur – fest installiert, nicht Möbel. Passend dazu wechselt hier auch der Bodenbelag in den Verband. Die Rundbank adelt ein umlaufender Metallring, in den Verse aus Alessandro Manzonis Adelchi-Tragödie eingelassen sind: Desiderius’ Tochter Desiderata (bei Manzoni heißt sie Ermengarda), verheiratet mit Karl dem Großen und von diesem verstoßen, stirbt im Werk des großen Dichters unglücklich unter einer Linde – Sinnbild des Endes der langobardischen Ära in Italien, die zwischen all den anderen Reichtümern immer wieder aufblitzt im Stadtbild von Brescia. Der Corridoio hilft, sie zu finden.



Fakten
Architekten Botticini + Facchinelli ARW, Brescia
Adresse Brescia


aus Bauwelt 19.2024
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