dm-Zentrale in Karlsruhe
Mit der neuen dm-Zentrale in Karlsruhe-Durlach sollten Lederer Ragnarsdóttir Oei ein „anderes Bürohaus“ schaffen.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Blick auf die Hauptverwaltung von Südwesten. Links die A5, unten die Durlacher Allee, hinten der Bahnhof Karlsruhe-Durlach
Foto: Roland Halbe
Blick auf die Hauptverwaltung von Südwesten. Links die A5, unten die Durlacher Allee, hinten der Bahnhof Karlsruhe-Durlach
Foto: Roland Halbe
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Kein Kurhotel, kein Müttergenesungsheim – auf der Restaurantterrasse im Osten kommen trotzdem Urlaubsgefühle auf. Die Mitarbeiter dürfen dort arbeiten.
Foto: Roland Halbe
Kein Kurhotel, kein Müttergenesungsheim – auf der Restaurantterrasse im Osten kommen trotzdem Urlaubsgefühle auf. Die Mitarbeiter dürfen dort arbeiten.
Foto: Roland Halbe
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Das „dialogicum“, wie die Hauptverwaltung offiziell heißt, ist so konzipiert, dass an den Treppentürmen Erweiterungen anschließen können.
Foto: Roland Halbe
Das „dialogicum“, wie die Hauptverwaltung offiziell heißt, ist so konzipiert, dass an den Treppentürmen Erweiterungen anschließen können.
Foto: Roland Halbe
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Der Konferenzraum im ersten Obergeschoss ...
Foto: Roland Halbe
Der Konferenzraum im ersten Obergeschoss ...
Foto: Roland Halbe
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... zeichnet sich im Foyer ab. Von hier ist er ...
Foto: Roland Halbe
... zeichnet sich im Foyer ab. Von hier ist er ...
Foto: Roland Halbe
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... über eine frei stehende Treppe direkt zu erreichen.
Foto: Roland Halbe
... über eine frei stehende Treppe direkt zu erreichen.
Foto: Roland Halbe
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Unten der Blick vom „Parkplatzhügel“ auf die Westfassade. Hier wachsen Obstbäume.
Foto: Roland Halbe
Unten der Blick vom „Parkplatzhügel“ auf die Westfassade. Hier wachsen Obstbäume.
Foto: Roland Halbe
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Die „Magistrale“ führt vom Foyer im Westen ...
Foto: Roland Halbe
Die „Magistrale“ führt vom Foyer im Westen ...
Foto: Roland Halbe
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... zum Mitarbeiterrestaurant im Osten. Solnhofer Platten, Eichenholz, indirektes Licht und Kräutergärten erzeugen eine wohnliche Stimmung.
Foto: Roland Halbe
... zum Mitarbeiterrestaurant im Osten. Solnhofer Platten, Eichenholz, indirektes Licht und Kräutergärten erzeugen eine wohnliche Stimmung.
Foto: Roland Halbe
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Die Sonnenschutzbalkone sind eine Anspielung an die Bürohausarchitektur Egon Eiermanns.
Foto: Roland Halbe
Die Sonnenschutzbalkone sind eine Anspielung an die Bürohausarchitektur Egon Eiermanns.
Foto: Roland Halbe
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Auf eine zentrale Lüftungsanlage wurde zugunsten individueller Lüftung verzichtet.
Foto: Roland Halbe
Auf eine zentrale Lüftungsanlage wurde zugunsten individueller Lüftung verzichtet.
Foto: Roland Halbe
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Die Büroflächen wurden mit bis zu 14 m weit spannenden Decken stützenfrei realisiert, um maximale Flexibilität zu erreichen.
Foto: Roland Halbe
Die Büroflächen wurden mit bis zu 14 m weit spannenden Decken stützenfrei realisiert, um maximale Flexibilität zu erreichen.
Foto: Roland Halbe
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Die Treppenhäuser in den Kreuzungspunkten des Grundrisses sollen zur Benutzung und damit zur
Begegnung anregen.
Foto: Roland Halbe
Die Treppenhäuser in den Kreuzungspunkten des Grundrisses sollen zur Benutzung und damit zur
Begegnung anregen.
Foto: Roland Halbe
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Der Grundriss orientiert viele Flächen in die Höfe.
Foto: Roland Halbe
Der Grundriss orientiert viele Flächen in die Höfe.
Foto: Roland Halbe
Der Stadtrand ist nicht die bevorzugte Lage der Architekten Lederer Ragnarsdóttir Oei. Ob in Frankfurts neuer Altstadt, an Ulms Neuer Straße oder eben auch am Karlsruher Marktplatz (
Bauwelt 39.2007,
13.2009) – LRO arbeiten für gewöhnlich im urbanen Gefüge an der Weiterentwicklung vage historischer Detail- und Materialqualitäten der Architektur. Einen Ausreißer in ihrem Portfolio stellt daher ein Auftrag wie dieser dar: Die Planung der neuen Hauptverwaltung der Drogeriemarktkette dm auf einer Freifläche an einer Autobahnabfahrt; effizient, flexibel, erweiterbar, mit reichlich Parkplätzen und etwas Abstandsgrün drumherum. Man kennt solche „Büroparks“ zur Genüge, es gibt sie am Rand der meisten größeren Städte Europas, und selbst bei den wenigen Beispielen, wo die Architektur das dabei zu erwartende Niveau verlässt und etwas Überraschendes geschaffen worden ist, ist doch selten ein Ort entstanden, an dem man sich freiwil-lig länger als nötig aufhielte. Wie haben sich LRO aus dieser Affäre gezogen?
Zunächst einmal ist der Standort nicht so schlimm, wie er auf google maps scheint. Nun gut, es gibt die Autobahn, die A5 in diesem Fall, aber von den Gewerbe- und Lagerhallen, die sich an der Zubringerstraße bis zur Auffahrt üblicherweise anhäufen, ist hier nichts zu sehen. Die Durlacher Allee, die die schöne Innenstadt von Karlsruhe mit dem Stadtteil Durlach verbindet, ist stattdessen eine ziemlich zivilisierte Chaussee, die den alten Residenzstadt-Charakter Karlsruhes noch in sich trägt: Statt der Straßenbahn, die in der Straßenmitte rollt, lässt sich, wenn man die Augen leicht zukneift und die Sonne richtig steht, auch ein Reiter mit Dreispitz auf dem Kopf imaginieren. Und hinter der Hauptverwaltung, die sich die Drogeriemarktkette an dieser Stelle hat errichten lassen, beginnt auch gleich das hübsche Durlach, welches fürwahr nicht der schlechteste Ort zum Leben ist, nicht mal dann, wenn man in der kleinen Siedlung lebt, die dem Bürobau direkt benachbart liegt und mit ihren Holzfenstern, Mini-Garagen und niedrigen Gartenzäunen entlang rissigen Asphalts den verwehten Charme der sechziger Jahre mit Würde trägt: den angesichts der weltpolitischen Lage noch etwas vorsichtig gezeigten Stolz auf den frischen Wohlstand, auf die Doppelhaushälfte, auf den zweiten Neuwagen, den man sich leisten kann (einen 1600er VW, einen 17m von Ford oder vielleicht sogar so einen irre rasanten 02, mit dem die gerade erst der Pleite entkommenen Bayerischen Motorenwerke den Markt aufmischen), und auf die Kinder, die bis zum Abendessen auf der Straße Seil springen oder Fußball spielen, ohne dass irgendwer dies für eine gefährliche Angelegenheit hielte.
Der Neubau für die rund 2000 Beschäftigten der dm-Verwaltung fügt sich in diese zumindest in der Erinnerung heilere, weil hoffnungsfrohe und zukunftsfreudige Welt gut ein, weil auch er Hoffnung macht, dass all die üblichen Büromaschinen- und Vermarktungsattribute, die Projekten wie diesen in der Regel umhängen (die blendendste davon ist die Nachhaltigkeits-Zertifizierung), letztlich keine Rolle spielen, weil sie nur etwas sind, was den Dingen nachträglich aufgeklebt wird, ohne ihr Wesen zu irritieren. Wenn man die Bauten von LRO kennt, kann man sich vor der dm-Zentrale trotzdem die Augen reiben: Den Stuttgartern, die sich in dem vom Bauherrn durchgeführten Wettbewerb gegen Behnisch, Coop Himmelb(l)au, Ingenhoven und kadawittfeld durchgesetzt haben, ist etwas gelungen, was man ihnen vielleicht schon zugetraut hätte, was man aber nicht unbedingt erwartet hat: sich den Strukturalismus von Candilis Josic Woods einzuverleiben und eine sozusagen LRO-überformte FU abzuliefern.
Arno Lederer räumt freimütig ein, dass sich LRO Anspielungen auf Werke der Baugeschichte gönnen. Hier sei es die Büroarbeitswelt von Egon Eiermann gewesen, der in Karlsruhe viel zu gering geschätzt werde, dem sie Referenz erweisen wollten. In den filigranen Metallfassaden mit ihren großen Verglasungen und dem vorgelagerten Sonnenschutz-Balkon-Gestänge ist die Formensprache des spätmodernen Meisters tatsächlich anwesend, man denke an den IBM-Campus in Stutgart-Vaihingen, 1967–72 ebenfalls in direkter Nachbarschaft einer Autobahn entstanden. Relevanter für die Nutzer aber dürfte die angesprochene andere Erinnerung sein, die das Gebäude erlaubt, und darin liegt denn auch das, was an diesem Projekt so ungewöhnlich ist. Der Grundriss nämlich ist eine gewebeartige Struktur aus sich kreuzenden Trakten, die Innenhöfe bilden und mit Treppenhäusern in den Kreuzungspunkten erschlossen sind; diese dienen auch als Treffpunkte, weshalb sie entsprechend großzügig dimensioniert und aufwendig gestaltet sind. Eine „Magistrale“ im Erdgeschoss funktioniert als Rückgrat und führt vom Eingang im Westen bis zum Restaurant im Osten.
So undefiniert, wie diese Struktur in ihrer Ausdehnung ist, verstehen LRO sie tatsächlich: Sollte irgendwann weniger Platz gebraucht werden, können die Etagen abschnittweise untervermietet werden; sollte das Unternehmen mehr Fläche benötigen, kann das Gebäude erweitert werden, nach Süden, zur Durlacher Allee hin, also dort, wo sich heute noch das Abstandsgrün dehnt. Nach Norden verhindert derzeit noch eine marode Polizeiwache eine Erweiterung, doch lässt sich ein Weiterbau selbstverständlich auch in diese Richtung denken. Sogar nach Osten, zur Siedlung hin, wäre Platz, doch müsste dann die Terrasse des Restaurants verschwinden, was die Mitarbeiter mit Protesten quittieren dürften: Zu attraktiv ist dieser Ort, um ihn irgendwann zu missen. Und schon ist der Begriff gefallen, der in solcher Umgebung bei einer derartigen Bauaufgabe so selten gebraucht werden kann, und der anzeigt, dass sich trotz der städtebaulich so wenig definierten Situation eben dochso etwas wie Wohlbefinden erzeugen lässt.
Die Elastizität des Projekts beschränkt sich allerdings nicht auf den Grundriss, sie zeigt sich auch im Schnitt und in der Konstruktion. Ein „anderes Bürohaus“ war gewünscht – die eher flache Hierarchie im Unternehmen auch räumlich zum Ausdruck zu bringen, war dem anthroposophisch geprägten Bauherren schließlich ein Anliegen. LRO starteten mit einer dreigeschossigen Anlage, um aus einem Zwischengeschoss jeweils nur eine Ebene nach oben oder unten zu erschließen; lediglich um dem Platzbedarf zu genügen, wurden dann doch überwiegend vier Geschosse realisiert. Weil keine Büroanlage mit Mittelflur entstehen sollte, verzichteten sie auch in den tieferen Gebäudeflügeln auf ein Stützenraster zugunsten größerer Spannweiten von 14 Metern, um eine Strukturierung der Flächen von vornherein zu vermeiden. Die so erzielte Flexibilität bewirkt nun aber keine Neutralität der Räume – dafür ist LRO die Wirkung von Materialien und Details viel zu wichtig und auch der Wille zur Form zu ausgeprägt. Und damit einher geht natürlich doch eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Nachhaltigkeit, mit manch für solch eine Firmenzentrale überraschendem Ergebnis. Etwa der Entscheidung, Abbruchziegel zu vermauern, wie an den geschlossenen Fassadenpartien geschehen: Für ein öffentliches Gebäude, ein Museum zum Beispiel, mag das gut angehen, für eine solche Hauptverwaltung aber ist es eine eher ungewöhnliche Wahl. Sie kam jedoch dem Wunsch des Auftraggebers entgegen, mit dem Gebäude nicht vordergründig als Marke in Erscheinung zu treten. Zusammen mit den blauen Markisen ergibt sich so eine leicht verschobene typologische Sortierung des Projekts – „Es sieht aus wie ein Kurhotel“, befand ein Journalisten-Kollege während des Rundgangs mit Arno Lederer Mitte September.
Im Inneren setzt sich dieser Eindruck des Wohnlichen fort. Solnhofer Steinplatten auf dem Boden im Erdgeschoss, Eichenholz, dezentes Kunstlicht, Kräutergärten in den Höfen – die Stimmung ist die einer gedämpften Zwanglosigkeit; ich fühlte mich eher in ein britisches College versetzt denn in den Verwaltungsbau einer Drogeriemarktkette. Orientierung in dem etwas labyrinthischen System bieten die schon erwähnten, üppig dimensionierten Treppenhäuser mit ihren expressiven Formen sowie die Farben des Leitsystems: Der größere Teil der Räume orientiert sich schließlich nach innen, in einen der Höfe, so dass die Umgebung als Hilfe ausscheidet. Zum wohnlichen Charakter dieser Büroarbeitswelt gehört schließlich auch der Verzicht auf eine allzu aufwendige Haustechnik – „Technik ist das Problem der Nachhaltigkeit“, so der Architekt, weil in ihr Energie gebunden wird, die nicht wiedergewonnen bzw. -verwendet werden kann. Auf eine zentrale Lüftungsanlage wurde daher verzichtet, die Bürobereiche lassen sich einfach mechanisch lüften. Der Kühlung dient die Betonkernaktivierung.
Entscheidend für das Ergebnis aber waren nicht nur die Überlegungen der Architekten – von großem Einfluss war auch die Realisierung per Einzelvergabe. Der anfangs beauftragte Generalunternehmer wollte weder die großen Spannweiten bauen, noch auf eine zentrale Lüftungsanlage für das gesamte Projekt verzichten, noch Abbruchziegel verwenden. Der Mut zur Trennung vom ach so professionell auftretenden GU bedeutete für den Bauherrn aber, über den Zeitraum von drei Jahren ein eigenes Projektteam aufzustellen, das zusammen mit Architekten und Firmen die Realisierung betreute. Doch dieser Aufwand hat sich gelohnt; architektonisch sowieso, vermutlich aber auch mit Blick auf das Wohlbefinden der Beschäftigten und ihre Identifikation mit dem Unternehmen.
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