Wehrdorf Plauzat
Um Clermont-Ferrand finden sich einige verfallene Wehrdörfer. In einem haben sich zwei Architekturbüros für die Anverwandlung der Ruinen als Entwicklungspotenzial für die Gemeinde eingebracht.
Text: Kabisch, Wolfgang, Paris
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Der Kirchplatz von Plauzat ist Phase 3 des Stadtumbaus. Vor dem Eingriff lag er auf einem Plateau, das nur über eine direkt auf die Straße führende Treppe erreichbar war.
Foto: Benoît Alazard
Der Kirchplatz von Plauzat ist Phase 3 des Stadtumbaus. Vor dem Eingriff lag er auf einem Plateau, das nur über eine direkt auf die Straße führende Treppe erreichbar war.
Foto: Benoît Alazard
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Das Projekt soll den Charakter Plauzats als Wehrdorf wieder erkennbar machen. Phase 1 war die rustikale Sanierung der „Cave Marc“ als Gastraum. Es folgte die Platzgestaltung.
Foto: Benoît Alazard
Das Projekt soll den Charakter Plauzats als Wehrdorf wieder erkennbar machen. Phase 1 war die rustikale Sanierung der „Cave Marc“ als Gastraum. Es folgte die Platzgestaltung.
Foto: Benoît Alazard
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Die Maßnahmen im Keller beschränkten sich aufs Sichern und Aufräumen.
Foto: Benoît Alazard
Die Maßnahmen im Keller beschränkten sich aufs Sichern und Aufräumen.
Foto: Benoît Alazard
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Auch der neue Stadtplatz ist sichtlich geordnet; durch den Torbogen am rechten Bildrand verlässt der Herr den Kern des Wehrdorfs.
Foto: Benoît Alazard
Auch der neue Stadtplatz ist sichtlich geordnet; durch den Torbogen am rechten Bildrand verlässt der Herr den Kern des Wehrdorfs.
Foto: Benoît Alazard
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Zugang zur „Cave Marc“ ehe der Vorplatz gepflastert wurde.
Foto: Benoît Alazard
Zugang zur „Cave Marc“ ehe der Vorplatz gepflastert wurde.
Foto: Benoît Alazard
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Der Versammlungsraum im Erdgeschoss, wie er sich nach Zutritt vom Platz zeigt.
Foto: Benoît Alazard
Der Versammlungsraum im Erdgeschoss, wie er sich nach Zutritt vom Platz zeigt.
Foto: Benoît Alazard
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Phase 2: Die „Gîte“ befindet sich hinter der „Cave Marc“.
Foto: Benoît Alazard
Phase 2: Die „Gîte“ befindet sich hinter der „Cave Marc“.
Foto: Benoît Alazard
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Seitlicher Zugang
Foto: Benoît Alazard
Seitlicher Zugang
Foto: Benoît Alazard
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Das Innere der Ferienunterkunft domniert ein Stahlbetonanker, der das Auseinanderfallen der Wände verhindert und zugleich die auf der oberen Ebene eingebrachte Glasbox mit Schlafstätte trägt.
Foto: Benoît Alazard
Das Innere der Ferienunterkunft domniert ein Stahlbetonanker, der das Auseinanderfallen der Wände verhindert und zugleich die auf der oberen Ebene eingebrachte Glasbox mit Schlafstätte trägt.
Foto: Benoît Alazard
Mitten in Frankreich, in der Auvergne erstreckt sich eine pittoreske Landschaft, die mit ihren Kratern erloschener Vulkane wie eine Ansammlung gigantischer Maulwurfshügel anmutet. Für die Touristen auf dem Weg in den Süden stellen sie eine willkommene Abwechslung dar. Dass vor dieser malerischen Kulisse unter anderem der Hundertjährige Krieg stattgefunden hat, sich die Bewohner der Gegend also über lange Zeit permanent vor Soldaten oder Banditen schützen mussten und sich deshalb hier im späten Mittelalter eine wehrhafte, eher abweisende Architektur entwickelt hat – das entgeht dem Blick der auf der Autobahn Vorbeifahrenden. Von dieser sehr speziellen Kulturlandschaft bekommen sie wenig mit. Aber selbst beim Halt in einer der kleinen, ländlichen Gemeinden im weiteren Umfeld von Clermont-Ferrand, muss man sehr genau hinsehen, um die historischen, wie kulturellen steinernen Zeitzeugen erkennen zu können. Viele Kommunen haben sich lange aus vorwiegend ökonomischen Gründen anderen Prioritäten als dem Denkmalschutz gewidmet. Die Sanierung jahrhundertalter Ruinen verschlingt viel Geld und Zeit, liefert aber selten kurzfristige Rendite.
Zugegeben: Die Problematik ist nicht neu. Je älter die vorgefundenen baulichen Strukturen und Verkehrswege sind, desto schwieriger und aufwendiger wird meist auch ihre Restaurierung und Neugestaltung. Die lange vernachlässigten Wehrdörfer der Auvergne, zu denen der im Folgenden dargestellte Ort Plauzat zählt, stammen aus dem „finsteren Mittelalter“. Was soll man heute noch mit ihnen anfangen? Was tun mit Ruinen, deren hoffnungsloser Zustand eine Rettung oft wenig sinnvoll erscheinen lässt? Die Frage, an welchen Vorbildern man sich bei einer Sanierung orientieren soll, kann oder muss, ist so komplex wie beladen. Und politisch „eine Herausforderung“. Plauzat liefert ein anschauliches Beispiel, weil die Beteiligten neue überraschende Wege gehen.
Die Gemeinde etwa zwanzig Kilometer südlich von Clermont-Ferrand hat knapp 1800 Einwohner, ein Schloss aus dem 17. Jahrhundert, einen denkmalgeschützten Brunnen, eine romanische Kirche und Festungsanlagen, die bis ins 14. Jahrhundert zurückgehen – und eine Autobahnausfahrt. Plauzat ist eines jener ehemaligen Wehrdörfer. Im Zentrum führt ein kleiner, unspektakulärer Torbogen von der Hauptstraße zu einem gut versteckten Dorfkern – einem mehr oder weniger ovalen Platz für Fußgänger, um den sich alte, verschieden hohe Gebäude gruppieren, die ihn nach außen hin abschirmen. Noch vor wenigen Jahren diente er als Behelfsparkplatz zwischen Ruinen in rapidem Verfall, in denen niemand mehr wohnen wollte. Die Gemeinde musste am Ende achtzig Prozent des historischen Bestands übernehmen und war gezwungen, sich über dessen Zukunft Gedanken zu machen.
Inzwischen ist nicht nur in der Mitte des Platzes ein großes quadratisches „Cave Marc“ genanntes Weinlager wiederhergestellt und zu einer Art ephemeren Brasserie umgebaut worden, sondern der gesamte Platz ist saniert und neugestaltet. Vor allem ein skulpturales Element aus gelb eingefärbtem Beton fällt ins Auge. Es funktioniert gleichzeitig als Treppe, Brücke, Stützpfeiler und Eingangskonstruktion über zwei Etagen an der Fassade der Brasserie. Und wirkt als ein auffälliges Erkennungszeichen für die „neue Mitte“ von Plauzat.
Am Anfang dieser sehr späten Wiederentdeckung des historischen Zentrums stand ein Streit im Gemeinderat, bei dem es um Abriss oder Sanierung eines bemerkenswerten Teils der eigenen Geschichte ging. Zwei tragende Pfeiler des beeindruckenden Gewölbes des alten Weinlagers waren eingestürzt. Die einen wollten an der Stelle lieber einen Parkplatz. Die anderen ein „Denkmal“. Eine fachgerechte Reparatur der Schäden nach den Regeln des Denkmalschutzes hätte die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde allerdings bei weitem überschritten. Glücklicherweise konnte sich der Rat auf ein Budget von 5000 Euro für eine Machbarkeitsstudie einigen.
Zwei Architekturbüros aus der Region – „Boris Bouchet Architectes“ und „Récita Architecture“ – schlugen gemeinsam vor, statt einer unrealistisch teuren Reparatur ohne durchgeplantes Nutzungsprogramm lieber zunächst einen provisorischen Veranstaltungsraum für die wärmeren Jahreszeiten zu schaffen, den die Bewohner von Plauzat bald und nach eigenen Vorstellungen nutzen können. Dafür sollte das gesamte ausdruckstarke Gewölbe mit einem Gürtel aus Beton gesichert, die eingestürzte Fassade mit einem Rahmen (ebenfalls Beton) abgestützt und den Fenstern einfache Gitter vorgesetzt werden. Als Beleuchtung sahen sie ein paar Kupferrohre vor, an die IKEA-Lampen geschraubt sind. Auch vor der Cave haben die Architekten aufgeräumt: Der über Jahrzehnte angesammelte Schutt ist verschwunden und das gelbe Betonelement für die Eingangskonstruktion ist an seine Stelle getreten. Eine pragmatische Lösung. Kosten: circa 130.000 Euro. Den Auftrag erhielten Boris Bouchet und Récita 2015. 2018 war die “Phase 1“ der Rückeroberung des Ortszentrums abgeschlossen. Zwar wurde „Cave Marc“ zunächst nicht täglich genutzt, erwies sich aber dann schnell als nützlicher Ort des Gemeindelebens.
Zusätzliche Subventionen für weitere Nutzungen kamen daraufhin im Gemeinderat ins Gespräch. Der freie Platzraum im Herzen des Wehrdorfs wurde zunehmend als willkommene Verbindung zwischen den verschiedenen Ortsteilen, der Schule, dem Rathaus im Schloss und den Geschäften genutzt. Folgerichtig erwog die Gemeinde eine seriöse Platzgestaltung mit Natursteinen, Rampen, Geländern, usw. Für kalkulierte 200.000 Euro immerhin. „Bouchet/Récita“ schalteten sich ein: Vor allem die Kosten für den kleinen Platz hielten sie für bei weitem zu hoch und intervenierten umgehend mit einem Vorschlag für die „Phase 2“.
Zunächst reduzierten sie die vorgesehenen Kosten für den Platz allein durch den Einsatz von Beton (statt der Natursteine) für die Oberflächenbelege und die Gestaltungselemente auf 60.000 Euro. Trotzdem erreichten sie dank einer unterschiedlicher Farbgebung des Materials eine ansprechende Ästhetik – wie man inzwischen
sehen kann. Die sehr hohe eingesparte Summe verwendeten sie lieber für die dringende Sanierung von drei kleinen Gebäuden hinter der „Cave Marc“. Zum einen für die Erneuerung von zwei Dächern, die letztendlich 15.000 Euro kosteten. Zum anderen für das konstruktiv aufwendige Projekt einer Ferienwohnung („Gîte“), das mit 113.000 Euro zu Buche geschlagen hat und ein außergewöhnliches Kernstück in der Ruinenwüste darstellt. Mit dieser „Umwidmung“ der ursprünglich vorgesehenen Ausgaben für die Platzgestaltung, konnten über die Hälfte des bereits akzeptierten Budgets in eine effektive Rückeroberung von historischen Mauern fließen. Weil es darum ja erklärtermaßen in Plauzat gehen sollte, war es im Endeffekt nur konsequent, dass Bouchet/Récita den Zuschlag bei der Auftragsvergabe erhielten.
Wer in Plauzat versucht, etwas über das den Sanierungen zugrundliegende Architekturverständnis zu erfahren, wird nicht weit kommen. Als annähernd gemeinsamen Nenner könnte man höchsten eine Lust der Architekten am Experiment erkennen. Am kostengünstigen phantasievollen Bauen, frei von Einengungen durch strenge Vorgaben oder einen Stil. Die erwähnte Ferienwohnung scheint ebenfalls nach diese Prinzipien entworfen worden zu sein. Obwohl das Ergebnis sich deutlich von den übrigen Interventionen unterscheidet. Zumindest im Inneren. Da die hohe mittelalterliche Ruine selbst nicht viel mehr als einen rechteckigen winzigen Grundriss erkennen ließ, haben sich die Architekten nicht weiter um historische Fragestellungen gekümmert. Die zuständige Denkmalschützerin hatte keine Fassaden aus Beton zugelassen. Also benutzten sie ihn Innen. Dort installierten sie eine moderne, glasummantelte Schlafeinheit auf horizontalen Betonträgern, die statisch die hohen Seitenmauern sichern. Diese wirken optisch wie massive Betonwände, bestehen außen aber aus den vorgefundenen gemauerten Natursteinen mit der entsprechenden Ästhetik. Im Erdgeschoss gibt es einen Küchenblock und eine Nasszelle. Im Keller ein Wohn-Zimmer. Das Ganze wirkt wie die Zelle eines Einsiedlers: spartanisch. Es gleicht einem Versuchsaufbau und trägt den passenden Titel: Wohnen in den Ruinen.
Wenn sich die einzelnen Sanierungsphasen in Plauzat mit der aktuellen Geschwindigkeit weiterentwickeln, werden auch die letzten Trümmerfelder im Ortskern bald verschwunden sein. Die Neugestaltung des nördlichen Teils des Kirchplatzes mit einer klugen Verengerung der belebten Durchgangsstraße durch einen terrassenförmig abgestuften Bürgersteig und Ruhezonen ist gerade fertig geworden. Die Brasserie mit eigener Bierherstellung im ehemaligen Weinlager der „Cave Marc“ eröffnet demnächst. Und die Neugestaltung des hinteren Schlosshofes befindet sich in einer Studienphase. Dabei handelt es sich nebenbei bemerkt bereits um
„Phase 5“.
Wer diese überwiegend gelungenen Veränderungen der Gemeinde nur als Teil einer Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln sieht, verkennt die eigentliche Zielrichtung ihrer Politik. Es handelt sich um langfristige Korrekturen der Strukturen von Plauzat, das sich von einem Bauerndorf zu einer ländlich geprägten Vorortgemeinde von Clermont-Ferrand entwickelt. Dort arbeitet zum Beispiel gutverdienende Angestellte im Firmensitz des Reifenherstellers Michelin. Plauzat hat lange günstiges Bauland angeboten. Die Einwohnerzahlen sind kontinuierlich gestiegen. Die Steuerzahlungen ebenfalls. Diese neue Klientel ist an einem sanierten Dorfkern und seiner Geschichte interessiert. Vor allem aber an einer funktionierenden und lebendigen Infrastruktur. Mit Denkmalschutz hat das nur am Rande zu tun.
Der jetzige Bürgermeister Jean Desvignes ist eine treibende Kraft. Er übt sein drittes Mandat aus – nach zwei Amtszeiten als Stellvertreter – und er erkennt die Zeichen der Zeit. Seine Leistung als Auftraggeber besteht unter anderem darin, den Architekten über jetzt fast zehn Jahre die Freiheit zu gewähren, nicht immer genau auf die gestellte Frage antworten zu müssen. Sie das Projekt Schritt für Schritt entwickeln zu lassen. Was aber nur dank ihrer Kompetenz und ihres Engagements möglich war.
Fakten
Architekten
Boris Bouchet Architectes, Clermont-Ferrand; Récita Architecture, Clermont-Ferrand
Adresse
Plauzat, Frankreich
aus
Bauwelt 21.2023
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