Bauwelt

Baumaterial aus Nazi-Deutschland in Tel Aviv

Am Bau der White City wirkten Architekten mit, die ab 1933 aus Deutschland ­emigrierten, ­unter ihnen ehemalige Bauhaus-Schüler. Was bisher kaum bekannt ist: Auch das Baumaterial für die White City und andere jüdische Siedlungen in Palästina kam zum großen Teil aus Deutschland – auf Grundlage eines umstrittenen Abkommens zwischen den zionistischen Institutionen und dem Reichswirtschaftsministerium.

Text: Sonder, Ines, Potsdam; Trezib, Joachim, Potsdam

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    Baumaterial-Importe aus Nazi-Deutschland: Keramikfliesen am Apartmenthaus Reines Street 14 in Tel Aviv
    Foto: Ines Sonder

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    Baumaterial-Importe aus Nazi-Deutschland: Keramikfliesen am Apartmenthaus Reines Street 14 in Tel Aviv

    Foto: Ines Sonder

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    Treppengeländer im Geschäftshaus Allenby Road 56 in Tel Aviv (Baujahr 1936), Sitz der Haavara Ltd.
    Foto: Ines Sonder

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    Treppengeländer im Geschäftshaus Allenby Road 56 in Tel Aviv (Baujahr 1936), Sitz der Haavara Ltd.

    Foto: Ines Sonder

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    Fenstergriff aus einem privaten Wohnhaus in Kiryat Ono
    Foto: Joachim Trezib

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    Fenstergriff aus einem privaten Wohnhaus in Kiryat Ono

    Foto: Joachim Trezib

Baumaterial aus Nazi-Deutschland in Tel Aviv

Am Bau der White City wirkten Architekten mit, die ab 1933 aus Deutschland ­emigrierten, ­unter ihnen ehemalige Bauhaus-Schüler. Was bisher kaum bekannt ist: Auch das Baumaterial für die White City und andere jüdische Siedlungen in Palästina kam zum großen Teil aus Deutschland – auf Grundlage eines umstrittenen Abkommens zwischen den zionistischen Institutionen und dem Reichswirtschaftsministerium.

Text: Sonder, Ines, Potsdam; Trezib, Joachim, Potsdam

Bei Sanierungsarbeiten im Max-Liebling-Haus in Tel Aviv fand man auf der Rückseite einer Kachel, die im Treppenhaus von der Wand platzte, die Aufschrift Villeroy und Boch, Mettlach, Made in Germany eingraviert. „Hier kreuzten sich die Wege des White City Centers in Tel Aviv und des Haavara-Transfer-Abkommens zum ersten Mal“, sagt die Programmdirektorin des Zentrums, Sharon Golan Yaron. Die Bestandsaufnahme weiterer Baumaterialien im Gebäude förderte zutage, dass auch Türklinken, Fensterscharniere, Beton, Fensterdichtungen, Metallgitter, Stahlbetonträger, Glasscheiben, Drainagerohre, Wasserhähne, Lampen, Steckdosen und Heizungssysteme Produkte aus Deutschland waren. Der Befund, dass nicht nur viele der seit 1933 emigrierten Architekten aus Deutschland kamen, sondern auch die Baumaterialen selbst, mit denen die White City von Tel Aviv in den dreißiger Jahren erbaut wurde, überraschte die israelischen Denkmalpfleger.
Das Liebling-Haus gehört zu dem Ensemble von circa 4000 Gebäuden im Internationalen Stil, der in Israel gern als „Bauhaus“ bezeichnet wird, das 2003 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wurde. Aber die von der Unes­co zur Auflage gemachte denkmalgerechte Sanierung der White City kam seither nur schleppend voran. Es fehlte an Geld, an Wertschätzung und letztlich auch an denkmalpflegerischem Fachwissen. Zum zehnten Jubiläum der Welterbetitel-Verleihung wurde daher das „Netzwerk Weiße Stadt“ als deutsch-israelisches Verbundprojekt gegründet, das mit Un­terstützung des Bundesbauministeriums (BMI) den Aufbau eines Zentrums für denkmalgerechtes Bauen und Sanieren fördert und damit die gemein­same historische und baukulturelle Bedeutung der White City für Deutschland und Israel hervorheben will.
Die Stadt Tel Aviv stellte hierfür das Max-Liebling-Haus in der Idelson Street 29 zur Verfügung, das 1936 vom Architekten Dov Karmi für seine vormaligen Besitzer Max und Toni Liebling erbaut worden war. Seit Herbst 2017 wurde das Liebling-Haus unter dem Slogan „Open for Renovation“ mit Unterstützung von Denkmalpflegern aus Deutschland saniert und im September 2019 im Rahmen des Jubiläums „100 Jahre Bauhaus“ als White City Center eröffnet.
Die Bauhistorie des Liebling-Hauses kann tatsächlich als Anschauungsobjekt der komplexen Geschichte der White City betrachtet werden, die auf das engste mit der Fünften Alija, der Einwanderungswelle aus Deutschland und Mitteleuropa (1933–39) nach Palästina, verbunden ist. Einen konstituierenden Bestandteil dieser Geschichte bildete das Transfer- beziehungsweise Haavara-Abkommen, das 1933 zwischen den zionistischen Institutionen und dem deutschen Reichwirtschaftsministerium ausgehandelt wurde und bis Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Bestand hatte. Durch das Abkommen, das zehntausenden deutschen Juden die Auswanderung ermöglichte, wurde Palästina zu einem wichtigen Exportmarkt deutscher Wirtschaftsgüter. Für viele Israeli wirkt die Auseinandersetzung mit diesem wenig thematisierten Aspekt ihrer Stadt- und Staatsgeschichte nachgerade schockierend. So titelte die israelische Tageszeitung Haaretz unlängst: „Tel Aviv Was Built With Raw Materials From Nazi Germany“ (25. Oktober 2019).
Als antithetische Pointe ermöglichte es die judenfeindliche Diskriminierungs- und Ausgrenzungspolitik der Nazis zusammen mit der restriktiven Einwanderungspolitik der britischen Mandatsmacht, die eine freie Einwanderung nur Personen mit einem Vermögen von 1000 Palestine Pound (LP) erlaubte, dass die Wirtschaft Palästinas nach 1933 mit deutschen Waren geflutet wurde. Davon profitierte vor allem der jüdische Sektor in Palästina. 1933 durften Auswanderer keine Devisen aus dem Deutschen Reich ausführen. Das Haavara-Abkommen setzte die strengen Auflagen der Devisenbewirtschaftung, die bereits seit 1931 im Deutschen Reich gültig waren, jedoch in der Art außer Kraft, dass die blockierten Vermögenswerte deutscher Juden liquidiert und in Form von Waren nach Palästina exportiert werden konnten. Im Gegenzug erhielten die zur Auswanderung genötigten deutschen Juden die Berechtigung zum Erwerb eines Einwanderungszertifikats, des sogenannten Kapitalisten-Zertifikats im Wert von 1000 Palestine Pound. Der bis 1937 stetig zunehmende Devisen- und Warentransfer wurde durch zwei Treuhandgesellschaften im Besitz der Jewish Agency, die Paltreu in Berlin und die Haavara Ltd. in Tel Aviv, organisiert.
1935 hatte das Deutsche Reich Großbritannien als größten Exporteur der Volkswirtschaft Palästinas abgelöst. Zu den bevorzugten Importwa­ren, die die Haavara Ltd. nach Palästina einführte, zählten insbesondere Baustoffe, die für die aufstrebende Bauwirtschaft des Landes dringend benötigt wurden, darunter Stahlröhren, Eisenwaren, Halbzeuge, Sanitäreinrichtungen, Heizungen, Baubeschläge, Zement und Baumaschinen. Einen guten Eindruck von der Vielfalt und den Mengen der eingeführ­ten Baumaterialen vermittelt beispielsweise die nebenstehende Liste der Baugesellschaft Nathanya Sea Shore Development Co. aus dem Jahr 1934.
Auf dem Wege des sogenannten Bautransfers wurden die Vermögenswerte deutscher Juden von Baugesellschaften auch direkt in Form von Bauvorhaben und Siedlungsprojekten umgesetzt. Anstelle ihrer Devisen konnten die Auswanderer in Palästina, wie Max Liebling, dann ihr eigenes Haus errichten oder erhielten eine fertige Wohn- und Wirtschaftseinheit in einer der mittelständischen Landwirtschaftssiedlungen, die für die deutschen Juden in diesen Jahren gegründet wurden. Auf diese Weise entstanden innerhalb weniger Jahre komplett neue Stadtteile, Vororte und Siedlungen wie Beit Yitzchak, Holon, Kiryat Bialik, Kiryat Ono, Kfar Shmaryahu, Netania, Ramat Hasharon, Sde Warburg und Shavei Zion, die die Siedlungsgeographie und die soziale Gemengelage des jüdischen Gemeinwesens in Palästina nachhaltig veränderten.
Die verdrängte Geschichte der in den dreißiger Jahren nicht nur in Tel Aviv, sondern in ganz Palästina erbauten Häuser mit Materialien „Made in Germany“ ist jetzt zum ersten Mal im Rahmen der Ausstellung „Transferumbau: Liebling–Dessau“ parallel im White City Center und an der Stiftung Bauhaus Dessau präsentiert worden. Es kann sich dabei nur um das erste Kapitel einer weit vielschichtigeren und breiteren Auseinandersetzung handeln, die als Baugeschichte zugleich ein Stück Beziehungsgeschichte zwischen Deutschland und Israel ist.
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"Liste der von der Nathanya Sea Shore Development Co. Ltd. in Deutschland anzukaufenden Waren
1 Cement für 1 km Strasse 6 m breit 420 ton zu 630 LP für 10 km also LP 6.300.–
2 Cement für 100 Häuser (pro Haus 5 ton) = 1500 ton LP 2.700.–
3 Eisen (Rundeisen für Gebäude, 100 Häuser) = 270 ton LP 1.800.–
4 Eisen für Strassen per km LP 400.– LP 4.000.–
5 Eisen bearbeitet und zugeschnitten für Konstruktion LP 10.000.–
6 Rohre für Wasserleitungen usw. LP 18.000.–
7 Zubehörteile für Leitungen, Hähne, Ventile usw. LP 3.000.–
8 Elektr. Leitungen und Zubehör LP 1.500.–
9 Elektr. Öfen und Kühlanlagen pro Haus LP 50.– LP 5.000.–
10 Fenster und Läden pro Haus LP 70.– LP 7.000.–
11 Sanitäre Artikel pro Haus LP 20.– LP 2.000.–
12 Kleinbahnmaterial (Decauville) LP 6.000.–
13 Maschinen für Tischlerei und Schlosserei LP 2.000.–
14 Farben, Lacke, Isoliermaterialien LP 1.000.–
15 Conveyers für Packungshäuser LP 1.000.–
16 Dampfwalze LP 1.000.–
17 Nivellierungsmaschine für Strassen LP 1.500.–
18 Maschinen für Ziegel, Blocksteine, Betonrohre, Stufen LP 1.500.–
19 3 – 4 Betonmaschinen LP 1.000.–
20 Agricultural und Horticultural Material LP 1.500.–
21 Eisenpfähle für Fundierung und Kaimauer LP 2.000.–
22 Ramme LP 2.000.–
23 Lastautomobile LP 2.000.–
24 Blech und Drähte LP 4.000.–
25 Kinoeinrichtung für Tonfilm LP 2.500.–
26 Maschinen, Geräte, Bedarfsartikel für Mineralwasserfabrik, Wäscherei, Bäckerei LP 4.500.–
27 Landwirtschaftl. Maschinen, Geräte, Handwerkszeug LP 7.000.–
28 Chemische Düngemittel (Phosphat) LP 10.000.–
29 Elektrischer Backofen LP 10.000.–
Die Gesellschaft behält sich vor, von den einzelnen Positionen geringere von anderen grössere Posten zu kaufen."
Quelle: Warburg Archiv, Hamburg-Blankenese, 83 I
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