Bauwelt

Ministeriumsgebäude in Stuttgart von Staab Architekten


Größe mit Feinheiten


Text: Baus, Ursula, Stuttgart


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    Foto: Roland Halbe

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Ganz in der Nähe von „Stuttgart 21“ haben Staab Architekten in einem Gebäude drei Landesministerien untergebracht. Damit der Baukörper nicht zu wuchtig wirkt, staffelten sie ihn auf beiden Längsseiten in sechs Abschnitte.
Sie war einmal eine „Prachtstraße“ Stuttgarts, in der heute zigtausend Autos auf sechs bis acht Fahrspuren morgens in die Stadt hinein und abends wieder hinaus fahren. Es geht um die B14-Stadtautobahn, die im Abschnitt „Willy-Brandt-Straße“ die neue Adresse von den Landesministerien ist und weiter südlich – dort „Konrad-Adenauer-Straße“ genannt – sogar als „Kulturmeile“ schöngeredet wird. Der Autoverkehr verschandelt seit Jahrzehnten die einst exquisite Wohnadresse – heute ein apokalyptischer Ort mit einer horrenden Feinstaubbelastung. Ich weiß, wovon ich schreibe: Fünfzehn Jahre lang führte mein Weg zum Arbeitsplatz hier vorbei – der Fußweg entlang der B14 war die Hölle, aber man konnte in „den Park“ ausweichen.
Tja, der „Park“. Stadtauswärts bis zum Neckar reichend, verläuft er auf der linken Seite der B14. Im Ringen um den Erhalt des ans Bahngelände angrenzenden Teils dieser „grünen Lunge“ wurden seine Schützer – Stuttgart 21-Mut- und Wutbürger – weltweit für ihre Streitlust im öffentlichen Raum bekannt. Am Parkrand zur B14 standen die letzten Wohnungsbauten, die zur eingangs genannten „Prachtstraße“ gehörten, wie verstümmelte Zähne herum; 2006 wurden sie abgerissen. Wie es sich für Stuttgart gehört: unter Protest. Wieso in einer Broschüre des Landes in Anbetracht der Verkehrsentwicklung überhaupt noch vom „Boulevardcharakter“ der Willy-Brandt-Straße die Rede ist, lässt sich nicht nachvollziehen. Auf der rechten Seite der B14 steigt die Topografie rasch an, unter
anderem abgeriegelt durch das mediokre Hotel Le Méridien (Kammerer+Belz). Der heute schauderhaften Atmosphäre dieser Straße muss man sich bewusst sein, um die Qualität des Staab-Neubaus begreifen und anerkennen zu können.
Ende der 1980er Jahre gestand man sich in Stuttgart endlich das Elend des Ortes ein und lobte nach vorbereitenden Symposien einen städtebaulichen Ideenwettbewerb zur überfälligen Aufwertung aus. 2006 entschied dann das Land, seine in der Innenstadt verteilten Ministerien, in denen rund 3700 Mitarbeiter beschäftigt sind, weitgehend in fußläufiger Entfernung zusammenzuführen. Aber wo? Das 7500 Quadratmeter große Grundstück des jetzigen Neubaus an der Willy-Brandt-Straße bot sich an, gehörte aber der Stadt. Land und Stadt tauschten Grundstücke, und bereits 2008 gewann das Büro Volker Staab den Realisierungswettbewerb.
Die Nutzfläche beträgt 19.500 Quadratmeter. Solche gewaltigen Gebäudegrößen bringt nicht etwa „die Zeit mit sich“, wie es in der Broschüre des Landes heißt. Vielmehr sind sie den bürokratisch aufgedunsenen Verwaltungsstrukturen anzulasten, die auch private Immobilieninvestitionen prägen. So wird in Stuttgart – und gewiss nicht nur hier – seit Jahren in der Innenstadt alle Bausubstanz aufgegeben, die angeblich nichts wert ist, und durch größere, rentable Baueinheiten ersetzt. „Großklopse“ nannte Amber Sayah sie in der Stuttgarter Zeitung. Dies betrifft auch den 1956–58 errichteten, sehr ansehnlichen, innenstadtverträglichen Gebäudekomplex in der Dorotheenstraße, in dem bislang die Verwaltung des Innenministeriums untergebracht war und der nun einer gewaltigen Neubebauung des Investors Breuninger mit dem Büro Behnisch (Bauwelt 14.2010) weichen soll. Die Diktatur der Öko-nomie beherrscht längst die Gestaltung des Stadtzentrums.
Doch zurück zum Neubau des Landes, das in seinem Effienzstreben der Privatwirtschaft nicht nachstehen mochte. Im Sommer 2013 wurde das Büro von Volker Staab beim Deutschen Architekturpreis gleich zweifach ausgezeichnet: für eine Hochhaussanierung in Darmstadt, wo eine Sechziger-Jahre-Architektur kongenial und zugleich spielerisch und technisch ambitioniert verändert wurde (Bauwelt 18.2012), und für eine Aufstockung in Hohenschwangau, wo das „Museum der Baye-rischen Könige“ neu zu inszenieren war (Bauwelt 38.2011). Eine „Volker-Staab-Architektursprache“ ist bei beiden Projekten nicht einfach in ästhetischer Schubladen-Sortierung herauszulesen. Und genau damit mag der Anspruch des Büros, aus komplexen Anforderungen einfach das Beste zu machen, erklärt werden.
200 Meter
In der beschriebenen heiklen stadträumlichen Lage galt es, über einer sich 200 Meter lang verengenden Grundstückskontur einen Baukörper zu planen, der auch innenräumlich für die rund 600 gleichgroßen Büroräume des Innenministeriums, des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft sowie des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz funktioniert. Auch waren in dem Baukörper die Lagezentren der Landesregierung, der Polizei und des Katastrophenschutzes unterzubringen, für die „höchste Sicherheitsanforderungen“ gelten. Außerdem verfügt das Innenministerium über einen halböffentlichen Bereich mit Kongressräumen und Gastronomie.
Zwei Unter- und sechs Obergeschosse mit monotoner Nutzung so zu strukturieren, dass sie entlang der schauderhaften Willy-Brandt-Straße und auf der Seite zum Park hin ein gebeuteltes Stück Stadt reparieren, ist alles andere als eine herkömmliche Bürobauaufgabe. Auf der Parkseite sind zwei Besonderheiten anzumerken. Hier hat zum einen eine alte Ulmenallee, der das Gebäude gefährlich nahe rückt, überlebt:
gefährlich für die Ulmen, gefährlich auch für die Fenster des Neubaus, die zur Park- und Straßenseite aus schützenden Prallscheiben bestehen. Und dann gibt es auf der Parkseite auch noch die „Lusthausruine“. Die Ursprünge dieses Lusthauses reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Nach wechselhaftem Bauschicksal wurden erst zu Beginn des letzten Jahrhunderts seine Westarkaden mit zwei Treppenaufgängen hierher in den Park – den „Mittleren Schlossgarten“ – transloziert.
Die Architekten staffelten den Baukörper in sechs gut ablesbare Abschnitte; den Haupteingang legten sie geschickt in die Achse der etwas schütteren Lusthausruine. Von dort wird entlang der Straße linker Hand der Kongressbereich erschlossen, nach rechts hin die Ministerienfolge. Mit Über-Eck-Fenstern und geschlossenen Fassadenflächen, hinter denen auf der Straßenseite jeweils die Treppenhäuser liegen, sind die Staffelabschnitte des Baukörpers deutlich betont. Gleichmäßig liegende Fensterformate wechseln sich mit den Treppenhaus­partien ab. Diese aus der Funktion heraus entwickelte Rhythmisierung des Baukörpers wirkt selbstverständlich – und nicht wie gestalterischer Selbstzweck.
Mosaiksteinchen
Die Fassade dieses „Großklopses“, die sich etwa über zwei Fußballfeldlängen hinstreckt, ist keineswegs Stangenware. Die Kastenfenster bieten erhöhten Schallschutz und bewahren den individuell steuerbaren Sonnenschutz vor Wind und Wetter. Ein gewisser Reinigungsaufwand muss allerdings betrieben werden. Die geschlossenen Wandflächen sollten anfangs mit Platten aus gepresstem Glasabfall in einer Größe von 60 x 120 Zentimetern bestückt werden – was zu teuer war, aber auch sichtbare Plattenfugen zur Folge gehabt hätte. Mit kleinen, 23 x 23 Millimeter großen Glasmosaiksteinen, die auf der Rückseite mit Farbpigmenten unterschiedlicher Beigetöne beschichtet sind, kam stattdessen eine durchgehende, changierende Fassade zustande. An 5650 Quadratmetern Fassade sind jetzt etwa acht Millionen dieser Mosaiksteinchen angebracht – außen angeraut, damit die Fassade als Ganzes nicht glänzt. Von Hand wurden die Mosaiksteinchen in 30 x 30 Zentimeter großen Matten auf eine Plattenunterkonstruktion geklebt.
Die Atrien 
Im Innern prägen heller, sandgestrahlter Sichtbeton und geschliffener Estrich Ton in Ton die unterschiedlich proportionierten Höfe, die geschossübergreifend hoch bis unters Tageslichtdach reichen und mit „Kunst am Bau“ zusätzlich individualisiert wurden. Raik Elias schuf für diese Räume drei riesige Ringe, die der Masse des Gebäudes entgegenwirken sollen. Tatsächlich irritiert im ersten Atrium ein Ring, der an die Wand gelehnt ist, als warte er noch auf seine endgültige Bestimmung. Im zweiten Hof scheint der Ring mit Ach und Krach in den Raum gezwängt worden zu sein. Und im dritten, in der Grundfläche schon recht kleinen Hof hängt das Kunstobjekt hoch oben unter der Decke. In die hohen, zu den Geschossebenen weit geöffneten Atrien fällt viel Licht, ein wenig kathe-dralenhaft kommt es einem schon vor. Treppen, Besprechungsnischen und Flurflächen profitieren von den Höfen in eigenartiger Weise – sie bieten ein vertikales Kontrastprogramm zum Ausblick aus den Bürostuben, die allesamt nach außen orientiert sind. Auf den Böden der Bürogeschosse liegt Nadelfilz, die Wände sind mit zementgebundenen, matt lackierten Eternit-Spanplatten bekleidet, die an den Ecken penibel auf Gehrung geschnitten wurden. Alutüren und Glaswände, hinter denen sich die Beamten mit Vorhängen vor allzu neugierigen Blicken schützen können – alles ist stimmig und angenehm. Ohnehin sind die Details zwar einfach, aber sorgfältig durchdacht und ausgeführt. Und die Beamten dürfen sich auf der Parkseite über einen wunderbaren Ausblick freuen.
Nicht zuletzt: Dieses Bauwerk darf als ein „Großprojekt“ bezeichnet werden, das im Großen und Ganzen gelungen ist. Die Aufgabe strukturierten die Architekten gut; was im Kostenrahmen möglich war, schätzten sie von Anfang an korrekt ein und wussten sich ab Leistungsphase 5 eins mit der Bauherrenvertretung als gestärktem Gegenüber des Generalunternehmers. Sie versuchten erst gar nicht, einen Beamtenbürobau auf Teufel komm raus zu zerklüften oder plastisch zu kneten, auch nicht, ihm eine Art „Poesie der Amtsstubenreihung“ abzugewinnen. Und: Der noble Neubau schützt den Park vor dem Lärm und Dreck der B14 – ein unspektakulärer und doch großer Gewinn für die Stadt und ihren öffentlichen Raum.



Fakten
Architekten Staab Architekten, Berlin
Adresse willy brandt straße, Stuttgart


aus Bauwelt 32.2013
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