Wohnanlage in London
In London ist eine für Familien erschwingliche Wohnanlage entstanden. Die Reihenhäuser orientieren sich zum Hof oder zur Stadt; zum Teil sind sie 'Rücken an Rücken' gebaut. Mit einem Trick sorgen Peter Barber Architects dennoch für Licht von zwei Seiten
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Back-to-back-Reihenhäuser von Peter Barber Architects im Londoner Osten
Foto: Morley von Sternberg
Back-to-back-Reihenhäuser von Peter Barber Architects im Londoner Osten
Foto: Morley von Sternberg
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Foto: Morley von Sternberg
Foto: Morley von Sternberg
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Eher Platz als Hof: das Blockinnere des Reihenhausgevierts
Foto: Morley von Sternberg
Eher Platz als Hof: das Blockinnere des Reihenhausgevierts
Foto: Morley von Sternberg
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Der Wohnraum ist zuoberst angeordnet und öffnet sich auf die Dachterrasse, ...
Foto: Morley von Sternberg
Der Wohnraum ist zuoberst angeordnet und öffnet sich auf die Dachterrasse, ...
Foto: Morley von Sternberg
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... die Wohnküche hingegen grenzt teilweise direkt an den Gehweg.
Foto: Morley von Sternberg
... die Wohnküche hingegen grenzt teilweise direkt an den Gehweg.
Foto: Morley von Sternberg
Nicht alles, was Professor Herbert Pfeiffer vor 25 Jahren an der Uni Dortmund in seinen Grundstudiums-Vorlesungen im Fach „Wohnungswesen und Städtebau“ angesprochen hat, ist mir noch im Gedächtnis, was auch daran liegen mag, dass diese Vorlesung dienstags um 7:50 Uhr begann. Eine von ihm angesprochene Grundrisstypologie aber hat sich mir als des Teufels Werk eingebrannt: und zwar die der back-to-back houses, welche im industrialisierten England vor 200 Jahren für katastrophale Wohnverhältnisse sorgten, schlimmer noch als die Zustände, die in den später in Berlin errichteten Mietskasernenvierteln herrschten. In letzteren leben die Menschen, die von überall her nach Berlin strömen, inzwischen recht gern, sofern sie die Miete aufbringen können; katastrophale Zustände sind heute anderer Natur am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, an der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain, am Schlesischen Tor in Kreuzberg oder am Reuterplatz in Neukölln. Wie es um die alten back-to-back houses in Leeds, Manchester oder London steht, weiß ich nicht, wahrscheinlich aber haben sich die Zustände auch dort gewandelt. Denn inzwischen traut man sich als Architekt in England wieder, diese Bauweise aufzugreifen – wenn auch nicht für ein Projekt im Luxus-Segment, sondern nur für Starter-Wohnungen. Peter Barber Architects haben jedenfalls im Londoner Osten einen ganzen Block aus turmhohen Reihenhäusern damit gebaut, und ein Blick darauf lohnt nicht nur wegen der Wiederkehr dieser verfemten Grundrisstypologie, sondern auch wegen der Gestaltung und Materialität.
Doch halt, wissen auch jüngere Leser, die nicht in den Genuss besagter Vorlesungen gekommen sind, was Back-to-back-Häuser sind? Die Bauweise ist schnell erklärt. Anders als bei üblichen Reihenhäusern, die sich als Schottenbauweise charakterisieren lassen, zieht sich bei den Back-to-back-Häusern eine Brandwand auch in Längsrichtung durch die Häuserzeile, so dass jedes Haus dreiseitig angebaut ist, mit entsprechenden Nachteilen für Belichtung und Belüftung. Der jüngere Leser meine nun aber nicht, dass sich diese Schwierigkeiten durch eine entsprechend große Bautiefe und eingeschnittene Patios doch leicht überwinden ließe – nein, nein, ein „richtiges“ Back-to-back-Haus hat tatsächlich nur eine Licht und Luft spendende Fassade. Immerhin hatten die Proletarier ein Dach über dem Kopf. Derartige Minimalversorgung mit Wohnraum könnte heute, angesichts der in etlichen Städten stetig steigenden Mietpreise, wieder ein Thema werden; selbst die sogenannten erschwinglichen Wohnungen, die heute gebaut werden (sollen), sind mit Kaltmieten jenseits der acht Euro pro Quadratmeter für viele unbezahlbar. Und wenn das Ergebnis der Wiederbelebung einer Minimalwohnbauweise so ausfällt wie an der McGrath Road im Osten des Ost-Londoner Stadtteils Stratford, könnten vielleicht auch andere schlecht beleumdete Typologien zu neuer Blüte finden.
Peter Barber hat für seinen städtischen Auftraggeber – jawohl, kein Spekulant steht hinter diesem Revival – Häuser entworfen, in denen aufgrund einer recht geringen Bautiefe die nur einseitige Belichtung zumindest nicht gleich auf den ersten Blick unangenehm auffällt. Was auf den ersten Blick auffällt, sind andere Merkmale dieser Häuser: etwa die steile, mithin Platz sparende Treppe, auf der sich die drei Obergeschosse erklimmen lassen, oder die für deutsche Sehgewohnheiten ungewöhnlich kleinen Wohnräume, die in England aber gängig sind, oder die für deutsche Sehgewohnheiten ungewöhnlich großen, natürlich belichteten Bäder, oder die Eingangssituation: Von Straße oder Hof ins Haus tretend, steht man mitunter sogleich in der Wohnküche (mitunter, weil das Projekt eine Reihe von Sondertypen enthält, etwa in den Blockecken und über den Durchgängen, die andere Eigenschaften aufweisen). Ein Trick, um das Wohnen „back to back“ mit den Nachbarn etwas zu mildern, ist die Dachterrasse, die tatsächlich die Belichtung um neunzig Grad dreht; über die Treppe profitiert noch das darunter gelegene Geschoss von der anderen Lichtstimmung.
Ins Auge fällt zuerst aber die äußere Erscheinung dieses Reihenhausgevierts. Die handwerkliche Klinkerverblendung ist für den Besucher aus Deutschland, wo man sich nach 2000 Jahren Stadtbaugeschichte auf Styropor als das beste Baumaterial für den städtischen Lebensraum geeinigt zu haben scheint, eine Wohltat. Doch das ist keine Eigenheit dieses Projekts; Wärmedämmverbundfassaden sind auch bei anderen Wohnungsbauprojekten in England nicht üblich. Die Gestaltung aber ist ein echter Hingucker: eingeschnittene Laibungen, Segmentbögen, turmartige Aufsätze, vor allem aber die parabelförmigen Bögen, die das Erdgeschoss bzw. Erd- und Obergeschoss rhythmisieren, lassen vage an expressionistische Architekturen denken, etwa an das Formenfeuerwerk der Amsterdamer Schule oder an die Bremer Böttcherstraße. Mit der umgebenden Bebauung, die größtenteils aus der Nachkriegszeit stammt, verbindet die Wohnanlage zwar das Material Ziegel, in allen anderen Aspekten aber ist diese „Wohnburg“ denkbar weit von ihr entfernt. Dabei ist sie nahbarer, als es scheint: Wie gesagt, die zur Straße orientierten Häuser grenzen mit der großen Verglasung in den Bögen direkt an den öffentlichen Raum, und der lang gestreckte Hof ist über das große Tor in der Schmalseite von dort gut einsehbar – zu betreten allerdings nur, wenn man einen Bewohner kennt, der das Gatter öffnet.
Dieser Außenraum ist zweifellos der stärkste Punkt des Projekts: Kein Hinterhof, aber auch kein Garten, sondern ein städtischer Platz, steinern und frei geräumt, dabei von Baumreihen bedacht, erwartet er die Aktionen der kommenden Bewohner und den Aufbau ihrer Nachbarschaft. Die Vermarktung der Häuser hat soeben begonnen.
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